Am 15. Mai 2013 um 17 Uhr beim Villacher Denkmal der Namen: Lesung: Die Kärntner Sinti
Die Kärntner Sinti: Erfasst – Vermessen – Ermordet
1936: Aus den juristischen Kommentaren zu den Nürnberger Gesetzen:
Grundsätzlich sollen nur Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes das Reichsbürgerrecht erlangen. Artfremdes Blut ist alles Blut, das nicht dem deutschen Blute verwandt ist. Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur Juden und Zigeuner. Artfremde erhalten das Reichsbürgerrecht grundsätzlich nicht.
August 1938: Rassenbiologische Forschungsstelle, Dr. Adolf Würth:
Die Zigeunerfrage ist für uns heute eine Rassenfrage. So wie der nationalsozialistische Staat die Judenfrage gelöst hat, so wird er auch die Zigeunerfrage grundsätzlich regeln müssen. Die rassenbiologische Zigeunerforschung ist die unbedingte Voraussetzung für eine endgültige Lösung der Zigeunerfrage. Die Lösung dient dem großen Ziel, das Blut des deutschen Volkes vor dem Eindringen fremdrassigen Erbgutes zu schützen.
August 1938: Aus der Denkschrift des burgenländischen Landeshauptmanns Tobias Portschy:
Der Geschlechtsverkehr zwischen Zigeunern und Deutschblütigen muss als Verbrechen der Rassenschande den strengsten Strafbestimmungen unterworfen werden.
Den Zigeunern ist der Besuch der allgemeinen Volksschule verboten.
In öffentliche Krankenhäuser dürfen Zigeuner nicht in Pflege genommen werden.
August 1941: Reichssicherheitshauptamt. An alle staatlichen Kriminalabteilungen:
Betrifft: Eheverbot für Zigeunermischlinge:
Die in der Zigeunerfrage gesammelten amtlichen Erfahrungen haben gezeigt, dass Zigeunerblut die Reinerhaltung deutschen Blutes in hohem Maße gefährdet. Ich bestimme daher, dass Ehegenehmigungsanträge einer besonders scharfen Prüfung zu unterziehen sind, wenn bei einem der beiden Verlobten zigeunerischer Bluteinschlag begründet vermutet wird.
Dezember 1942: Schnellbrief von Reichsführer SS Heinrich Himmler:
Auf Befehl des Reichsführers SS sind Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Personenkreis wird im nachstehenden kurz als zigeunerische Personen bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz.
Im Jahre 1938 lebten, vorwiegend in den äußeren Stadtgebieten von Villach – St. Martin, Obere und Untere Fellach sowie in Seebach – zahlreiche Sinti. Nur wenige überlebten die nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Noch vor kurzem gab es Villacher, die sich daran erinnerten. Das beweisen die Zeitzeugeninterviews, die in diesen Stadtteilen vom Historiker Werner Koroschitz im Jahre 1997 durchgeführt wurden.
Herr und Frau G. erzählen über das Zusammenleben mit den Zigeunern in der Oberen Fellach:
Herr G.: Zigeuner haben wir auch hier gehabt. Die hat die Gemeinde in den Wald gesteckt, die wollten sie nicht im Ortsbild haben, in der Zigeunervilla.
Frau G.: Da haben wirkliche Zigeuner gewohnt, Da war so ein Hüttenwerch und die Zigeunervilla, das war ein ehemaliges Offiziershaus..., Wir sind gerne hineingelaufen zu den Zigeunern, da war der Wurzengraber, der hat Wurzlwerch gegraben und verkauft. Schlangen hat er auch gefangen und das Gift genommen, a schiacher Teifel, aber sehr interessant, wir sind ihm alle zugegangen. Die Schlangen hat er sich um den Hals gehängt. Das waren alle anständige Leut, die Zigeuner, und die Kinder, die sind ja in die Schule gegangen. Die sind in der Früh als erstes durch das Dorf in die Schule gegangen. Die sind nie zu spät gekommen und die waren immer ordentlich beisammen. Weiter als in die 1.Klasse sind sie aber nicht gekommen, fürs Leben waren sie gescheit genug, die haben nicht mehr brauchen. Bei den Zigeunern hat es immer etwas zum Essen gegeben.
