23. Seminar

Freitag, 17. August 2012 - Freitag, 31. August 2012

Sabbat Shalom

Gleich bei unserer Ankunft in Jerusalem konnten wir einen kleinen Einblick in jüdisches Alltagsleben aber auch in das Thema Holocaust und seine Folgen gewinnen, denn in der Hotelhalle wartete Max Kopfstein bereits auf uns, der 1938 mit sechs Jahren in einem Kindertransport von Berlin nach England fliehen konnte und schließlich mit seiner Familie nach Israel emigrierte. Er hatte es übernommen uns in die nahe gelegene Synagoge zu begleiten. Dort führte er uns zusammen mit dem Kantor der Gemeinde in die Liturgie des Sabbats ein: sie öffneten den Thoraschrein und erklärten uns, welche Stellen am Abend daraus gelesen würden. Max machte auch deutlich, welche Unterschiede es zwischen den verschiedenen Gruppen gläubiger Juden gibt. Zusammen mit seiner Frau Sarah wies er uns dann beim Essen in die Bräuche am Sabbat-Abend ein: er sprach die Segensgebete über Wein und Brot und zusammen sangen sie ein für den Sabbat typisches Lied. In einer gemütlichen Runde nach dem Dessert, erzählten die beiden in einer lebendigen Doppelkonferenz mit weiteren Gesangseinlagen, wie der Sabbat in ihrer Familie gefeiert wurde und immer noch wird.

Nie wieder darf Massada fallen

Am Samstagmorgen trafen wir Shlomit Gross, unsere Reiseführerin. Sie leitet zusammen mit ihrem Mann das Bauhauscenter in Tel Aviv und begleitete uns nicht nur an diesem Tag, sondern auch auf der Fahrt in den Norden und auf der Bauhaustour. Sie erwies sich als äußerst kompetent in Sachen Geschichte des Staates Israels, konnte aber auch zu Landeskunde und Kultur mit vielen interessanten Details aufwarten. In ihren Ausführungen bezog sie auch kritisch zur aktuellen politischen wie gesellschaftlichen Situation Stellung, während sie gleichzeitig deutlich ihre Identifikation mit ihrem Land zeigte. Zunächst brachte sie uns auf den Ölberg, damit wir von dort einen ersten Ausblick auf die Altstadt von Jerusalem genießen konnten. Dann ging es nach Süden zur Festung Massada, wo man uns den nationalen Mythos erzählte und wir auch dessen Bedeutung für die Stiftung einer israelisch-jüdischen Identität sowie für die Förderung und Stärkung von patriotischen Gefühlen in einem Informationsfilm im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt bekamen. Nach einem Bad im Toten Meer, am Kalliabeach, fuhren wir zurück nach Jerusalem, wo Shlomit uns vom Jaffator durch das christliche Viertel der Altstadt in die Grabeskirche, dann durch das muslimische zur Western Wall und nach einem Ausblick auf den Felsendom und die Al Aksa Moschee über das jüdische in das Armenische Viertel begleitete. Während man sich das Auge in der Wüstenlandschaft am Toten Meer ausruhen kann, weil allein die Reduktion der Farben auf verschiedene Gelb-, Brauntöne in der Landschaft und das Blau des Himmels und des Meeres ein Gefühl von Ruhe und Klarheit schafft, sind in Jerusalem wegen der Fülle an Eindrücken alle Sinne gefordert: verschiedene Sprachen, Stimmen, Geräusche, Gerüche, Düfte, Energien auf engstem Raum. Im Zeitraffer von nur eineinhalb Stunden begegneten wir 4000 Jahre Geschichte, den heiligen Stätten von drei Weltreligionen, sahen unterschiedlichste Menschengruppen: junge Soldaten/innen in Waffen an den Checkpoints, traditionell gekleidete muslimische Frauen, orthodoxe Juden mit Schläfenlocken, jüdische Frauen mit Perücken, griechisch orthodoxe Popen mit langen Bärten, etc. Innerhalb von kürzester Zeit wird einem dabei bewusst, wie heterogen die israelische Gesellschaft ist und man beginnt sich zu fragen, wie es gelingt mit dieser Vielfältigkeit im privaten wie politischen Alltag zu leben und zurecht zu kommen.

