Enthüllung der Gedenktafel für die Opfer der NS-Militärjustiz
Zwischen 1943 und 1945 arbeiteten an der Adresse Concordiaplatz 1, die heute vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung als Amtsgebäude genutzt wird, Wehrmachtskommandeure. Diese waren Teil der nationalsozialistischen Vernichtungskriege und bestätigten in ihrer Rolle als sogenannte „Gerichtsherren“ Urteile gegen Deserteure und Kriegsdienstverweigerer.
Diese „Gerichtsherren" hatten erheblichen Einfluss auf die Verfahren der Wehrmachtsgerichte: Sie initiierten die Verfahren, bestimmten das zuständige Gericht und den Richter, und überprüften die gefällten Urteile. Darüber hinaus konnten sie ein Urteil aufheben, bestätigen, eine neue Verhandlung anordnen oder die Strafe zur Frontbewährung aussetzen – was oft einem Todesurteil gleichkam. Der dadurch entstandene große Handlungsspielraum für „Gerichtsherren“ ist somit offensichtlich. Deserteure, sogenannte "Wehrkraftzersetzer" und "Selbstverstümmler", sowie Personen, die den Soldaten bei ihren Fluchtversuchen halfen, wurden von den Gerichten mit drakonischen Strafen bis hin zur Todesstrafe belegt.
Mathias Lichtenwagner vom Verein Personenkomitee „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“, der an der Realisierung der Gedenktafel beteiligt war, wies in seiner Rede bei der Gedenktafelenthüllung auf die sehr späte Anerkennung der Wehrmachtsdeserteure als Opfer des NS-Regimes und den jahrzehntelangen Einsatz des Personenkomitees dafür hin: „Am 1. September 2024 jährt sich der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem Überfall auf Polen zum 85. Mal. Alle, die sich diesem Krieg durch Desertion entzogen, waren „Sand im Getriebe der NS-Kriegsmaschinerie". Seit mehr als 20 Jahren kämpfen wir für die Rehabilitierung der Deserteure, wozu auch die Sichtbarmachung und Erinnerung in der Öffentlichkeit gehört: Das ist 2014 mit dem Deserteursdenkmal am Ballhausplatz gelungen und findet mit der Markierung der konkreten Orte von Verurteilung, Folter und Hinrichtung seine Fortsetzung.“
Der Verein Personenkomitee „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“, bis zu seinem Tod im Jahr 2020 besonders dessen Ehrenobmann und ehemaliger Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani (geb. 1922), setzt sich für die juristische wie gesellschaftliche Rehabilitierung von Deserteuren ein.
Bundesminister Martin Polaschek betonte in seiner Begrüßungsrede die immense Rolle der wissenschaftlichen Forschung für das Umsetzen dieses Anliegens und stellte klar, dass sich das Ministerium „zu seiner erinnerungspolitischen Verantwortung für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ bekenne.
Weitere RednerInnen bei der Enthüllung der Gedenktafel waren Eva Bimlinger, Sprecherin der Grünen für Gedenkpolitik, die gemeinsam mit Bundesminister Polaschek zum Festakt lud, sowie Magdalena Bauer vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW).
Anwesende waren neben VertreterInnen der beteiligten Institutionen unter anderen der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Benjamin Nägele, der Wiener Gemeinderat Nikolaus Kunrath sowie sowie VertreterInnen von ERINNERN:AT.
Die Zitate aus den Reden sind der Presseaussendung des BM für Bildung, Wissenschaft und Forschung von 29.08.2024 entnommen, die auch als Grundlage für diesen Artikel diente: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20240829_OTS0081/bm-polaschek-und-abgznr-blimlinger-enthuellen-gedenktafel-fuer-die-opfer-der-ns-militaerjustiz (Zugriff: 03.09.2024)
Zu Unterrichtsmaterialien über Opfer der NS-Militärjustiz: https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/ausstellungsprojekte/neues-unterrichtsmaterial-zur-ns-militaerjustiz
Interview mit Richard Wadani auf der Website von weiter_erzählen: https://www.weitererzaehlen.at/interviews/richard-wadani
Nachruf Richard Wadani: https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/miscellen/richard-wadani-verstorben