Bericht zum Zentralen Seminar 2024: Der Genozid an den Roma und Sinti

Unter dem Titel „Der Genozid an den Roma und Sinti während des Nationalsozialismus“ fand von 14. bis 16. November 2024 das Zentrale Seminar in Stadtschlaining statt. Eingebettet in den Jahresschwerpunkt von ERINNERN:AT und gemeinsam organisiert mit dem Verein Roma-Service Burgenland und der PH Burgenland nahmen mehr als 100 Lehrpersonen und andere BildungsakteurInnen an der Fortbildung teil.

2024 widmete sich ERINNERN:AT in einem Jahresschwerpunkt dem Genozid an den Roma und Sinti während des Nationalsozialismus sowie der schulischen Vermittlung dieses Themas. Das ganze Jahr hindurch wurden in allen Bundesländern Veranstaltungen organisiert sowie Lernmaterialien erstellt und auf der Website von ERINNERN:AT gesammelt. Höhepunkt der Aktivitäten war das Zentrale Seminar, Österreichs größte LehrerInnenfortbildung zu den Themen Holocaust, Nationalsozialismus und Antisemitismus, von 14. bis 16. November 2024 auf der Friedensburg Schlaining im Burgenland. An der Fortbildung nahmen über 100 LehrerInnen verschiedener Schultypen und Fächer aus ganz Österreich, sowie weitere BildungsakteurInnen und MultiplikatorInnen teil. Durch das Seminar führte Patrick Siegele, Bereichsleiter Holocaust Education beim OeAD. 

Das Seminar begann am 14. November nachmittags mit der offiziellen Begrüßung durch Patrick Siegele, der stellvertretend für den OeAD-Geschäftsführer Jakob Calice das Seminar eröffnete und zum Jahresschwerpunkt von ERINNERN:AT sprach. Die Relevanz der Bildungsarbeit über den Genozid an den Roma und Sinti und gegen Antiziganismus hob Bildungsminister Martin Polaschek in seiner Videogrußbotschaft hervor. Er dankte den teilnehmenden Lehrpersonen für ihr Engagement, das Seminarthema in den schulischen Unterricht zu tragen. „Antisemitismus und Antiziganismus haben in Klassenzimmern keinen Platz, Schulen müssen sichere und diskriminierungsfreie Räumen für alle sein“, so der Minister. Ein Grußwort sprach außerdem Aloisia Wörgetter, Ständige Vertreterin Österreichs beim Europarat. Sie berichtete über die signifikante Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention („Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“) und der Arbeit des Europarates als treibende Kraft für Menschenrechtsverbesserungen. 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission den neuen strategischen EU-Rahmen zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Romnja und Roma bis 2030. Dabei steht insbesondere die Bekämpfung von Diskriminierung und Antiziganismus im Fokus. Wörgetter verwies darauf, dass in Europarat-Gremien leider noch keine Romnja und Roma vertreten sind, und sprach eine Einladung an die anwesenden LehrerInnen aus, mit ihren SchülerInnen das Europäische Parlament in Straßburg zu besuchen.  


V.l.n.r.: Gerhard Baumgartner, Victoria Kumar und Mirjam Karoly (Foto: OeAD)

