Der Fall Franz Bodmann
In der ersten Ausgabe der "Alpendistel. Magazin für antifaschistische Gedenkkultur" hat der Verein für aktive Gedenk- und Erinnerungskultur APC (Alpine Peace Crossing) 2020 auf diese öffentliche Ehrung des mörderischen SS-Arztes aufmerksam gemacht.
Wer war Franz Bodmann?
Franz Freiherr Hermann Johann Maria von Bodmann wurde 1909 in München geboren. 1934 schloss er sein Studium ab und wurde zum Dr. med. promoviert. Schon zwei Jahre zuvor war er 1932 der NSDAP beigetreten (Nr. 1.098.482). 1934 folgte der Beitritt in die Allgemeine SS (Nr. 267.787). Ab 1939 wurde er auch beruflich für die SS tätig: Von Oktober des Jahres bis Juni 1940 und dann wieder von Juli 1941 bis Januar 1942 war er Arzt der 79. Standarte der Allgemeinen SS in Ulm. In dieser Zeit stieg er zum SS-Obersturmführer – einem Offiziersrang vergleichbar mit dem heutigen Rang eines Oberleutnants – auf. Die weitere Karriere des Vaters dreier Kinder im NS-System liest sich wie ein Bericht aus einem Horrorfilm.
Nachdem er Anfang 1942 in den aktiven Dienst der Waffen-SS eingetreten war, wurde er Ende Januar 1942 als Lagerarzt in das KZ Auschwitz versetzt. Wenige Monate später, im Mai 1942, wurde er dort zum Standortarzt bestimmt. In dieser Funktion unterstand er in fachlichen Fragen nicht dem Lagerkommandanten, war jedoch sein Berater in medizinischen Angelegenheiten. Die Position war mit beachtlichen Kompetenzen ausgestattet. So war er nicht nur für die Hygiene und die sanitären Anlagen im Lager verantwortlich; ihm unterstanden nun auch die SS-Truppenärzte (die das SS-Personal betreuten), die SS-Lagerärzte, die SS-Apotheker und die Sanitätsdienstgrade. Aufgrund dieser weitreichenden Kompetenzen war die Einstellung des Standortarztes für die gesundheitlichen und medizinischen Verhältnisse im Lager häufig eine entscheidende.
Teil des organisierten Mordens
Der Fall Bodmanns illustriert in grausamer Weise, wie ÄrztInnen im NS-System ihre Machtstellungen völlig konträr zu jeglicher medizinischen Ethik ausnützten, denn Bodmann zeigte in seiner neuen Position Initiative beim Morden: Berichten ehemaliger KZ-InsassInnen zufolge führte er die Methode ein, kranke Häftlinge mit Phenoleinspritzungen zu töten. Auch er selbst war – anders als manch andere SS-Ärzte, die sich diesbezüglich auf die Befehlsebene zurückzogen – eigenhändig an Mordaktionen mit Phenolinjektionen beteiligt.
Während andere seiner mörderischen Aufgaben wie etwa die Durchführung von Selektionen, nach denen die ausgewählten Häftlinge vergast wurden, – so grausam es klingt – zu den „Standardaufgaben“ von LagerärztInnen gehörten, zeigte Bodmann auch in weiteren Belangen, dass er bereit war, noch weiter zu gehen. So untersagte Bodmann dem Bericht einer ehemaligen KZ-Insassin zufolge beispielsweise, eine angeschossene Jüdin zu verbinden. Das Bild der verblutenden Frau sollte anderen Häftlingen als Abschreckung dienen.
Stationen des Terrors
Bis Mitte August 1942 blieb Bodmann Standortarzt in Auschwitz. Nach einer Fleckfiebererkrankung kehrte er nicht mehr nach Auschwitz zurück. In der Folge war er bis April 1943 1. Lagerarzt des KZ Lublin-Majdanek (Polen). Er dürfte aber zwischenzeitlich zumindest für kurze Zeit im KZ Neuengamme (Deutschland) eingesetzt gewesen sein, wo er offenbar im Herbst 1942 als SS-Standortarzt an der Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener mit Zyklon B beteiligt war.
Bodmann kam in der Folgezeit weit herum: Von April bis August 1943 war er als 1. Lagerarzt im KZ Natzweiler-Struthof (Frankreich) eingesetzt. Anschließend versah er als Chefarzt im KZ Vavaira (Estland) und dessen Außenlager seinen „Dienst“. Ab Mitte September 1944 wurde er im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt bei der Amtsgruppe D (Inspektion der Konzentrationslager) eingesetzt. Mitte Oktober 1944 wechselte er zum Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle. Seit August 1944 war er zudem Arzt in der 5. SS-Panzerdivision „Wiking“. In dieser Formation verblieb er vermutlich bis Kriegsende.
