Neues Erinnerungszeichen für die zerstörte jüdische Gemeinde in Judenburg
Im Rahmen einer Gedenkfeier wurde am 10. November in der Judenburger Messerschmiedgasse feierlich ein Mahnmal für die untergegangenen jüdischen Gemeinden der Stadt eröffnet. Judenburg unternimmt mit diesem Denkmal den Versuch, seine beiden ausgelöschten jüdischen Gemeinden auf dem steinigen Untergrund der Erinnerung in diesem Denkmal wiederzuvereinigen, und das Erinnern an diese in den geographischen Mittelpunkt städtischen Geschehens zu rücken.
Das aus Beton und Cortenstahl gefertigte Kunstwerk besteht aus zwei Ellipsen, die für die beiden jüdischen Gemeinden der Stadt stehen. Die Ellipsen stehen in einem neunzig Grad Winkel zu einander, sie sind in unterschiedlicher Höhe in die Erde eingelassen. In diejenige, die mehr in die Erde versunken ist, sind die Namen der jüdischen Bewohner, die (bis) 1938 in Judenburg lebten sandgestrahlt. In derjenigen, die auf der Erde steht, sind Namen jüdischer Bewohner des Mittelalters der Stadt geschrieben bzw. sandgestrahlt, die über Urkunden noch eruierbar waren. Die Ellipsen sind an zwei Stellen gebrochen, was für den Bruch in der Geschichte der beiden jüdischen Gemeinden stehen soll. Die beiden Ellipsen sollen zudem an Augen denken lassen, die gleichsam über die Zeit wachen. Wenn man von außen auf die Ringe zugeht, sind die Namen spiegelverkehrt zu lesen, erst wenn man sie hineintritt, kann man sie richtig lesen. Damit soll angedeutet werden, dass erst, wenn der Kreis der Geschichte betreten wird und eine Auseinandersetzung beginnt, die Namen wirklich gelesen werden können.
Der Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz betonte in seiner Ansprache, die Eröffnung eines solchen Denkmals sei gewiss kein Anlass zu fröhlichem Feiern. Und dennoch gäbe gerade die Genese dieses Mahnmales außerordentlich Mut zur Hoffnung. Der Anstoß zu diesem Denkmal habe sich aus dem selbst definierten Bildungsauftrag des UNESCO BG/BRG Judenburg, ein Zusammenleben in einer pluralistischen Welt zu lehren, und der Erkenntnis eröffnet, dass multikulturelles, multireligiöses Zusammenleben Tag für Tag ständig aufs Neue geübt werden muss. Und so habe bereits die Arbeit an diesem Denkmal zu einer Begegnung zwischen Jugendlichen, die einander sonst wahrscheinlich niemals begegnet wären geführt. Denn die Begegnungen zwischen Judenburger Schülern und Schülern der Zwi Perez Chajes Schule seien fortan und auf Dauer nicht nur im Realisat ihrer Zusammenarbeit, eben diesem Mahnmal verewigt und vereint; nein, sie hätten als Brücken der Begegnung, der Impressionen und des Erkennens des Gegenübers auch auf Dauer Spuren in deren Lebensläufen hinterlassen.
Was bis vor einigen Jahren noch in großer Eindringlichkeit Zeitzeugen erzählen konnten, müssten in Zukunft immer mehr Museen, müsse immer mehr die Kunst vermitteln. Wir befänden uns gegenwärtig in einem Generationenwechsel, einem Gezeitenwechsel: Nationalsozialismus, Krieg und organisierter Völkermord würden G“tt sei Dank immer weniger lebendige Erfahrung von Zeitzeugen bleiben, und immer mehr zu Ereignissen der Geschichte; sie wechselten von persönlicher, individuell beglaubigter Erinnerung in das durch Wissen vermittelte kollektive Gedächtnis. Auch dieses Denkmal in Judenburg sei Ausdruck dieses Übergangs.
Nichts und niemand sei selbstverständlich, und so wolle er auch zum Ausdruck bringen, dass die steirischen Juden auch die heute in künstlerischer Form eröffnete späte Erinnerung an die jüdischen Gemeinden Judenburgs und die Auseinandersetzung mit deren Auslöschung keinesfalls für selbstverständlich betrachten und zu schätzen wissen würden.
An der Feier nahmen neben Schülern und Schülerinnen bzw. ProfessorInnen des BG/BRG Judenburg teil. Neben dem Bürgermeister und Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz richteten auch der Direktor der Zwi Perez Chajes Schule und der Direktor des örtlichen Gymnasiums Wort an die Erschienen. Neben zwei Schülern der ZPC-Schule war auch Frau Mag. Daniela Davidovits-Nagy für den Elternverein der Schule angereist.
Die Feier fand zudem in Anwesenheit von Frau Evelyn Skolet statt, deren Eltern bzw. Großeltern bis 1938 in Judenburg ansässig waren und nach dem Zweiten Weltkrieg dort ihr Geschäft wiedereröffneten. Frau Skolet wurde nach 1945 in Judenburg geboren und besuchte dort die Schule, ehe sie in den 1970-er Jahren nach Wien übersiedelte. Begleitet wurde Evelyn Skolet durch ihre beiden Söhne sowie zwei Enkelsöhne und eine Schwiegertochter.