Herr G.: Die haben Igel im Lehm herausgebraten und Schlangen haben sie auch gegessen, die waren recht erfinderisch. Im März 1939 haben wir noch gemeinsam mit den Zigeunern Musterung gehabt. Ich war bei der Ersatzreserve I, die Zigeuner bei der Ersatzreserve II. Von denen sind ein paar in die Pionierkaserne eingerückt, aber das hat nicht lange gedauert.
Frau G.: Es war an einem Sonntag, es war furchtbar. Beim Lindl und beim Kohlmesser haben die Leut kegelgeschoben und auf einmal ist ein Auto angekommen und dem Hodli haben die Leut zugerufen: Hodli lauf! Der Hodli hat ja viel Kontakt mit die Leut gehabt und der hat alles liegen und stehen lassen, aber die Polizisten haben schon alles abgesperrt gehabt und sie haben sie zusammengetrieben, auf das Auto aufgeladen und weggeführt.
Im April 1941:
Im April 1941 wurden 52 Kärntner Sinti, darunter viele Kinder, von der Kriminalpolizei verhaftet und an die Kripo Linz in Oberösterreich übergeben und von dieser in das Zigeuneranhaltelager Weyer eingeliefert. Nach Auflösung des Lagers Anfang November 1941 deportierte man alle Häftlinge in das burgenländische Lager Lackenbach. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Lackenbach wurden alle Gefangenen weiter nach Polen in das jüdische Ghetto von Lodz überstellt. Dort wurde notdürftig ein Ghetto im Ghetto errichtet, in welches die Sinti und Roma auf engstem Raum hineingepfercht wurden. Im Jänner 1942 überstellte man diejenigen, die dieses Ghetto bis dahin überlebt hatten, in das Vernichtungslager Chelmno und erstickte sie dort mit Dieselabgasen. Niemand überlebte.
Aus der Chronik des Ghettos von Lodz:
Am 12. November 1941 erhielt die lokale Beerdigungsabteilung den Befehl, sich um die Beerdigung der gestorbenen Personen im Zigeunerlager zu kümmern. Bis heute hat die Beerdigungsabteilung 213 Personen begraben, die im genannten Lager gestorben sind. Gemäß dem Befehl der deutschen Kriminalpolizei ist die Beerdigungsabteilung verpflichtet, jeden Tag um 9.00 Uhr morgens einen Leichenwagen ins Zigeunerlager zu schicken. Da häufig viele Leichen zur Beerdigung bereit liegen, kommen die Leichenwagen jetzt schon um 6.00 Uhr morgens an. Am Anfang bestand die überwiegende Mehrheit der fortgeschafften Leichen aus Kindern. Erst gegen Ende des letzten Monats überstieg die Zahl der Erwachsenen die der Kinder. Die Beerdigungsabteilung erhält keinerlei persönliche Daten über die Leichen aus dem Lager. Die Leichen sind in der Regel nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet.
Im Oktober 1941:
Im Oktober 1941 wurden 65 Personen, Angehörige der Volksgruppe der Sinti, aus dem Stadtteil Seebach von der Villacher Kripo verhaftet und in das burgenländische Lager Lackenbach eingeliefert. Sie erhielten dort die Lagernummern 2453 bis 2517.
Im November 1941:
Im November 1941 wurden von der Kripo Klagenfurt 14 „Zigeuner“ festgenommen und in das burgenländische Lager Lackenbach deportiert. Sie erhielten dort die Lagernummern 2857 bis 2870.
Aber auch in den Seitentälern Kärntens sind immer wieder „fahrende Zigeuner“ aufgegriffen und deportiert worden. Die Deportationen der Kärntner Sinti wurden von der Kriminalpolizei Villach und Klagenfurt organisiert und durchgeführt. Sie standen unter der Leitung des Kriminalinspektors Karl Malle aus Klagenfurt, der nach 1945 weiter im Amt blieb und 1949 zum Leiter der Kriminalpolizei Klagenfurt ernannt wurde.