Moderiert von Victoria Kumar (OeAD, ERINNERN:AT) begann der erste inhaltliche Seminarteil mit zwei Einführungsvorträgen, die den Teilnehmenden eine inhaltliche Basis für eine vertiefte Auseinandersetzung in den Folgetagen mitgaben. Historiker Gerhard Baumgartner gab einen Überblick über die Marginalisierung, Verfolgung und Ermordung der österreichischen Roma und Sinti. Anhand zahlreicher Quellen legte er dar, wie bereits in der Habsburger-Monarchie der Grundstein für die spätere Diskriminierung und Verfolgung österreichischer Romnja und Roma gelegt wurde und wie die schrittweise Entrechtung, Ausgrenzung und Ausbeutung der Romnja und Roma ab 1938 zu ersten Deportationen in Konzentrationslager führten. „Gegen das Vergessen – für eine gleichberechtigte Zukunft! Rom:nja in Österreich“ lautete der Titel des zweiten Vortrages von Mirjam Karoly (Romano Centro). Sie erläuterte, welche Auswirkungen die fehlende Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus auf die Minderheit der Roma und Sinti in Österreich hatte. Der lange Weg zur Anerkennung der Roma und Sinti als Volksgruppen und die Bedeutung von europäischen Initiativen für die Sensibilisierung für ihre Rechte, waren weitere Themen ihres Vortrags. Die Inhalte ihres Vortrags finden Sie in Mirjam Karolys Beitrag zum Gaismair-Jahrbuch 2025, den ERINNERN:AT hier zum Lesen zur Verfügung stellt. Neben dem Artikel von Mirjam Karoly finden sich einige weitere Beiträge zum Thema Genozid an den Roma und Sinti im Gaismair-Jahrbuch, das sie hier bestellen können.
Im Anschluss an die Vorträge fand eine Diskussion statt, in welcher der Blick u.a. auf die Wichtigkeit von Gedenktagen an den Roma-Genozid und von einem zentralen österreichischen Erinnerungsort gelegt wurde. 


Gesprächsrunde nach dem Film Mri Historija (Meine Geschichte)“. V.l.n.r.: Emmerich Gärtner-Horvath, Vanja Minic, Sarah Gärtner-Horvath, Tobias Horvath (Foto: OeAD)

Zeitzeugendokumentation zur Geschichte der Burgenland-Roma - Filmvorführung und Gespräch

Abgerundet wurde der erste Seminartag durch die Vorführung des Films Mri Historija (Meine Geschichte), eine vom Roma-Service erstellte Zeitzeugendokumentation zur Geschichte der Burgenland-Roma. Sie umspannt den Zeitraum von den 1920er Jahren bis in die Gegenwart mit 15 sehr persönlichen und eindringlichen Gesprächen. Zur 2009 veröffentlichten Videodokumentation gibt es Begleitmaterialien, wie Transkriptionen, Kurzbiografien und historisches Fotomaterial. Im anschließenden Filmgespräch mit Emmerich Gärtner-Horvath (Roma-Service Burgenland), Sarah Gärtner-Horvath und Tobias Horvath (Studierende Lehramt Geschichte, Oberwart) und moderiert von Vanja Minic (HÖR – Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma), ging es neben der Genese des Interview- und Filmprojekts um Fragen zum Familiengedächtnis, um Antiziganismuserfahrungen der zweiten und dritten Generation, wie auch um Perspektiven auf Identität(en) und Sprache(n) von jüngeren Romnja und Roma. Die Erfahrungen mit der Thematisierung der Geschichte der Romnja und Roma im Unterricht sind sehr unterschiedlich: Sarah Gärtner-Horvath wurde von ihrer Lehrerin eigens gebeten, eine Stunde zu gestalten und über Antiziganismus zu erzählen. Tobias Horvath schilderte, dass Romnja und Roma nur als eine NS-Opfergruppe genannt wurden. Ein stärkerer Bezug zur Lokalgeschichte würde seines Erachtens beim Unterrichten helfen.


Herbert Brettl, Netzwerk-Koordinator von ERINNERN:AT Burgenland bei seinem Vortrag (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar)

Erinnerungszeichen und Vermittlungsansätze zur Geschichte des Genozids an den Roma und Sinti

Der zweite Seminartag am 15. November begann mit einem Vortrag von Herbert Brettl, Netzwerk-Koordinator ERINNERN:AT Burgenland. Herbert Brettl zeichnete den langsamen Wandel in der Gedenkkultur an den Roma-Genozid in Österreich ab den 1980er bzw. 1990er Jahren nach und gab einen Überblick über die Erinnerungszeichen für die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Roma und Sinti in Österreich, die schrittweise auch in DERLA, der Digitalen Erinnerungslandschaft Österreich, zu finden sind.