Als Bodmann Teil dieser SS-Division wurde, befand sich diese bereits auf dem Rückzug, zuerst nach Ungarn und nach der Niederlage in der Schlacht um Budapest über die Tschechoslowakei nach Österreich. Nach der allgemeinen Kapitulation der Wehrmacht stellte die „Wiking“-Division ihre Kampfhandlungen am 8. Mai 1945 ein. Viele der Divisionsangehörigen, darunter vermutlich auch Bodmann, gerieten im Salzburger Bezirk St. Johann im Pongau nun in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Stilles Ende im Salzburger Hinterland
Am 25. Mai 1945 beging Bodmann im Lazarett des Kriegsgefangenenlagers „Markt Pongau“ in St. Johann im Pongau Selbstmord. Bestattet wurde er allerdings in Lend am dortigen Soldatenfriedhof. Warum er gerade hier begraben wurde, ist noch unklar. Eine Vermutung lautet, dass der damalige Lender Pfarrer eine Art Krankenlager geführt und hier nicht nur Kranke aus dem Kriegsgefangenenlager in St. Johann gepflegt, sondern eventuell auch bereits Verstorbene hierher zur Bestattung überführt hat.
1950 wurde der hiesige Soldatenfriedhof offiziell als „Ehrenfriedhof“ des Österreichischen Schwarzen Kreuzes errichtet. Er befindet sich heute in einem durch eine kleine Mauer abgegrenzten Teil auf dem Friedhof hinter der örtlichen Kirche. Hier befinden sich zwei Reihen von Steinkreuzen, mehrere Gedenktafeln, eine steinerne Personengruppe und ein geschnitztes Holzkreuz. Auf einem der Steinkreuze findet sich der Name Franz Bodmann. Interessanterweise ist Bodmann nicht der einzige „Auswärtige“, der hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Vermutlich hat dies damit zu tun, dass weitere Tote aus St. Johann hier begraben wurden, denn Bodmanns Name taucht zudem auf einem Holzwappen im Rahmen eines Kriegerdenkmals auf der Rückseite der örtlichen Kirche auf. Hier wird er in einer Liste von zwanzig „Polizeiangehörigen“ geführt, die im Lazarett in St. Johann ihren Verletzungen erlegen seien und in Lend bestattet wurden.
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
Seitdem der Fall Bodmann nun in den letzten Monaten plötzlich wieder aktuell wurde, scheiden sich nicht nur in Lend die Geister darüber, wie man damit umgehen soll. Soll der Grabstein entfernt werden? Oder eine Erläuterungstafel angebracht werden, wie das der Historiker Rudi Leo vorgeschlagen hat?
Die Bürgermeisterin von Lend, Michaela Höfelsauer (SPÖ), wirkt in der Sache sehr engagiert. Schon vor Bekanntwerden der Affäre Bodmann habe man sich in Lend intensiv mit der NS-Geschichte des Orts beschäftigt; 2018 wurde eine Gedenktafel für den von den NationalsozialistInnen verfolgten ehemaligen Pfarrer von Lend, Kaspar Feld, eingeweiht. Nun rasch eine Erläuterungstafel in Sachen Bodmann anzubringen, hält sie hingegen für überhastet. Man wisse noch nicht mit Sicherheit, ob auf dem örtlichen Soldatenfriedhof nicht auch noch andere Gräber vorhanden sind, die zumindest kontextualisiert werden müssten. Dies scheint nicht unwahrscheinlich, denn schon bei kurzer Umschau vor Ort stößt man beispielsweise auf den Grabstein eines Ritterkreuzträgers. Um Fragen wie diese zu klären, habe sie bereits umfangreiche Nachforschungen in Auftrag gegeben.
Gleichzeitig steht die Befürchtung im Raum, das Grab könnte durch die Anbringung einer Erläuterungstafel zu einer Pilgerstätte für Recht(sextrem)e werden. Auch das ist nicht ganz unbegründet, denn schon jetzt wird Bodmanns Grab – als eine der wenigen am Soldatenfriedhof – regelmäßig mit Blumen geschmückt. Bemerkenswerterweise wurde auch das Kürzel „Pol.“ (vermutlich fälschlicherweise für „Polizei“), aus der Inschrift seines Grabsteins gekratzt. Offensichtlich soll er damit als „unpolitischer“ Arzt verharmlost werden.
Was tun?