Frau Anna Volpe aus Seebach, deren Schwester Mathilde mit ihren beiden Kindern damals deportiert wurde, erinnert sich an die Deportation der Seebacher Sinti:
Meine Schwester, die Mathilde, war mit dem Karl Taubmann, einem Zigeuner, zusammen und hatte mit ihm zwei Kinder, die Melitta (1Jahr und 7 Monate alt) und die Isabella (7 Wochen alt). Sie hat damals mit den beiden Kindern noch bei uns in der Kaserne gewohnt. Neben der Kaserne gab es zwei Häuser, in denen die Zigeuner wohnten. Die Polizei ist ganz früh mit Lastautos gekommen und hat die beiden Häuser umstellt. Alle Zigeuner – Männer, Frauen und Kinder – mussten einsteigen. Sie wurden nach Villach auf die Polizeistation gebracht und dort eingesperrt. Die Polizei sagte zu ihnen: „Ihr werdet alle nach Polen gebracht. Dort bekommt ihr Land und Arbeit.“
Als wir in der Früh aufwachten, waren die Zigeuner schon weg und die beiden Häuser waren leer. Wir haben nichts gehört, weil wir auf der abgewandten Seite der Kaserne wohnten. Meine Schwester ist mit den beiden Kindern sofort zur Polizei nach Villach hineingegangen, um zu schauen, was mit dem Karli los ist. Man hat sie und die beiden Kinder gleich drinnen behalten. Meine Schwester hätte nicht mitfahren müssen, aber die Polizei sagte zu ihr: „Die beiden Kinder sind Mischlinge und müssen deshalb weggeschafft werden“. Meine Schwester ist natürlich mit ihren Kindern mitgefahren. Seitdem sind sie verschwunden.
Die Namen der Villacher Sinti scheinen im Tagebuch von Lackenbach nicht auf. Sie wurden weiter deportiert. Mit Erlass vom 1. Oktober 1941 ordnete Himmler die Deportation von 5000 österreichischen Roma und Sinti in das Ghetto von Lodz an. Rund 2000 „Zigeunerinnen“ auch „Zigeuner“ stammten aus dem Lager Lackenbach. Unter den 5000 Deportierten befanden sich und 2689 Kinder. Leider gibt es von diesen Transporten keine Namenslisten. Es besteht die Vermutung, dass der Großteil der Villacher Sinti darunter war. Von den 5000 nach Lodz Deportierten überlebte kein einziger. Elf Personen starben bereits während des Transports, 613 Personen kamen in den ersten Lagerwochen ums Leben. Die restlichen 4383 „Zigeuner“ wurden ins Vernichtungslager Chelmno überstellt und im Jänner 1942 in Gaswägen ermordet.
Verlesung der der Namen – die ermordeten Kinder der Sinti aus Kärnten:
Die elfjährige Josefine Blach, geboren in Greifenburg, KZ Auschwitz
Die sechsjährige Anna Link, geboren in Ferlach, Ghetto von Lodz
Die dreijährige Hertha Link, geboren in Klagenfurt, Ghetto von Lodz
Der zwölfjährige Franz Link, geboren in Villach, Ghetto von Lodz
Die siebenjährige Hildegard Link, geboren in Görtschach, Ghetto von Lodz
Die neunjährige Anna Held, geboren in Pusarnitz, Ghetto von Lodz
Der siebenjährige Hubert Held, geboren in St. Johann, Ghetto von Lodz
Der vierjährige Erich Held, geboren in Sittersdorf, Ghetto von Lodz
Der zweijährige Rudolf Held, geboren in St. Egyden, Ghetto von Lodz
Die siebenjährige Sophie Held, geboren in Kohldorf, Ghetto von Lodz
Die fünfjährige Agathe Held, geboren in Ferlach, Ghetto von Lodz
Der dreijährige Johann Held, geboren in Loibach bei Bleiburg, Ghetto von Lodz
Die drei Monate alte Agnes Held, geboren in Bodental, Ghetto von Lodz
Die vierzehnjährige Franziska Held, geboren in Weidmannsdorf, KZ Auschwitz
Die vierzehnjährige Ida Held, geboren in Unterferlach, Ghetto von Lodz