Yad Vashem: ein Denkmal und ein Name

Durch die sechseinhalb Seminartage in Yad Vashem begleitete uns Daniel Rozenga vom German Desk der International School for Holocaust Education. Seine freundliche Gelassenheit, sein offenes Ohr für alle Fragen, Wünsche, Anliegen und die ruhige Selbstverständlichkeit, mit der er alle Herausforderungen angeht, waren mit ein Grund für die trotz der schwierigen Thematik sehr angenehme und vor allem lockere Arbeitsatmosphäre. Zunächst erhielt die Gruppe eine Einführung in die pädagogische Philosophie von Yad Vashem. Sie besteht im Wesentlichen darin, bei der Behandlung des Holocausts im Unterricht nicht mit abstrakten Zahlen und Fakten zu arbeiten, sondern „eine menschliche Geschichte“ zu erzählen, also über die Biografien von Überlebenden einfühlendes Verstehen bei den Lernenden zu fördern. Auch sollen die Betroffenen der nationalsozialistischen Verfolgungs-,Vertreibungs- und Vernichtungspolitik nicht auf ihren Opferstatus reduziert werden, weil ein solcher Ansatz den Menschen nicht gerecht wird. Sie hatten ein Leben vor dem Holocaust und sie waren danach aktive GestalterInnen ihres Lebens. Daher legt Yad Vashem Wert darauf, dass im Unterricht immer das „Davor, Während und Danach“ aufgezeigt wird, also jüdisches Leben vor dem Beginn der Naziherrschaft, während dieser Zeit und nach 1945. Diesem Konzept entsprechend wurden auch die thematischen Schwerpunkte der Vorlesungen, Präsentationen von Lernmaterialien und Workshops für unsere Gruppe ausgewählt. Die einzelnen Seminartage waren jeweils einem Thema gewidmet. Der inhaltliche Bogen spannte sich vom Rassismus und Antisemitismus im 19. und 20.Jh., von den historischen Aspekten jüdischen Lebens vor und während des Holocaust, dem Holocaust als Ergebnis von menschlichen Entscheidungen bis hin zu dessen Nachwirkungen und Folgen. Wie der Holocaust den Alltag der Überlebenden aber auch den ihrer Kinder prägte und in welcher Weise diese traumatischen Erfahrungen das Eltern-Kind-Verhältnis beeinflussten, zeigte Fabiana Meyochas in einem beeindruckenden und sehr berührenden Ein-Personen-Stück. Sie verzichtet dabei auf jegliche Bühnentechnik oder Requisiten und schafft es allein mit ihrer Darstellungskunst, mit ihrer Stimme, Mimik, Gestik, Körperhaltung, verschiedene Personen auftreten und mehrere Schauplätze lebendig werden zu lassen. In 45 Minuten macht sie durch ihr Spiel die Folgen des Holocausts auf einzelne Menschen sichtbar, spürbar und begreifbar. Eine wichtige Säule im pädagogischen Theoriegebäude von Yad Vashem ist auch der Ansatz, beim „teaching the holocaust“ an die Erfahrungen und die Lebenswelt der Lernenden anzuschließen. Daher gibt es bei den vorgestellten Lernmaterialien zumeist eine klare Altersdifferenzierung bezüglich Aufgabenstellungen und Komplexität der Arbeitsunterlagen. Yad Vashem widmet sich nicht nur der Vermittlung des Holocausts in allen Bildungsinstitutionen, sondern ist vor allem auch die nationale Gedenkstätte zur Erinnerung an den Holocaust. In einer Führung über den weitläufigen Campus wurde uns auch die Entwicklung in der israelischen Erinnerungskultur anhand der architektonischen und künstlerischen Gestaltung der verschiedenen Denk- und Mahnmäler vor Augen geführt: von der Betonung des Heldenhaften in der Aufbauphase des israelischen Staates bis hin zum Anliegen einen Ort zu schaffen, wo Überlebende ihrer ermordeten Familienmitglieder gedenken können. Beim Besuch im Museum wurde uns einmal mehr der prinzipielle Ansatz von Yad Vashem bewusst, den Opfern von damals einen Namen und ein Gesicht zurückzugeben und ihre ganze Geschichte zu erzählen. Das spiegelt sich sowohl in der Architektur als auch in der Konzeption der Ausstellung wieder.

