Die Österreicher sind die Letzten?

Die letzten Transporte kamen aus Wien, das zuletzt errichtete Denkmal in Minsk erinnert an die Geschichte der Wiener berichtet Robert Streibel (erinnern.at Netzwerk Wien)

Mit dem ersten Transport kamen Jüdinnen und Juden aus Hamburg, der letzte Transport brachte Wiener. Die ersten Denkmäler stammen aus Deutschland, die letzten aus Österreich, aber so richtig zur Kenntnis genommen wurde die Geschichte der Österreicher in Minsk bislang nicht. Weißrußland, gilt bei uns als letzte Diktatur Europas,. Ein eigenartiges Gefühl ist es bei der Spurensuche nach den ermordeten Juden aus Hietzing und Krems mit dem Direktor der Geschichtswerkstätte in Minsk, zu sprechen. Er beugt sich vor als wollte er mir etwas ganz Vertrauliches zuflüstern und fragt mich bloß: Was ist eigentlich los in ihrem Land? Warum interessiert das Schicksal der Juden niemand, seit sieben Jahren sind sie der Österreicher, der zu uns kommt.
Was es es heisst, die Spuren der Vernichtung zu verwischen, wissen wir defintiv nach der Reise nach Minsk. Noch nie auf den bisherigen Reisen zu den Orten der Vernichtung für die Jüdinnen und Juden aus Hietzing, war der Erfolg des Verscheigens so augenscheinlich: Keine Baracken, keine Zäune, keine Öfen und keine Friedhöfe.

In der ehemaligen Jeschiwa befindet sich jetzt ein Bierlokal und Dynamo Minsk spielt auf jüdischen Gebeinen. Das große Stadium mitten in der Stadt wurde auf dem Platz eines jüdischen Friedhofes errichtet, die Synagogen sind alle zerstört, die letzte aus dem 14. Jahrhundert, die Reste davon sind erst vor wenigen Jahren verschwunden. Bewußte Akte der Tilgung von Geschichte, nicht viel anders ist es mit dem Lager in Maly Trostinez. Eigentlich gab es zwei Lager, ein Lager, in dem auch während der Sowjetzeit Gefangene erschossen wurden, während der Stalinzeit. Damit dies nicht ans Tageslicht kommt, wurde über den Toten ein Mistplatz errichtet, heute ist es ein mächtiger Berg. Auf dem Müll der Geschichte, unter dem Müll, da liegt die Geschichte.  In Maly Trostinz, der Endstation für soll es jetzt doch ein Denkmal geben, eines das europäischen Standards entspricht hat sogar der Präsident gemeint. Doch natürlich gibt es wichtigeres als Denkmäler, solange es keine Synagoge, keine Schulen gib für die jüdische Gemeinde. Im Jahr 1926 waren 40% der Einwohner von Minsk Jüdinnen und Juden, heute sind es vielleicht 1,7%.

In Minsk sind die Hochhäuser immer ganz nah, die alten geduckten Häuser sind nie allein in der Weite der Stadtlandschaft, immer sind die hohen Brüder und Schwestern da, Glastürme und wenn es eine Werbung geschafft hat, dann ist dass so selten wie ein Gipfelsturm vor Jahren auf einen 8.000er. Heute gibt es auch auf den höchsten Gipfeln eine Warteschlange. In Minsk sind die Gipfeln noch unbeleuchtet, zu wenig gibt es vielleicht zum Bewerben, vielleicht. Also die ehemalige Jeschiwa ist im Schatten der hohen Häuser auch in der Nacht und am frühen Abend unverkennbar, denn Licht ist ein Begleiter in Minsk, keine dunkle Diktatur, Diktatur schon, aber eine mit Weihnachtsbeleuchtung und die Stalinbauten sind verschiedenfarbig beleuchtet, fast in den Nationalfarben, also Rot und Grün, ersteres ist zu einem Schweinwerfer-Orange geworden, aber stalinistische Architekturfetischisten haben hier ihre Freude unverstellt von Werbung liegen sie da die Fassaden.
In der ehemaligen Jeschiwa ist viel los an diesem Abend, Freitag ist es, wir lernen die Trinksitten kennen, wie das ist mit einem Wodka und dem zweiten, dass die Trinksprüche ab dem fünften erst überflüssig sind. Wer zu spät zu einer Einladung kommt, muss ein ganzes Glas Wodka austrinken, um gleichzuziehen. Dass Flüssigkeiten in Gramm gefragt warden, daran kann ich mich nicht gewöhnen, ja mit der naturwissenschaftlichen Bildung liegt es im Westen im Argen. Unser Begleiter Konstantin hält sich an das Trinkverbot, wir können ganz locker in seinem flachen Auto heimfahren und wieder russichen Rap hören, das gehört nach einigen Fahrten mit ihm fast dazu.
Als wir dann am Sonntag nach Maly Trostinez fahren, sitzt Katarina, seine Mutter hinter dem Lenkrad des Renault, denn Konstantin der Medizinstundent hat gefeiert am Abend, es ist früh geworden und am Nachmittag wissen wir definitiv, warum er etwas schweigsamer ist als sonst, ein Freund ruft an und fragt was er gestern gemacht habe, nicht Konastantin sondern er, der Anrufer, er könne sich nicht mehr erinnern. Alle haben gestern viel getrunken. Trinksitten in der Praxis, was sollte es sonst auch hier zu tun geben, Rap im Auto, Wodka bei Freunden, aber den bjelorussischen Wodka. Als wir auf unsere polnischen Büffelgras-Wodka- Erfahrungen hinweisen, da kann Konstantin nur lachen, das ist doch kein Gemack, aber in einem Zug müsse man ihn trinken, warum schmecken, auf einen Zug runter, so sei das eben, ob polnischer oder bjelorussischer Wodka.