Fest steht: Es müssen dringend Schritte gesetzt werden, um den Fall Bodmann und seine fragwürdige Würdigung am „Ehrenfriedhof“ aufzuarbeiten. Das Grab zu schleifen ist keine zufriedenstellende Lösung. Auch wenn dies auf den ersten Blick eine einfachere Lösung zu sein scheint als eine unkommentierte Gedenkstätte für einen SS-Mörder, würde damit erst recht wieder vergangenes Unrecht verschwiegen werden. Wünschenswert wäre eine mutige künstlerische und erinnerungspolitische Intervention, um mit der militärischen „Helden“-Inszenierung des Soldatenfriedhofs an sich zu brechen.
So könnte man beispielsweise andenken, den Grabstein Bodmanns und die der gegebenenfalls ebenfalls belasteten weiteren Grabsteine am Soldatenfriedhof umzulegen und auf deren Rückseite historische Kontextualisierungen zu den begangenen Verbrechen einzugravieren. Eine Alternative wäre, das Bodmann-Grab mit Plexiglasscheiben zu umhüllen, auf denen seine Verbrechen aus der NS-Zeit aufgelistet werden und gleichzeitig die Frage nach der österreichischen Erinnerungskultur nach 1945 thematisiert wird.
Bis eine größere künstlerische und historische Aufarbeitung und Kontextualisierung realisiert wird, ist zumindest die Anbringung eine Erläuterungstafel in Form einer öffentlich sichtbaren Stellungnahme mitsamt einer klaren Abgrenzung von den Gräueltaten Bodmanns nötig. Sie könnte damit die Funktion einer (finanziell überschaubaren) Zwischenlösung einnehmen, bis die von Höfelsauer genannten Nachforschungen beendet sind, mit denen eine Neukontextualisierung des örtlichen Gedenkens in Gang gebracht werden sollte. Denn ein unkommentiertes „ehrenvolles“ Gedenken an einen mörderischen NS-Täter wie Bodmann, den Orli Reichert-Wald, die Lagerälteste im Häftlingskrankenbau des KZ Auschwitz-Birkenau, mit den folgenden Worten beschrieben hat, ist keinen Tag länger zu ertragen: „Seine Hände waren die eines Schlächters und seine Augen waren kalte, mitleidlose Fenster.“
Viele Fragen sind noch offen. Nur eines scheint allen Beteiligten klar zu sein: Nach 75 Jahren des Schweigens kann das Grab Bodmanns nicht mehr ignoriert werden. Dass die Gemeindespitze den dringenden Handlungsbedarf erkennt – und das dürfte in der Gemeinde Lend mit ihrer Bürgermeisterin der Fall sein –, kann als vielversprechende Ausgangslage angesehen werden, um sichtbares Umdenken und Umgestalten des örtlichen Gedenkens voranzutreiben. Man kann nur hoffen, dass die Gemeinde nicht allzu lange damit wartet, in Sachen Bodmann aktiv zu werden. Dann wird sich auch zeigen, ob sie bei der Neugestaltung Unterstützung erhält, etwa von der katholischen Kirche oder aus der Politik.
„(Krieger-)Denkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden“ – sieht man den Gültigkeitsbereich dieser vom renommierten Historiker Reinhart Koselleck geprägten Begrifflichkeit auf andere steinerne Zeugen der Erinnerung wie das Grabmal des NS-Verbrechers Bodmann erweitert, so drängt sich eine Umgestaltung förmlich auf, um nicht im problematischen Totengedenken der Vergangenheit verhaftet zu bleiben.
Aktuelle Entwicklungen
Die ursprüngliche Recherche zu Franz Bodmann wurde im Juni 2020 veröffentlicht. Wie bereits weiter oben festgestellt, ist auch die Lender Bürgermeisterin Michaela Höfelsauer nicht glücklich mit dieser unkommentierten Ehrung eines NS-Täters auf dem örtlichen Friedhof. Entscheiden kann sie in diesem Fall allerdings nichts, denn der „Ehrenfriedhof“ untersteht dem Österreichischen Innenministerium, das erklärt hat, dass die Gemeinde nichts daran verändern dürfe.
Seit einem Artikel von Thomas Neuhold in der österreichischen Tageszeitung Der Standard vom 20. April 2021 kommt eine neue Dynamik in die Bewegung. Am 24. April 2021 folgte eine Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komitees, in der das Österreichische Innenministerium aufgefordert wurde, „jetzt umgehend dafür Sorge tragen, daß am Grab von Franz Brodmann über dessen Untaten informiert wird und ähnliche Fälle in Österreich einer dringenden Klärung zugeführt werden“.
Das Salzburger Netzwerk von _erinnern.at_ unterstützt diese Forderungen - es ist endlich an der Zeit, dass hier gehandelt wird!