Lohamei HaGetaot: Dialog als Wert

Während der drei Seminartage im Center für Humanistic Education in Lohamei lernte die Gruppe ein weiteres didaktisches Konzept kennen. David Netzer und sein Team setzen auf interaktives, handlungsorientiertes, dialogisches Lehren und Lernen. Die TeilnehmerInnen sind eingeladen als aktive Beteiligte Lernprozesse zunächst persönlich zu erfahren, ihr Erleben zu beobachten und dann zu benennen. Davon ausgehend erfolgt schließlich die Analyse und Reflexion der Lernangebote aus der Perspektive von selbst im Lehrberuf tätigen. Die Lehrenden in Lohamei sehen sich selbst als Lernenden und betrachten ihre Lehrtätigkeit als dialogischen Prozess. Das Programm umfasste Themen, die besonders auch Kinder und Jugendliche betreffen: Außenseitertum, Mobilisierung von jungen Leuten durch die Nazis. Die TeilnehmerInnen hatten Gelegenheit sehr gute Materialienkoffer für den Unterricht (leider nur in Englisch) in der Bibliothek einzusehen. Wir erhielten Einblicke in die Holocaust-Pädagogik mit Kindern, wobei das Konzept des Kindermuseums Yad Layeled ablehnende Reaktionen bei vielen TeilnehmerInnen hervorrief und zu interessanten Diskussionen über Unterschiede in der Museumspädagogik in Israel und Österreich führte. Neben einer Tour durch das Holocaust-Museum gab es eine Einführung in Archivarbeit, wobei die dafür Verantwortlichen sich die Mühe machten, ausschließlich Dokumente mit Österreichbezug zu präsentieren. Das Phänomen Genozid im 20.Jahrhundert und die Frage, wie es dazu kommt, war ein ziemlich schwer verdaulicher Programmpunkt. Die Untersuchung von Mustern in der Beziehung von Minderheiten und Mehrheiten leitete über zu einem Schwerpunkt im pädagogischen Programm von Lohamei, dem arabisch-jüdischen Dialog. Neben dem Kennenlernen der unterschiedlichen Narrative zu historischen Ereignissen, wie dem Krieg von 1948 oder 1967 war das Treffen mit AbsolventInnen des Dialog-Programms, den arabischen und jüdischen Jugendlichen, für uns alle besonders aufschlussreich, vor allem weil sie über ihre Erfahrungen während der Ausbildung und die Auswirkungen auf ihr privates und berufliches Leben berichteten.

Lechaim! Begegnung mit ZeitzeugInnen

Das Essen mit den Mitgliedern des Clubs der ÖsterreicherInnen in Jerusalem und Tel Aviv gehörte zu den Höhepunkten des Israelaufenthalts. Die körperliche und geistige Fitness von Menschen, die in ihrer Kindheit mit Verfolgung, Vertreibung konfrontiert waren oder die den Aufenthalt in Konzentrations- und Vernichtungslagern überlebt haben und die sich alle eine neue Existenz in einem zunächst fremden Land mit völlig anderen Lebensbedingungen aufbauen mussten, ist erstaunlich. Neben den bewegenden Geschichten, z.B. über den Verlust der Heimat, gab es auch lebhafte Berichte von einem erfolgreichen Berufsleben, über ein glückliches Familienleben mit Kindern, Enkel- und Urenkelkindern. Während die meisten

von ihnen sich scheuen mit Österreichern ihrer Altersgruppe zu sprechen, waren alle gern bereit mit unserer Gruppe, den VertreterInnen der zweiten bzw. dritten Generation ins Gespräch zu kommen. Auf den ersten Blick war es beide Male ein gemütliches Zusammensein, bei einem guten Essen, wo mehrmals auf das Leben angestoßen, gescherzt, Witze und Anekdoten erzählt und viel gelacht wurde. Wären da nicht die anderen Geschichten gewesen, aus denen man, wenn sie auch zum Teil mit sachlicher Stimme vorgetragen wurden, noch heute Trauer, Schmerz, Verbitterung heraushört und –spürt.

