30. Seminar in Israel - Seminarbericht

Reisend lernen - das 30. Israel-Seminar von _erinnern.at_
Vom 8. bis 21. Juli 2017 reiste die 30. Seminargruppe von _erinnern.at_ nach Israel, um dort über Nationalsozialismus und Holocaust und den methodisch-didaktischen Umgang mit dem Thema zu lernen.

Die zwei zentralen Seminarorte in Israel waren auch diesmal die International School for Holocaust Studies in Yad Vashem und das Center for Humanistic Education im Kibbutz der Lohamei HaGeta'ot (Ghetto Fighter) im Norden Israels. Für die GeschichtslehrerInnen eröffneten sich damit einmal mehr zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Thematik.

 

Lernen über den Holocaust in Yad Vashem

In Yad Vashem wird der Holocaust vor allem als singuläres Ereignis behandelt, die einmalige Dimension dieses Zivilisationsbruches wird sichtbar und die katastrophale Bedeutung der Shoa für das europäische Judentum steht im Zentrum der Betrachtung. Wir erfuhren in Yad Vashem sehr viel über didaktische und museale Konzepte und lernten anhand von einzelnen Fallstudien neue Zugänge und Begrifflichkeiten im Umgang mit dem Holocaust im Schulunterricht kennen. Ein besonderes Erlebnis war das Zeitzeugengespräch mit Naftali Fürst, der als Kind von Bratislava nach Auschwitz und Buchenwald deportiert wurde, und dort in der sogenannten „Kinderbaracke“ überleben konnte. Der in Israel und Europa bekannte Künstler Michel Kichka brachte uns in einer beeindruckenden Vorstellung anhand seiner Graphic Novel „Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe“ die Realität der zweiten Generation nahe.

Die Kombination von hochkarätigen wissenschaftlichen Vorträgen, interaktiven Workshops Museums- und Gedenkstättenrundgängen und persönlichen Begegnungen bietet für GeschichtslehrerInnen eine herausragende Lernumgebung für intensives inhaltliches und methodisch-didaktisches Lernen, das den Umgang mit den Themen Nationalsozialismus und Holocaust und darüber hinaus den gesamten Geschichtsunterricht nachhaltig verändert.

 

Annäherungen an Geschichte und Gegenwart des Staates Israel

Mit dem Guide Uriel Kashi durch die Altstadt von Jerusalem zu gehen, war für die Gruppe ein beeindruckendes Erlebnis. Er zeigte im wörtlichen und übertragenen Sinn die archäologischen Schichten der Stadt auf, die Relevanz historischer Erzählungen für die politische Gegenwart wurde offensichtlich. Die Sozialwissenschaftlerin Gisela Dachs von der Hebrew University öffnete uns den Blick für die aktuelle politische Lage im Mittleren Osten.

Ein bedeutender Bestandteil des Seminars ist die Fahrt in den Norden. Sie verlief heuer erstmals nach einem neuen Plan: Wir reisten bereits am Mittwochnachmittag nach Seminarende nach Tel Aviv, um „die weiße Stadt“, im Volksmund auch „Big Orange“ genannt, zu entdecken. In kleineren Gruppen zogen wir in den beschaulichen Stadtteil Neve Tzedek, ins schöne Yaffo, direkt an den Strand oder auch einfach in den nächsten Club, um das Lebensgefühl Tel Avivs einzuatmen. Das ausgezeichnete Frühstück am nächsten Morgen im NYX-Hotel war die ideale Stärkung für die anstehende Bauhaus-Führung, bei der wir einige Baujuwele kennenlernten. Micha Gross vom Bauhaus-Zentrum brachte uns in gut eineinhalb Stunden das Lebensgefühl seiner Stadt in den 20er und 30er Jahren näher.

Aufgrund des starken Wochenendverkehrs erreichten wir erst spät unsere Unterkunft am See Genezareth. Mit unserem Guide Nasser Dieck ging es Freitag früh nach Safed, einer Stadt mit jahrhundertelanger arabischer und jüdischer Geschichte. Die etwa einstündige Wanderung im Naturpark von Banjas, dem historischen Caesarea Philippi, brachte uns gehörig ins Schwitzen – der sprudelnde Jordan blieb aus Quellschutzgründen leider unerreichbar. Das Mittagessen im Drusendorf Majdl Schams bot die nötige Erholung und Erfrischung. Unsere weitere Fahrt über die Golanhöhen führte uns zu einem Aussichtspunkt oberhalb der UN-Sicherheitszone nahe der syrischen Grenze und zur Burg Nimrod.

Für den nächsten Tag stand zunächst mit dem Besuch von Kapernaum ein Tourklassiker auf dem Programm, ehe wir erstmals auch nach Nazareth fuhren, um dort die Verkündigungskirche und anschließend die weiße Moschee zu besichtigen. Großes Thema waren vor allem für unsere weiblichen Teilnehmerinnen an beiden Orten die Kleidervorschriften. Während wir in der ersten Station mit einer Trillerpfeife eines katholischen Sittenwächters zur züchtigen Bedeckung von Schultern und Knien ermahnt wurden, waren es bei der zweiten die Wächter der Waqf, die Hüter des islamischen Rechts, die mit ihren Umhängen aus Kunsttextilien für unzufriedene Gesichter und schweißtreibende Körpererfahrungen sorgten. Ähnliches erwartete uns auch in Akko in der grünen Moschee, wo wir unsere nächste Station hatten. Der Weg durch die Gassen der Kreuzfahrerstadt führte uns durch die historischen Gewölbe der Zitadelle und den Templertunnel.

