11 Stolpersteine in Klagenfurt verlegt
Ansprache von Frau Felice Greussnig-Preiss:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Festgäste,
Ich bin heute hier für meine Großmutter Hermine Preis, meinen Onkel Felix Preis, seine Frau Lisl und deren Kinder Evi und Peter.
Sie hatten hier in Klagenfurt ihren letzten freigewählten Wohnort.
Meine Großmutter Hermine hat in diesem Haus gewohnt; sie hat hier ihren Alltag gelebt,umgeben von einem Teil ihrer Familie. Beim Novemberpogrom 1938 wurde ein Großteil der Wohnungseinrichtung von Hermine Preis zerstört und hier aus den Fenstern im ersten Stock auf den Platz geworfen. Ab diesem Zeitpunkt durfte sie nur mehr ein Kabinett ihrer Wohnung bewohnen, die restlichen Räume waren Gestapobeamten vorbehalten. Nachdem die NS-Willkürherrschaft die Juden bereits völlig entrechtet hatte verließ mein Onkel Felix mit seiner Frau und seinen beiden Kindern Klagenfurt und ging nach Wien. Dort hofften sie den Anfeindungen und Anpöbelungen entgehen zu können. Sie bemühten sich erfolglos um Ausreisevisa nach Palästina. 1942 wurde er und seine Familie nach Theresienstadt deportiert. Im selben Zug befand sich auch meine Großmutter Hermine. Zwei Jahre nach der Deportation verstarb mein Onkel. Ein paar Monate später wurde seine 36-jährige Witwe Lisl mit ihrer 9-jährigen Tochter Evi, ihrem 8-jährigen Sohn Peter und der 74-jährigen Hermine Preis in Auschwitz ermordet.
Sehr geehrte Festgäste, ich bin in einem freien Österreich geboren und habe die Ermordeten nie kennenlernen dürfen. Durch Geschichten, die mir Menschen erzählt haben, die sie gekannt haben, bleiben sie bei uns und werden nicht vergessen.
Mein persönlicher Bezug zur Shoah wurde vor allem durch die Beziehung zu meinem jüdischen Vater, welcher mehrere KZ Inhaftierungen überlebte, geprägt. Wohl um mich nicht zu belasten, sprach er kein einziges Mal über das Geschehene zu mir. Aus dieser Erfahrung heraus bin ich überzeugt, dass das Verschweigen und Verdrängen der Ereignisse uns weder persönlich voranbringt noch irgendeinen Nutzen für unsere Gesellschaft hat. Mit den Stolpersteinen wird heute ein Zeichen der Erinnerung an die jüdischen Mitbürger in unserer Stadt gesetzt. Die Steine an diesen Stellen repräsentieren für mich ein dauerhaftes Symbol das die Geschichte für jetzt und in Zukunft begreifbar macht. Der heutige Tag erfüllt mich und meine Familie mit Freude.
Daher richtet sich mein Dank an die ÖIG Kärnten und dabei vor allem an Frau Gemeinderätin Mag. Trannacher und Herrn Univ. Prof. Gstettner. Sehr herzlich möchte ich mich auch bei Ihnen, sehr geehrter Herr Bürgermeister, für Ihre Unterstützung bedanken. Vielen Dank auch an den Künstler Herrn Günther Demnig für Ihr wunderbares Projekt. Dankeschön.
Rede von Peter Gstettner:
Sehr geehrte Damen und Herrn,
namens der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, Landesgruppe Kärnten, und als einer der Mitinitiatoren der heutigen Aktion darf ich ihnen ein paar Motive nennen, weshalb wir den Bürgermeister der Stadt Klagenfurt ersucht haben, erstmals 11 Stolpersteine zu setzen als Erinnerungszeichen an jene Klagenfurter Bürgerinnen und Bürger, die vor rund 70 Jahren von hier aus wegen ihres jüdischen Glaubens den Weg in den gewaltsamen Tod antreten mussten:
Es waren unbescholtene, ehrenwerte Bürgerinnen und Bürger, 8- und 9-jährige Kinder, Jugendliche, Eltern und Großeltern, also Erwachsene zwischen 22 und 84 Jahre alt; 11 Menschen wurden unschuldige Opfer des nazistischen Rassenwahns und des Massenmords in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Die meisten von uns haben sie nicht gekannt und dennoch wollen wir uns an sie erinnern,
- weil niemand von uns 6 Millionen Holocaustopfer erinnern kann,
- weil wir keine Schuld haben, aber eine Verantwortung tragen, für die Geschichte und für die Vergesslichkeit der Gegenwart,
- und weil wir glauben, durch die STOLPERSTEINE können wir im Wege der Erinnerung, wenn auch nur symbolisch, diesen Menschen wieder einen Platz in unserer Gesellschaft geben. Denn diesen Menschen wurde nicht nur ihr Hab und Gut geraubt. Ihr Platz in der menschlichen Gemeinschaft wurde getilgt. Es wurde ihnen damit auch ihre Ehre und Würde genommen - und später auch die ERINNERUNG an sie.
Im Babylonischen Talmud können wir den Spruch lesen: „Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit“.
In diesem Sinne hat die Stadt Klagenfurt heute einen Schritt in die Zukunft getan. Sie hat sich ihrer Vergangenheit erinnert. Sie hat damit einen Teil ihrer Vergessensschuld getilgt.
Die Stadt tut heute etwas, das ihr lange kein Anliegen war. Aber sie tut es jetzt aus der Überzeugung heraus, die Namen der Opfer zu erinnern, heißt, ihnen wieder ein wesentliches Attribut des Menschseins zuzusprechen: Denn jeder Mensch hat einen Namen. Ihn zu nennen ist der Beginn jeder mit-menschlichen Einfühlung und Erinnerung daran, dass es eine Zeit gab, in der den Menschen der Name geraubt wurde, in der Menschen nur bei ihrer Häftlingsnummer gerufen wurden, in der Menschen nichts weiter waren als Ziffern und Zahlen in einer schrecklichen Statistik des Todes.
”Jeder Mensch hat einen Namen”, so heißt auch ein Gedicht einer israelischen Dichterin, das ich zum Schluss auszugsweise zitieren möchte[1]:
Jeder Mensch hat einen Namen
der ihm von Gott gegeben wurde
den ihm gaben sein Vater, seine Mutter
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm gaben die Berge
den ihm gaben seine Mauern
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm gaben die Sterne
den ihm gaben seine Nachbarn
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm gaben seine Feinde
den ihm gab seine Liebe
den ihm gab
sein Tod
Selda
[1]Zit in Albrecht Lohrbächer u.a. (Hrsg.): Schoa - Schweigen ist unmöglich. Erinnern, Lernen, Gedenken. Stuttgart 1999, S. 94
Zuordnung
- Region/Bundesland
- Kärnten