In den anschließend parallellaufenden Workshops wurden Best Practice-Beispiele aus der Vermittlung vorgestellt und Lernmaterialien von ERINNERN:AT präsentiert.

Workshop I: Lernwebsite romasintigenocide.eu

Robert Sigel (Bayerische Staatskanzlei) und Jennifer Barton (OeAD, ERINNERN:AT) stellten in diesem Workshop die internationale Lernwebsite www.romasinitgenocide.eu vor. Diese unterstützt Lehrkräfte als Informationsplattform, sowie mit konkreten Lernmaterialien und methodischen Hilfestellungen für den Unterricht. Zunächst widmete sich der Workshop der Frage, wie sich der Einstieg in das Unterrichtsthema gestalten lässt und wie sich Stereotype in Bezug auf Roma und Sinti im Unterrichtsverlauf dekonstruieren lassen. Dazu besprachen die ReferentInnen gezielte Methodenansätze, beispielsweise in der Arbeit mit historischen Fotografien und Biografien, welche die Lernwebsite bereitstellt und kontextualisiert. Weiters befasste sich der Workshop mit den konkreten Arbeitsblättern, welche die Website zu verschiedenen Schwerpunkten auf zwölf Sprachen zur Verfügung stellt: Neben der Verfolgung und Ermordung während des Nationalsozialismus thematisieren die Materialien auch die lange europäische Verfolgungsgeschichte der Roma und Sinti vor 1938, Formen des Widerstands und der Selbstbehauptung, sowie die Zeit nach 1945, die Folgen des Genozids und die heutige Erinnerung daran. 


Teilnehmende des Workshops (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar) 

Workshop II: Digitale Lernangebote zur Verfolgung von Roma und Sinti: DERLA mit Schwerpunkt Roma-Gedenkorte in Burgenland

Im Workshop zur Digitalen Erinnerungslandschaft Österreich zeigten Herbert Brettl (ERINNERN:AT Burgenland) und Ute Leonhardt (PH Burgenland) wie sich Lernende mit der Digitalen Erinnerungslandschaft Österreich (DERLA) und mit der Erinnerung an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und den verschiedenen Opfergruppen auseinandersetzen können. Für das Burgenland gibt es auf DERLA bislang 12 Vermittlungsangebote. Im Workshop beschäftigen sich die Teilnehmenden mit der jüdischen Geschichte von Stadtschlaining. Ausgehend von einem Informationstext auf der Webseite setzen sich Lernende mit der Methode der „Visuellen Kommunikation“ mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde und deren BewohnerInnen auseinander.


Herbert Brettl und Ute Leonhardt im Workshop (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar) 

Workshop III: „Wir geben uns nicht in ihre Hände“ Bildungsmaterialien zum Widerstand von Sinti und Roma gegen den Nationalsozialismus

Bildungsmaterialien zum Widerstand von Sinti und Roma gegen den Nationalsozialismus stellte Sevin Begovic vom Bildungsforum gegen Antiziganismus des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma im dritten Workshop vor. Dieser Widerstand wurde in der Forschung und in der historisch-politischen Bildungsarbeit lange Zeit vernachlässigt. Die Teilnehmenden erprobten gemeinsam die biografisch angelegten Bildungsmaterialien, die das Bildungsforum gegen Antiziganismus 2019 gemeinsam mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand veröffentlicht hat.

Teilnehmende des Workshops (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar) 

Workshop IV: IWitness-Activity „Kontinuitäten des Antiziganismus“ und „Stories that Move – Toolbox gegen Diskriminierung“

