Jugendsachbuch „Nationalsozialismus in Niederösterreich"
Stefan Eminger, Ernst Langthaler und Klaus-Dieter Mulley beschreiben auf fast 400 Seiten die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und ihre spezifischen Auswirkungen auf und in Niederösterreich. Dabei legen die Autoren großen Wert auf die biographische Arbeit. In diesem Sinne wird jedes Kapitel mit der genauen Schilderung ausgewählter Lebenswege abgeschlossen. Die dargestellten Personen stehen stellvertretend für die Gesellschaft und ihre Verhaltensmuster, Möglichkeiten und Handlungsspielräume. Wichtig ist die Darstellung der Graubereiche, die in den einzelnen Biographien sichtbar werden. Neben Tätern und Opfern gibt es Mitläufer, Profiteure und solche, die auf unterschiedliche Art und Weise Widerstand geleistet haben. So entsteht ein breites Spektrum und damit die Möglichkeit eines multiperspektivischen Diskurses. Die Kapitel sind thematisch und parallel dazu chronologisch aufgebaut und beginnen mit der Vorgeschichte bzw. mit Grundbedingungen, die zur Stärkung der nationalsozialistischen Ideologie beigetragen haben. Kurz beleuchtet wird beispielsweise die Rolle der Wehrverbände oder der tief verwurzelte Antisemitismus etwa in Verbindung mit der christlich-sozialen Bewegung. Da gerade der niederösterreichische Raum Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle für den ideologischen Unterbau des Nationalsozialismus gespielt hat, wären hier noch zusätzliche Vertiefungen durchaus von Interesse.
Im Kapitel „Machergreifung: Jubel und Angst“ geht es um die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Augenmerk wird hier unter anderem auf die Schaffung eines „Gau-Bewusstseins“ gelegt, handelt es sich doch bei dem zum „Gau Niederdonau“ transformierten Bundesland um den „Ahnengau“ des „Führers“. Als logische Folge werden im nächsten Kapitel die realen Auswirkungen der Machtergreifung und die Spezifika der NS Herrschaft behandelt. Vor allem die NSDAP und ihre Verbände, aber auch die Rolle von SA, SS, Gestapo oder Wehrmacht werden untersucht. Hierbei gehen die Autoren auch auf den Truppenübungsplatz Döllersheim (Allentsteig) ein. In weiterer Folge beschäftigen sich die Autoren mit Besonderheiten des Flächenbundeslandes Niederösterreich, indem sie sich etwa unter der Überschrift „Arbeitswelten“ mit den Auswirkungen nationalsozialistischer Landwirtschaftspolitik auf bäuerliche Traditionen auseinandersetzen.
Wichtig – vor allem für jugendliche LeserInnen – ist jenes Kapitel, in dem die Gleichschaltung von Kindern und Jugendlichen in Niederösterreich behandelt wird. Ein Abschnitt ist auch den Versuchen von Jugendlichen gewidmet, sich der totalen Vereinnahmung zu entziehen. Infolge werden der „Volksgenossenschaft“ die „Gemeinschaftsfremden“ gegenübergestellt, deren Verfolgung und Vernichtung in den kommenden Kapiteln ausführlich thematisiert wird. Dabei ist vor allem die Beschäftigung mit unterschiedlichen Gruppen von Verfolgten wichtig. Anhand von Biographien werden auch hier wieder zahlreiche Einzelschicksale herausgearbeitet. In Zusammenhang mit der so genannten „Endlösung“ wird in Rückblenden auch das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden vor 1938 thematisiert. Großen Raum bekommt auch das Thema „Euthanasie“ in dessen Zusammenhang etwa das Zusammenspiel verschiedener Stellen (u.a. der Schulen) und Verantwortlicher dargelegt wird. Aus aktueller Sicht sind jene Kapitel über „Endlösung“ und „Euthanasie“ besonders wichtig, weil im Zusammenhang mit Covid19 Begrifflichkeiten bewusst oder unbewusst missbräuchlich verwendet werden. Aufklärung ist also höchst notwendig!
Verschiedene VetreterInnen und Formen des Widerstands gegen das NS Regime und die eingehende Behandlung so genannter Endphaseverbrechen – etwa des Massakers von Stein - bilden den Abschluss des Buchs. Im letzten Kapitel werden das Kriegsende, die Befreiung und - sehr knapp - der Umgang mit Geschichte bzw. Erinnerungskulturen behandelt.
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Zuordnung
- Region/Bundesland
- Niederösterreich