Fahrt in den Norden und das Programm außerhalb des Programms

Der Besuch im Israel-Museum mit genialer Führung durch Dina Neuberger, der Vortrag von David Rubinger, in dem der 1939 aus Wien vertriebene israelische Starfotograf, seine eigene Biografie auf der Folie der Entwicklung des Staates Israel erzählte und mit Fotos aus seinem Leben und von historischen Ereignissen im Land dokumentierte, sowie der Besuch in Mea Shearim, dem Wohnbezirk der ultraorthodoxen Juden, eröffneten blitzlichtartig Einblicke in die israelische Geschichte und Gesellschaft. Auf der Exkursion in den Norden nach den ersten fünf Seminartagen in Yad Vashem lernten wir mit Shlomit Gross weitere Aspekte des Landes kennen: die geopolitische Bedeutung des Golan, die libanesisch sowie die syrisch israelischen Beziehungen, die Sonderstellung der Drusen, die Bedeutung Israels für Judentum, Islam, Christentum, die Kibbuzbewegung, die Schwierigkeiten im arabisch israelischen Zusammenleben, die Siedlerproblematik, die Herausforderungen einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft. Auch bei der Bauhaustour in Tel Aviv nach den drei Seminartagen in Lohamei begeisterte sie uns zum wiederholten Mal mit ihrer frischen Art zu referieren und mit ihrem profunden Wissen. Beim Baden im See Genezareth am Badestrand des Kibbuzhotels in Ein Gev, am Strand von Naharja und Tel Aviv, sowie beim abendlichen Spaziergang durch Akko und vor allem beim gemeinsamen Essen und Reden erholten wir unsam Ende der Arbeitstage vom sehr intensiven, spannenden, aber auch herausfordernden Seminarprogramm.

Ein gutes Team

Die Gruppe des 23. Israel-Seminars bestand aus 19 LehrerInnen aller Schultypen aus acht Bundesländern und wurde von Irmgard Bibermann und Elisabeth Streibel begleitet. Die Zusammenarbeit mit den TeilnehmerInnen machte uns Freude, denn ihre Arbeitshaltung war großartig: alle beteiligten sich mit Interesse und Engagement am Seminarprogramm in Yad Vashem, Lohamei HaGetaot und an den begleitenden Zusatzveranstaltungen. Die Gruppe begegnete den ReferentInnen mit Offenheit und Respekt, scheute sich aber auch nicht, bisweilen nach vorausgegangenen hitzigen Debatten in den Pausen und beim abendlichen Bier, im Seminar dann deutlich aber konstruktiv Kritik zu äußern. Besonders angenehm empfanden wir als Begleiterinnen den kollegialen Umgang der Gruppenmitglieder untereinander: jede/r arbeitete und kommunizierte mit jeder/m, man begegnete sich mit Wertschätzung und Wohlwollen. Das Gruppenklima war freundschaftlich, herzlich, humorvoll. In ihren Rückmeldungen zum Abschluss des Seminarprogramms im Tal der Gemeinden in Yad Vashem sagten die TeilnehmerInnen, dass sie einerseits während der 14 Tage in Sachen Holocaust-Education sehr viele inhaltliche wie methodisch-didaktisch wertvolle Impulse erhalten haben, dass sie sich dadurch motiviert und inspiriert fühlen und dass sie zum Teil auch neue Sichtweisen entwickeln konnten. Andererseits – so merkten einige an – hätten sich neben vielen Antworten, zahlreiche neue Fragen aufgetan. Und wer Fragen hat, will mehr wissen …


                                         Irmgard Bibermann und Elisabeth Streibel

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