Im vierten Workshop wurden zwei digitale Lernangebote zu den Kontinuitäten des Antiziganismus von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart vorgestellt. Hannes Burkhardt (Europa-Universität Flensburg) und Victoria Kumar (OeAD, ERINNERN:AT) präsentierten erstmals die neue IWitness-Activity zum Antiziganismus in Österreich und Deutschland nach 1945. Die Basis der Activity sind Videointerviews von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie weiteres Quellenmaterial wie Akten, gerichtliche Urteile und Fotografien. SchülerInnen erschließen anhand von Einzelbiografien prägende Erfahrungen staatlicher und gesellschaftlicher Verfolgung und Diskriminierung von Roma und Sinti in der Zeit nach 1945. Das Lernmodul wurde von den Teilnehmenden ob seiner Quellenvielfalt als beeindruckend, in Teilen als sehr anspruchsvoll eingeschätzt. Alexander Niederhuber, ERINNERN:AT führte in die digitale Lernressource „Stories that Move” ein: Sie unterstützt PädagogInnen dabei, Diskriminierung und Rassismus im Unterricht zu thematisieren. Die Toolbox schult das selbstreflexive Denken der SchülerInnen und regt diese an, ihre eigenen Denkmuster und Haltungen zu hinterfragen. Im Fokus des Workshops standen dabei jene Interviews, in welchen junge Romnja und Roma über ihre Diskriminierungserfahrungen berichten.


Workshop zur neuen IWitness Activity und der Online-Toolbox "Stories that Move" (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar) 

Der Nachmittag des zweiten Seminartages startete mit drei parallel laufenden Angeboten zur Auswahl: Wie jedes Jahr hatten Partnerinstitutionen auf dem Marktplatz die Gelegenheit, sich und ihre Materialien vorzustellen und mit den Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen. Das Team von ERINNERN:AT gab einen Einblick in die große Bandbreite der analogen und digitalen Lehr- und Lernmaterialien. 


Sonderausstellung „Dunkle Zeiten - Von Tätern und Gerechten“ (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar) 

Die derzeitige Sonderausstellung auf der Friedensburg „Dunkle Zeiten - Von Tätern und Gerechten“ thematisiert die Zeit des Nationalsozialismus im Burgenland und erzählt von Menschen, die sich dem NS-Regime anpassten, sich an der Not anderer bereicherten, sie misshandelten, verfolgten oder sogar ermordeten. Sie erzählt auch von denjenigen, die sich dem NS-System nicht unterordnen wollten, die Widerstand leisteten, Verfolgten halfen und sich dabei selbst in Gefahr brachten. Dieter Szorger, Abteilungsleiter Wissenschaft beim Land Burgenland führte die Teilnehmenden durch die Schau, die ein kooperatives Projekt des Landes Burgenland und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes mit Unterstützung des Vereins RE.F.U.G.I.U.S. ist.

 Ausstellung in der ehemaligen Synagoge Stadtschlaining (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar) 

Die Ausstellung in der ehemaligen Synagoge Stadtschlaining erzählt vom jüdischen Leben in der Region und stellt die Menschen in den Mittelpunkt: Es sind übernommene Erzählungen, Gegenstände, Kleidungsstücke, Traditionen, Familie und Familiengeschichte, die einen Einblick in das Leben der damaligen Zeit gewähren. Neben der Ausstellung beherbergt die ehemalige Synagoge heute auch einen Ort des Gedenkens und der Erinnerung an die 1938 vertriebene und vernichtete jüdische Bevölkerung des Südburgenlandes. Gert Polster, Direktor vom Landesmuseum Burgenland, führte die interessierten Teilnehmenden durch die Schau. 

Podiumsdiskussion: Roma und Sinti im österreichischen Bildungssystem 

„Roma und Sinti im österreichischen Bildungssystem – der lange Weg zu Chancengleichheit und Inklusion“ lautete der Titel des von Bianca Schönberger, Zara Training, moderierten Panelgesprächs, an dem Mirjam Karoly (Romano Centro), Horst Horvath (Roma VHS Burgenland), Emmerich Gärtner-Horvath (Roma-Service Burgenland) und Karin Vukmann-Artner (Bildungsdirektion Burgenland) teilnahmen. Die Podiumsdiskussion richtete den Blick auf die gegenwärtige Lage der Roma und Sinti in Österreich und fokussierte dabei auf das Bildungssystem. Nach wie vor erlebt diese Bevölkerungsgruppe situative und strukturelle Diskriminierung, von Chancengleichheit und Inklusion in den Bildungseinrichtungen ist sie in Österreich weit entfernt. Die vier ExpertInnen diskutierten über die Ursachen für die nachteilige Situation vieler Romnja und Roma im Bildungsbereich und über die Rolle von Institutionen und AkteurInnen im Bildungswesen.


