Verbrechen verdrängen – Leid erinnern?
"Verbrechen verdrängen – Leid erinnern? Österreicher/innen als Opfer – Österreicher/innen als Täter"
Die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus, wie sie uns in den Erzählungen der Erlebnisgeneration begegnet, wie sie in gegenwärtigen Diskursen formuliert wird und wie sie uns auch als für schulisches Lernen bestimmte Geschichte entgegen tritt, ist gerade in unserer österreichischen Gesellschaft durch die Dimensionen Verbrechen und Leid bestimmt. Beide fordern uns dazu auf, uns zu positionieren: Wie steht es um unser Gerechtigkeitsempfinden und um unsere Empathiefähigkeit? Inwiefern bestimmt die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (Familie, politische Überzeugung, Nation, Religion…) unseren Blick auf die Geschichte der NS-Zeit? Gibt es so etwas wie spezifisch österreichische Narrative? Und – insbesondere – was bedeutet das für uns als Lehrende sowie für unsere Schüler/innen?Wir beginnen das 5. Zentrale Seminar am Donnerstagabend, dem 9. November, mit einer Gedenkveranstaltung an den Novemberpogrom in Baden, die wir gemeinsam mit Thomas Schärf, dem Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Baden, organisieren. Thomas Schärf selbst wird zum jüdischen Leben in Baden und zum Pogrom in Baden sprechen, Hannah Lessing, die Generalsekretärin des Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, zur Verantwortung, die aus den Verfolgungen für das heutige Österreich resultiert.
Am Freitagmorgen wird das Seminar mit einem Vortrag des Salzburger Historikers Ernst Hanisch eröffnet: „Opfer – Täter – Mythos: Die verschlungenen Erzählungen der NS-Vergangenheit in Österreich“. Der Geschichtsdidaktiker Reinhard Krammer beleuchtet anschließend die Relevanz dieser Perspektive für den Unterricht: „Täterperspektiven – Opferperspektiven in der Praxis des Geschichtsunterrichts“.
Am Nachmittag wird in Gruppen und anhand von vier Themen die Umsetzung ins schulische Lernen diskutiert:
- Über das Erinnern und Vergessen der NS-Täter. NS-Verbrechen und die Nachkriegsjustiz (Winfried R. Garscha / Heimo Halbrainer)
- NS-Kunst- und Kulturgutraub im Kontext der Verfolgungs-, Vernichtungs- und Beraubungspolitik (Gabriele Anderl)
- Literarische Artikulation von Leiderfahrungen (Christian Angerer)
- „Mobiles Erinnern“ – Ein transnationales Erinnerungsprojekt an die Opfer der Todesmärsche – (Eleonore Lappin, Christian Gmeiner)
Der Samstag ist ausgewählten Aspekten der Geschichte von Wiener Neustadt im Nationalsozialismus gewidmet. Robert Streibel stellt uns die bedeutende jüdische Gemeinde von Wiener Neustadt und deren Zerstörung 1938/39 vor, Bertrand Perz beschäftigt sich mit Wiener Neustadt als einem bedeutenden Zentrum der Rüstungsindustrie, mit Zwangsarbeit und KZ-Außenlagern sowie mit den alliierten Bombardements und deren Folgen. Bertrand Perz befragt daran anschließend Karl Flanner zur Verfolgung und Widerstand, zum Umgang mit den Tätern und zur politischen Entwicklung in der Nachkriegszeit. Karl Flanner überlebte die Verfolgung, ist wissenschaftlicher Leiter des Industrieviertelmuseums und verfasste zahlreiche Publikationen zu Wiener Neustadt.
Am Nachmittag des Samstag werden drei Exkursionen angeboten:
- Wiener Neustadt (mit Karl Flanner)
- Wiener Neustadt und Umgebung (mit Bertrand Perz)
- Jüdisches Baden (mit Thomas Schärf)
Am Sonntagvormittag setzt sich Walter Manoschek mit Tätern auseinander: „Zwischen Gleichgültigkeit und Vernichtungswillen – Vier Fallbeispiele vom Verhalten von Österreicher/innen gegenüber Juden 1938-1945“. Danach stellt Margit Reiter die Frage nach dem Umgang mit der NS-Zeit in der Zweiten Republik: „Die Generationen danach. Umgang mit der Vergangenheit.“
In einer abschließenden Plenardiskussion werden wir uns nochmals mit der Frage beschäftigen, welche Relevanz in der NS-Zeit verübte Verbrechen und damals erlittenes Leid für Schülerinnen und Schüler heute haben und wie darüber gelehrt und gelernt werden kann.
Das Seminarprogramm sieht Zeit für den Austausch unter den Teilnehmer/innen vor. Das Seminar bietet Gelegenheit zur Begegnung mit vielen engagierten Kolleg/innen, insbesondere mit Teilnehmer/innen der Seminare in Yad Vashem. Wie die letzten Jahre nehmen wieder Kolleg/innen aus Mitgliedsländern des Europarats teil.