26. Seminar
The brave Austrians - Keine gewöhnliche Seminarreise
Dass nicht alles wie in den Jahren davor ablaufen würde, das wurde uns schon am Samstagnachmittag klar, als uns Shlomit Gross nach unserer Ankunft in Israel nicht wie vorgesehen durch die Altstadt führte, sondern nach Ein Kerem, einem malerischen, italienisch anmutenden Stadtteil von Jerusalem. Der Besuch der Altstadt, vor allem des arabischen Teils, war am Samstag, 5. Juli, von den OrganisatorInnen in Yad Vashem aufgrund von Unruhen in Ostjerusalem als zu gefährlich eingestuft worden.
Bereits an unserem vierten Seminartag gab es am Abend Raketenalarm. Ab diesem Zeitpunkt wurden uns zunächst immer erst die Schutzräume gezeigt bzw. hat man uns über das Verhalten im Fall eines Alarms aufgeklärt. Das ist gewöhnungsbedürftig, wie auch die Tatsache, dass bei der Fahrt in den Norden Micky, unser Busfahrer, aber auch Shlomit, die wir als unerschrockene Reiseführerin kennengelernt haben, zu jeder halben Stunde Nachrichten hörten: Micky, weil seine Tochter mit ihrer Einheit vor Gaza stationiert war, Shlomit, weil ihre 16jährige Tochter allein in Tel Aviv zurückgeblieben ist, wo sie mit dem ständigen Raketenalarm zurecht kommen musste. Auf Shlomits nüchterne Einschätzung der Lage konnten wir uns nicht nur bei der Exkursion in den Norden, sondern auch bei unserem Besuch in Tel Aviv verlassen.
Internationale Konferenzen
Die österreichische Gruppe von erinnern.at ist sowohl in Yad Vashem als auch in Lohamei sehr willkommen. Das zeigte sich im herzlichen Bemühen aller MitarbeiterInnen, uns den Seminaraufenthalt trotz der schwierigen politischen Lage so angenehm wie möglich zu gestalten. So wurden wir zur Opening Ceremony der 9th International Conference on Holocaust Education in Yad Vashem eingeladen und konnten miterleben, wie die nationale Gedenkstätte sich vor internationalem Publikum präsentiert.
In Lochamei HaGetaot erhielten wir als TeilnehmerInnen der Internationalen Konferenz u.a. Einblicke in die Arbeit der Shoa Foundation oder des Holocaust Museums in Johannisburg. Leider kamen dabei pädagogische Konzepte zum Lehren und Lernen über den Holocaust zu kurz. Das wurde allgemein bedauert, wahrscheinlich auch deshalb, weil David Netzer am ersten Tag unseres Aufenthalts im Ghetto Fighter Kibbuz die Gruppe mit seinem Workshop zum arabisch-jüdischen Dialog sowohl methodisch als auch inhaltlich und vor allem als Lehrer begeistert hatte.
Begegnungen mit ZeitzeugInnen
Die Begegnungen mit den ZeitzeugInen beim gemeinsamen Essen mit den AltösterreicherInnen in Jerusalem und Tel Aviv wurden von den TeilnehmerInnen als Highlights angesehen. Die Gruppe traf auf Menschen, die sich noch immer gewandt in der einstigen Muttersprache ausdrücken können, die mit einem wachen Blick auf die alte Heimat und die dortigen politischen Entwicklungen schauen und die trotz traumatischer Erfahrungen im Holocaust aktive und erfolgreiche GestalterInnen ihres Lebens geworden sind.
Eine Zeitzeugen-Begegnung der besonderen Art, war wie immer das Treffen mit Naftali Fürst. Gemeinsam mit ihm schauten wir den Film „Kinderblock 66 – Rückkehr nach Buchenwald“, in dem er als einer der vier Hauptprotagonisten mitgewirkt hatte. Im anschließenden Gespräch mit ihm wurde deutlich, dass er trotz der schrecklichen Erfahrungen in den Todeslagern der Nazis ein dem Leben zugewandter Mensch geblieben ist. Gleichzeitig zeigt er klar auf, welche Folgen der nationalsozialistische Terror an ihm, seiner Familie, an den Betroffenen angerichtet hat: „Wir sind Überlebende, Kohlestücke, die in den Flammen des Schreckens nicht völlig verbrannt sind.“
Die Zweite Generation
Neu zu diesem Thema war in Yad Vashem die Einheit mit Michael Kichka, einem Künstler mit belgischen Wurzeln, der in der Graphic Novel „Second Generation – Things I never told to my father“ sein Leben als Kind eines Holocaust Überlebenden und den Selbstmord seines Bruders verarbeitet hat. Der Mut sehr schmerzliche Punkte in seiner Biografie mit den ZuhörerInnen zu teilen, hat die Gruppe beeindruckt. Michel Kichka gab einen persönlichen Einblick in die Beziehung zu seinem Vater Henri, der 1942 nach Ausschwitz deportiert wurde und dort miterleben musste, wie seine gesamte Familie von den Nationalsozialisten ermordet wurde.
Wie der Holocaust den Alltag der Überlebenden aber auch den ihrer Kinder prägte und in welcher Weise diese traumatischen Erfahrungen das Eltern-Kind-Verhältnis beeinflussten, zeigte Fabiana Meyochas in einem beeindruckenden und sehr berührenden Ein-Personen-Stück. Sie verzichtet dabei auf jegliche Bühnentechnik oder Requisiten und schafft es allein mit ihrer Darstellungskunst, mit ihrer Stimme, Mimik, Gestik, Körperhaltung, verschiedene Personen auftreten und mehrere Schauplätze lebendig werden zu lassen. In 45 Minuten macht sie durch ihr Spiel die Folgen des Holocausts auf einzelne Menschen sichtbar, spürbar und begreifbar. Die Textgrundlage ihres Stücks sind die autobiografischen Romane von Lizzie Doron „Das Schweigen meiner Mutter“, „Es war einmal eine Familie“ und „Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen“.
The Holocaust and me
Die drei Einheiten, in denen es um den persönlichen Zugang zum Thema Holocaust geht, wurden von der Gruppe sehr positiv aufgenommen. In der abschließenden Reflexion betonten die TeilnehmerInnen, dass dieses Angebot wichtig sei für die persönliche Reflexion und das Anbinden des Holocaust an die eigene Biografie.
Die Gruppe
Die 26. Israel-Seminarreise verlief trotz der politischen Lage fast wie geplant. Das verdanken wir einerseits der hervorragenden Organisationsarbeit von Elisabeth Hirsch, andererseits der engagierten Betreuung durch unsere Partnerorganisationen in Yad Vashem und Lohamei HaGetaot, sowie der vorbildlichen Haltung der Gruppenmitglieder. Die TeilnehmerInnen haben die angespannte Situation durchaus wahrgenommen, allein schon deshalb, weil wir aus Sicherheitsgründen nicht alle Reiseziele ansteuern konnten und Schutzräume aufsuchen mussten. Dennoch haben sie diszipliniert und engagiert weitergearbeitet und sind ruhig und gelassen geblieben.
Rafi Vago, einer der Dozenten in Yad Vashem, hat daher die Gruppe als „the brave Austrians“ bezeichnet und Gideon Eckhaus, der Präsidenten des Clubs der Österreicher in Tel Aviv, hat die Tatsache, dass wir nicht abgereist sind, mit einem respektvollen „Kola kawot! gewürdigt und das wiegt mehr als sämtliche Ehrentitel.
Irmi Bibermann, Almud Magis