Auf dem Podium (v.l.n.r.): Emmerich Gärtner-Horvath, Karin Vukmann-Artner, Bianca Schönberger, Mirjam Karoly, Horst Horvath (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar)

Mirjam Karoly unterstrich in ihrem Eingangsstatement, dass Bildung der Schlüssel für alle anderen Bereiche der Inklusion sei und sich intersektional positiv auswirke. Sie erläuterte, dass es trotz der EU-Strategie zur Inklusion aus dem Jahr 2010 an der nationalen Ausgestaltung in Österreich an vielem mangle – so auch auf europäischer Ebene: Nur 43% der Roma und Sinti haben in Europa Zugang zu Bildung und es gibt weiterhin eine starke Segregation. Karoly betonte, dass die angesprochenen Strategien nicht nur für die autochthone, sondern auch für die allochthonen Romnja und Roma gelten sollte. Sehr positive Erfahrungen wurden in Wien mit der Schulmediation gemacht, diese sei ein sehr wichtiges Bindemitglied zwischen Schulen und Familien und gehöre finanziell und institutionell abgesichert. „Ohne Bildung ist man immer Zweite oder Zweiter“, stellte Horst Horvath fest, wenn auch ein Bildungsaufstieg bei der 2. und 3. Generation der Romnja und Roma festzumachen sei. Er plädierte dafür, die Mehrheitsbevölkerung stärker in den Blick zu nehmen, da genau bei dieser sich hartnäckig haltende Vorurteile abzubauen seien. Karin Vukmann-Artner machte auf das spezifische burgenländische Minderheiten-Schulwesen aufmerksam, dass u.a. Romani-Unterricht ermöglicht. Wichtige Kooperationspartner seien die PH Burgenland und die Roma Volkshochschule. Als positive Errungenschaften nannte Emmerich Gärtner-Horvath u.a. die Dialogplattform im Zuge der Roma-Strategie, Bildungs- und Arbeitsprojekte im Burgenland, die Lernbetreuung, sowie schon bestehende und neu einwickelte Lernmaterialien. Er hofft, „dass etwas vom Jahresschwerpunkt von ERINNERN:AT bleibt“, er wünscht sich „stärker offene Ohren der Mehrheitsgesellschaft und, dass Roma nicht nur toleriert, sondern akzeptiert werden.“ 

Insgesamt sei die Beurteilung der Roma-Strategie in Österreich im Vergleich zu anderen Staaten schwierig, u.a. wegen der schwierigen Datenlage. Es ließe sich kaum sagen, wie und in welchem Ausmaß Roma von der Strategie profitieren. Seit den seit 1980er Jahren habe es jedoch zahlreiche Verbesserungen gegeben, v.a. was die Segregation von Roma-Kindern in den Schulen und die hohen Schulabbrecherquoten betreffe.


V.l.n.r.: Moritz Wein, Patrick Siegele, Jan Sisko (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar)