Die fünf Monate alte Frieda Horvath, geboren in St,Veit an der Glan, Lager Lackenbach
Die siebenjährige Elfriede Taubmann aus Villach, Ghetto von Lodz
Der achtjährige Eduard Seger aus Villach, Ghetto von Lodz
Der dreizehnjährige Max Seger, geboren in Ferlach, Ghetto von Lodz
Der elfjährige Gottfried Seger, geboren in Einersdorf, Ghetto von Lodz
Der zehnjährige Ewald Seger aus Villach, Ghetto von Lodz
Die einjährige Sonja Seger , geboren in Klagenfurt, Ghetto von Lodz
Der fünfjährige Florian Taubmann aus Villach, Ghetto von Lodz
Die dreijährige Kornelia Taubmann aus Villach, Ghetto von Lodz
Der achtjährige Hubert Link, geboren in Zapfendorf, Ghetto von Lodz
Die neunjährige Hilda Link, geboren in Bruggen bei Greifenburg, Ghetto von Lodz
Die zweijährige Margarethe Reinhard, geboren in Spittal an der Drau, Ghetto von Lodz
Der acht Monate alte Johann Held aus Villach, Lager Lackenbach
Die dreizehnjährige Helene Weiss aus Klagenfurt, Todesort unbekannt
Die zweijährige Melitta Pachernik aus Villach, Todesort unbekannt
Die sechs Wochen alte Isabella Pachernik aus Villach, Todesort unbekannt
Die elfjährige Christine Seger aus Villach, Ghetto von Lodz
Die vierjährige Elvira Lutz, geboren in Klagenfurt, KZ Auschwitz
Der fünfjährige Waldemar Schubert aus Klagenfurt, KZ Auschwitz
Die achtjährige Therese Held, geboren in Maria Elend, KZ Auschwitz
Die zweijährige Olga Krems aus Villach, KZ Auschwitz
Der dreijährige Stefan Lichtenberger aus Villach, KZ Auschwitz
Der einjährige Adolf Seger aus Villach, KZ Auschwitz
Der fünfjährige Friedrich Seger aus Villach, KZ Auschwitz
Quellen: Meldezettel des Einwohnermeldeamtes der Stadt Villach. Tagebuch des Lagers Lackenbach, DÖW Nr.11340. Kriminalpolizeistelle Linz, Namensverzeichnis über jene Zigeuner, die am 11. April 1941 von Kärnten aus in das Zigeuneranhaltelager Weyer eingewiesen wurden. Jan Parcer, Gedenkbuch, Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, München 1993. Archiv Werner Koroschitz, VIA-Verein Industriekultur und Alltagsgeschichte, Villach. Josef Nischelwitzer, Archiv der KPÖ Klagenfurt, Anzeige gegen Kriminalinspektor Karl Malle betreffend die Deportation der Kärntner Sinti. Bericht des Oberbürgermeisters des Gesundheitsamtes von Lodz vom 2. Jänner 1942 betreffend eingegangener Meldungen übertragbarer Krankheiten vom Jänner 1942. Romani Rose, Den Rauch hatten wir täglich vor Augen, Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, Heidelberg 1999. Erika Thurner, Nationalsozialismus und die Zigeuner in Österreich, Bibliothek für Zeitgeschichte Wien, D-2175. Hans Haider, 2008, Nationalsozialismus in Villach. Gespräche mit Anna Volpe der Schwester von Mathilde Pachernik und Tante von Melitta und Isabella Pachernik . Gespräche mit Valentin Seger Häftling im KZ Auschwitz. Gespräche mit Rosa Taubmann geb. Schneeberger, Häftling in Lackenbach von 1941 bis 1945. Gespräche mit Peter Gnam ehemaliger Fußballer von FC-Seebach. Gespräche mit Leonhard Blach, Sohn von Anna Blach und Bruder von Katharina Blach und Anna Taubmann und Onkel von Kornelia Taubmann. Florian Freud, 2010, Oberösterreich und seine Zigeuner. Peter Pirker, Wilhelm Baum, Peter Gstettner, Hans Haider, Vinzenz Jobst, Das Buch der 1000 Namen, Die Opfer des Nationalsozialismus in Kärnten, Klagenfurt 2010.
Hans Haider, April 2013
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