Der Novemberpogrom in Vorarlberg - Die Ereignisse in Hohenems im Kontext der NS-Verfolgung

1938 wurde mit dem Novemberpogrom die Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten radikalisiert und systematisiert. Aus diesem Anlass möchten wir Geschichten der Verfolgung aus allen Bundesländern aufzeigen und in Erinnerung halten.

Hohenems nimmt in der wechselhaften Geschichte der Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet Vorarlbergs eine besondere Stellung ein. 1617 entstand dort eine jüdische Gemeinde, welche sich bereits Jahre vor dem so genannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich antisemitischer Propaganda ausgesetzt sah. Beispielsweise im September 1923, als es dort zu Hakenkreuzschmierereien kam oder im Jahr 1926, als eine Einladung zu einer Parteiveranstaltung der NSDAP-Ortsgruppe den Vermerk „Juden haben keinen Zutritt!“ trug.[1] Der Vorarlberger Historiker Meinrad Pichler hält zusammenfassend fest:

 

„Der antisemitische Weg, auf den sich die christlichsoziale und die großdeutsche Partei seit etwa 1880 begeben haben, wird also auch in Vorarlberg von den Nationalsozialisten mit der Vernichtung der jüdischen MitbürgerInnen zu einem radikalen Ende gegangen.“[2]

 

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es in Hohenems zu keinen von der NSDAP systematisch organisierten Verfolgungsaktionen gegen die jüdische Bevölkerung. Zwar drohten Dornbirner Nationalsozialisten wiederholt mit dem In-Brand-Setzen der Synagoge, letztlich wurde aber der Jüdische Friedhof in Hohenems zum Ziel von Schändungsaktionen.[3] Von einem In-Brand-Setzen der Synagoge wurde aufgrund der Befürchtung, dass sich das Feuer auf umliegende Gebäude ausweiten könnte, abgesehen. Daraufhin wurden Fenster der Synagoge eingeworfen und Teile des Inventars entwendet. Auf dem jüdischen Friedhof brachten Angehörige der Hitlerjugend Grabsteine zum Umstürzen.[4]

Eine Woche nach dem Novemberpogrom ließ Bürgermeister Josef Wolfgang, der bereits seit 1933 Ortsgruppenleiter der Hohenemser NSDAP war, die Einrichtung der Synagoge beschlagnahmen – zahlreiche Gegenstände sind bis heute verschollen.[5]

 

Für das erste Halbjahr 1939 lässt sich die letzte Flucht von Jüdinnen und Juden aus Hohenems nachvollziehen.[6] Von der einst über 500 Mitglieder umfassenden Jüdischen Gemeinde blieben schließlich nur mehr acht Personen übrig. Nachdem im Sommer 1940 Clara Heimann-Rosenthal und Sofie Steingraber-Hauser nach Wien verbracht wurden, waren die nationalsozialistischen Behörden der Auffassung, sämtliche Jüdinnen und Juden hätten Hohenems verlassen. Als eineinhalb Jahre später bekannt wurde, dass mit Frieda Nagelberg eine – per Definition durch die "Nürnberger Rassegesetze" – Jüdin im Versorgungsheim von Hohenems lebte, war die Aufregung groß.[7] Nagelberg war in den 1930er Jahren zu den Siebenten-Tages-Adventisten konvertiert und entging dadurch vorerst der Deportation.[8] Da sie nach dem Aufdecken des Sachverhaltes als Jüdin registriert wurde, erging zeitnah die Aufforderung, sie „auf kürzestem Weg nach Wien in Marsch zu setzen.“[9]

 

1938 begann mit dem Novemberpogrom die systematische Vertreibung, Enteignung und dann Vernichtung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Aus diesem Anlass möchten wir Geschichten der Verfolgung aus allen Bundesländern aufzeigen und in Erinnerung halten. Die Berichte stammen Großteils aus unseren Sachbüchern „Nationalsozialismus in den Bundesländern“, der Bericht über die Vorarlberger Ereignisse stammt von Johannes Spies, _erinnern.at_-Netzwerkkoordinator Vorarlberg. Hier finden Sie die Berichte über den Novemberpogrom aus allen Bundesländern: - Link


[1] Harald Walser, Zwischen Duldung und Verfolgung. Zur Geschichte der Juden in Vorarlberg, in: Sturzflüge, 5. Jahrgang (1986), Nummer 15/16, S. 33–39, hier S. 37.

[2] Meinrad Pichler, Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer – Täter – Gegner (Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern 3), Innsbruck 2012, S.176.

[3] Karl Heinz Burmeister, Geschichte Vorarlbergs. Ein Überblick, Wien 41998, S. 192; Dreier, Werner, „Rücksichtslos und mit aller Kraft“. Antisemitismus in Vorarlberg 1880–1945, in: Dreier, Werner (Hrsg.), Antisemitismus in Vorarlberg. Regionalstudie zur Geschichte einer Weltanschauung (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 4), Bregenz 1988, S. 132–249, hier S. 218.

[4] Walser 1986, S. 33–39, hier S. 38–39.

[5] Hannes Sulzenbacher, Die Juden von Hohenems, in: Loewy, Hanno (Hrsg.), Heimat Diaspora. Das jüdische Museum Hohenems, Hohenems 2008, S. 46–219, S. 46–219, hier S. 158–160.

[6] Ebd. S. 160.

[7] Norbert Peter, Die Hohenemser Judengemeinde im Spiegel antisemitischer Beschuldigungen, in: Aaron Tänzer, Die Geschichte der Juden in Hohenems. Unveränderter Nachdruck 1982, Bregenz 1982, S. 825–840, hier S. 836–837.

[8] Pichler 2012, S.174.

[9] Peter 1982, S. 825–840, hier S. 837.

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