Zwischenfazit und bildungspolitische Desiderate 

Als letzten Programmpunkt, der im Plenum im Granarium auf der Burg stattfand, zog Patrick Siegele gemeinsam mit Moritz Wein und Jan Sisko, beide BMBWF, ein Zwischenfazit und versuchte sich an einem Ausblick. Moritz Wein betonte die notwendige und erfolgreiche Trias aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Forschung sowie der Arbeit des öffentlichen Diensts und der Verwaltung – dieses Zusammenwirken mache viele Gedenkinitiativen möglich. Positiv hob er hervor, dass in den Arbeitsgruppen der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) vieles erreicht werden konnte, u.a. die Etablierung der Antiziganismus-Definition und von Empfehlungen für den Unterricht. Durch das neue Gesetz zur Lehrkräfte-Ausbildung sind die Themen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Sexismus im Lehrplan verankert. Jan Sisko verwies auf die Arbeit des Zentrum polis, besonders auf das aktuelle polis-Heft über Roma in Österreich, auf das nationale „No Hate Speech“-Komitee und unterstrich noch einmal die Forderung nach einer nachhaltig abgesicherten Schulmediation. Als Leerstellen wurden eine eigene Meldestelle für Antiziganismus sowie eigene Materialien zur Prävention von Antiziganismus durch Bildung identifiziert. 


Nuna Stojka bei des Lesung aus Ceija Stojkas Buch „Wir leben im Verborgenen" (Foto: OeAD / APA-Fotoservice / Rastegar)

Lesung aus Ceija Stojkas Buch „Wir leben im Verborgenen“

Der Abend des zweiten Seminartages klang mit einer Lesung und einem Konzert in Zusammenarbeit mit der Deutschen Botschaft Wien aus: Nuna Stojka, Schwiegertochter von Ceija Stojka, las aus Ceija Stojkas Buch „Wir leben im Verborgenen. Aufzeichnungen einer Romni zwischen den Welten“. Es gilt als erste Aufzeichnung einer österreichischen Romni über die Zeit der NS-Verfolgung und Internierung in Konzentrationslagern. 1988 veröffentlicht, wirkte ihr Erinnerungsbericht als mutiger Schritt nach außen, war die Geschichte der Roma und Sinti vom öffentlichen Gedenken in Österreich zu diesem Zeitpunkt doch noch weitgehend ausgeschlossen. In der Folge entstanden zahlreiche Roma-Initiativen und Vereine, viele trauten sich nach 1945 erstmals, ihre Roma-Identität offener zu zeigen. Die Lesung wurde musikalisch von der Leon Berger Band begleitet. Die Leon Berger Band mit Leon Berger (Klarinette), Josef Schmidt (Schlagzeug und Gesang), Markus Sarközi (Keyboard und Gesang) und Martin Horvath (Bass und Gesang) aus Oberwart im Südburgenland (Österreich) lud mit ihrer Musik zu einer musikalischen Reise durch die verschiedensten Länder und Stile der Musik der Romnja und Roma ein.


Gedenkstätte für die NS-Opfer der Gemeinde Langental (Foto: OeAD)

Orte der Erinnerung und heutiges Gedenken 

Drei parallellaufende Exkursionen führten die Teilnehmenden am dritten und letzten Seminartag an zahlreiche Stationen. 

Exkursion I: Oberwart: Gedenkstätte

Die erste Exkursion führte die Teilnehmenden nach Oberwart: zunächst an den Ort, an dem 1995 drei Roma durch ein rassistisch motiviertes Rohrbomben-Attentat getötet wurden und anschließend zur Gedenkstätte, die zur Erinnerung an die Opfer des Anschlages errichtet wurde. Manuela Horvath (Romapastoral der Diözese Eisenstadt) schilderte  vor Ort  die Geschehnisse und erzählte von ihren eigenen Erinnerungen an die Nacht des Attentats sowie von der darauffolgenden öffentlichen Rezeption der Ereignisse. Neben unveränderten Kontinuitäten und Stigmata berichtete Horvath auch von einer lebhaften und gemeinschaftlichen Gedenkkultur, die sich in Oberwart etabliert hat. In diesem Kontext sprach sie von der Wichtigkeit der Selbstermächtigung und erklärte der Gruppe die von Oberwarter Roma und Romnja selbstgestalteten Elemente der Gedenkstätte. Abschließend berichtete sie von weiteren Plänen der Umgestaltung und der Wichtigkeit der jährlich stattfindenden Gedenkfeier. 