Das charmante Hotel „Erna“ in Nahariya, das während unserer Seminartage im Center for Humanistic Education (CHE) unser Stützpunkt war, wurde während dieser Tage zu einer Oase der Erholung.

 

Der Kibbutz Lohamei HaGeta'ot mit dem CHE (Center for Humanistic Education)

Gleich nach unserer Ankunft im Kibbuzgelände tauchten wir mit Tali Shner, Tochter zweier Gründungsmitglieder, zunächst tief in die Geschichte der Kibbutzbewegung ein. Wir erfuhren über die Leistungen und den Mut der Gründerinnen und Gründer, aber auch über den seelischen Druck, den viele Kinder erlebten, als sie im Kinderhaus - von den Eltern mehr oder weniger getrennt - aufwuchsen.

Die Arbeit des CHE, die auf einem universalistischen Umgang mit dem Thema Holocaust beruht und mit arabischen und jüdischen Jugendlichen Anwendung findet, lernten wir in Theorie und Praxis kennen.

In interaktiven Workshops beschäftigten wir uns mit dem Anders- oder Ausgeschlossen-Sein, mit dem Umgang mit Minderheiten und dem Erkennen von gewohnten Handlungen und Regeln als Unrecht gegenüber Dritten. All diese Themen werden am CHE im inhaltlichen Kontext von Nationalsozialismus und Holocaust bearbeitet. Wie dies in einem überaus herausfordernden multikulturellen Umfeld gelingt, war für die österreichischen Lehrer/innen gleichermaßen beeindruckend und relevant: Auch sie sehen sich zunehmend der Herausforderung eines Geschichtsunterrichts im multikulturellen Umfeld gegenüber gestellt. Wir verließen Lohamei HaGeta'ot mit zahlreichen Anregungen für die eigene Unterrichtspraxis.

Begegnungen mit „Israeli Austrians“

Wie immer sind die Begegnungen mit Menschen, die in den 30er Jahren Österreich verlassen mussten und Israelis geworden sind, Höhepunkte der Seminarreise. In Tel Aviv stand das Treffen mit Mitgliedern des Vorstands des Clubs der österreichischen Pensionisten in Israel auf dem Programm. Bei einem gemeinsamen Mittagessen richteten Amnon Klein, Otto Nagler, Zwi Nigall und Gideon Eckhaus, der Leiter des Clubs, einige Worte an uns. Die Erinnerungen an die Machtergreifung Hitlers in Österreich, an den Weg ins damalige Palästina und an ihren weiteren Lebensweg in Israel waren trotz ihrer Schwere und Traurigkeit mit viel Offenheit und Mut vorgetragen.

Gegen Seminarende fand das Treffen mit den „Israeli Austrians“ in Jerusalem statt. Die lebendigen Beiträge aus drei Generationen zeigten die emotionalen Verbindungen der Teilnehmenden zu Österreich über Ort und Zeit hinweg. In lebendigen Tischgesprächen wurden neue Kontakte geknüpft und das gegenseitige Verständnis füreinander gestärkt.

 

Ein Resümee

Wenn unterschiedliche Perspektiven zu Horizonterweiterung beitragen und Widerspruch zu Erkenntnisgewinn führt, dann ist in einer Seminargruppe ziemlich viel sehr gut gelaufen. Die 30. Seminargruppe, die im Namen von _erinnern.at_ nach Israel fahren durfte, zeichnete sich durch eine große Diskussionsbereitschaft auf hohem Niveau aus. Die Zusammensetzung der Gruppe spiegelte die Realität der österreichischen Geschichtslehrer/innen wieder: Berufseinsteiger/innen und erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen, Männer und Frauen, Lehrer/innen aus allen Schularten und aus den verschiedensten Bundesländern und Geschichtslehrer/innen mit unterschiedlichsten Fächerkombinationen. Miteinander und voneinander zu lernen gelang so an jedem Seminartag in vielfacher Weise. Und dass trotz des schweren Themas und der dichten Tage auch viel gelacht und Geselligkeit gelebt wurde, spricht für sich – und vor allem für diese Seminargruppe.

Die hervorragende Vorbereitung der Seminarreise durch Elisabeth Hirsch von _erinnern.at_ und die professionelle und umsichtige Begleitung durch Deborah Hartmann in Yad Vashem ermöglichten einen perfekten Ablauf der Reise in freundschaftlicher Atmosphäre. Dafür bedanken wir uns im Namen der Gruppe sehr herzlich!

Wolfgang Gasser und Adelheid Schreilechner, Begleiterteam


Das 30. Israel-Seminar wurde vom BMBWF finanziert sowie mit einer Förderung des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus unterstützt.