Manuela Horvath an der Gedenkstätte in Oberwart (Foto: OeAD)

Exkursion II: Gedenkorte in Burgenland: Oberschützen – Langental 

Die zweite Exkursion mit Herbert Brettl (Netzwerk-Koordinator ERINNERN:AT Burgenland) führte nach Oberschützen, wo sich auf einer Bergkuppe ein monumentaler viereckiger Säulenhof befindet. Errichtet wurde der acht Meter hohe und zwölf Meter breite tempelartige Bau 1938/39 anlässlich des „Anschlusses“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland und wurde fortan „Anschlussdenkmal“ genannt. Der Bau wurde nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft nicht abgerissen und seine Entstehungsgeschichte lange Zeit tabuisiert. Erst nach einer längeren Diskussion brachte die Gemeinde 1997 am sogenannten „Anschlussdenkmal“ eine kleine Gedenktafel an. 


Herbert Brettl mit den Teilnehmenden der Exkursion beim sogenannten "Anschlussdenkmal" (Foto: OeAD). 

Anschließend wurde die Gedenkstätte in Langental besucht, wo den NS-Opfern der Gemeinde gedacht wird, u.a. den mindestens 69 Angehörigen der Romnija und Roma. Der Künstler Peter Kedl schilderte den mitunter schwierigen Entstehungsprozess und seine Bemühungen, die lokale Bevölkerung in die Gestaltung des Denkmals einzubeziehen. Die Erinnerungsstätte steht mitten im Ort, an einem Platz, der auch als Begegnungsplatz genutzt wird. 


Künstler Peter Kedl im Gespräch zu der von ihm gestalteten Gedenkstätte Langental (Foto: OeAD).

Exkursion III: Gedenkstätte Rechnitz Kreuzstadl

Eva Schwarzmayer und Christine Teuschler von der Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S begleiteten die Teilnehmenden im Rahmen der dritten Exkursion zur Gedenkstätte Kreuzstadl in Rechnitz und begannen mit einer historischen Kontextualisierung des Massakers von Rechnitz in die Geschichte der Zwangsarbeiter zum Bau des Südostwall und der Endphaseverbrechen. Davon ausgehend schilderten sie das Massaker von Rechnitz: In der Nähe des Kreuzstadls wurden in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 etwa 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet. Die Exkursionsleiterinnen erzählten über die lange Zeit des Schweigens und die lokalen Bemühungen von RE.F.U.G.I.U.S für die Errichtung eines Gedenkortes. Fragen bezogen sich vor allem auf die wiederholt erfolglosen Suchen nach den Opfern. 


Gedenkstätte Kreuzstadl in Rechnitz (Foto: OeAD)


Schüler Adolf Gussak Junior (burgenländische Roma-Jugend) sprach bei der Gedenkveranstaltung für Roma und Sinti in Lackenbach (Foto: OeAD). 

Gedenkveranstaltung für Roma und Sinti in Lackenbach

Das Zentrale Seminar 2024 endete mit dem gemeinsamen Besuch der jährlichen Gedenkfeier am Mahnmal für Roma und Sinti in Lackenbach. Es erinnert an das ehemalige Anhaltelager Lackenbach, von wo die Nationalsozialisten die burgenländischen Roma und Sinti in die Vernichtungslager deportierten. Der 18-jährige Schüler Adolf Gussak Junior, der für die burgenländische Roma-Jugend sprach, gab den anwesenden PädagogInnen und BildungsakteurInnen einen klaren Auftrag mit: Es gelte mehr denn je in Schulen über die Volksgruppe und ihre Geschichte aufzuklären, denn der Weg zu einem Leben ohne Diskriminierung sei noch lang. 


In dieser Galerie finden Sie alle Fotos des Zentralen Seminars 2024.


Wir bedanken uns bei unseren Kooperationspartnern, dem Roma-Service und der PH Burgenland, allen ReferentInnen und Förderern, die das Zentrale Seminar möglich gemacht haben: Das Bildungsministerium, das Land Burgenland, der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, der Zukunftsfonds und die Deutsche Botschaft Wien.