Nach zwei Tagen kommen uns die Straßen noch breiter vor, weil wir auf ihnen gegangen sind. Stadtplanung ist eine nachhaltige architektonische Entscheidung. Die Menschen fühlen sich hier klein und verloren, es sei denn sie werden größer und haben größere Schritte, damit sie die Distanzen nicht mehr so spüren. In Minsk ist es eine Entwürdigung, zu Fuss zu gehen, es  ist eine Herausvorderung und die Höhe der Gebäude, abweisend und kolonial, alles nach 1945 gebaut, kein Stalin-Zuckerbäckerstil, Stalin-Empirestil. Gegenüber unseres Hotels liegt die Post, auf den ersten flüchtigen Blick sieht es aus wie das Belvedere nur mit Hammer und Sichel und sonstigem Inventar.

Minsk Endstation für 9.600 österreichische Jüdinnen und Juden, deportiert, um erschossen zu werden. Rückblickend müssen wir feststellen, dass wir mehr erreich haben mehr erreicht bei unserer Fahrt auf den Spuren der Deportierten, Nick Mangafas der Fotograf und ich. Mehr als wir uns gedacht hatten. Eigentlich hatten wir keine Vorstellungen nur Vorurteile, doch was könnte man anderes haben vor einem Besuch in Weißrußland. Eines ist klar, was hätten wir getan, wenn wir Konstantin nicht gefunden hätten, ohne Begleitung, wir hätten hier keine Chance, denn selbst die Einheimischen, die wenigen Kundigen tuen sich schwer, die Spuren der Shoa zu finden, denn zu sehen sind sie nicht. Die jüdische Geschichte wurde geschickt versteckt. Bei den Denkmälern ist immer von sowjetischen Opfern die Rede. Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass es ein Denkmal in Minsk gibt – seit 1947-, wo das erste Mal in der Sowjetunion die hebräische Sprache auch in Stein gemeiselt war, das Mahnmal in Jama, der Grube, einer der Gruben, in die die Juden getrieben und hineingeschossen wurden, Tausende, Zehtausende waren es, deutsche Handarbeit. Umgeben von Frisch gestrichenen Wohnhäusern, die letzte Grube mitten in der Stadt, heute steht dort die Figurengruppe von Leonid Lewin, gesichtslos und namenlos stolpern die Figuren in die Grube. Ein kleiner Bub rodelt den steilen Abhang hinunter, eine Rodelbahn auch wenn nicht viel Schnee liegt.

Wohin kamen die Juden, wenn sie nicht ins Ghetto nach Minsk gebracht wurden? Das Vernichtungslager Maly Trostinez, eine Abfahrt nach der Straße der Partisanen, die aus Minsk führt, Plattenbauten in der Ferne und Kleingartensiedlungen. Vier junge Hunde bewachen die Gedenkstätte, das Denkmal, wo von sowjetischen Kriegsgefangenen die Rede ist, eingezäunte durch einen kniehohen Metallzaun aus Rohren geschweißt, die einmal grün gestrichen waren. Es wäre ein Leichtes für die Hunde durchzuschlüpfen, doch sie scheuen sich, warum? Political correctness kann es nicht sein, wer draußen ist kann leichter hineinbellen. Vielleicht ist es das, zumindest war es so als wir dort waren. Im Hintergrund raucht ein Schornstein, kleine Häuser, keine Gartenidylle zumindest nicht im Winter. Die Perspektive stimmt, die Bäume hinter dem Denkmal, die im sumpfigen Gelände stehen, an diesen Bäumen werden wir die gelben Tafeln für die Hietzinger und die wenigen Kremser JüdInnen anbringen, nicht angemeldet und schnell, gehen wir ans Werk. Laminierte Tafeln. Wie lange ist die Halbwertszeit für Plastik und für Draht? Für die nächsten 50 Jahre könnte dieses Gedenken reichen. Eine Arbeit von 30 Minuten. Die Wirkung im Schnee ist nicht zu übersehen, Gelb und Weiss ein Kontrast. Nick fotografiert und ein Mann, der in der Siedlung wohnt, der seinen Müll in den Container wirft, kommt vorbei, die Hände von einem zu reparierenden Vergaser schmutzig oder Schwarz von einem Ölwechsel. Was will er uns sagen? Wir haben die richtige Farbe gewählt, wie sich herausstellt, er glaubt, wir markieren die Bäume, die in Kürze gefällt werden sollen und zeigt uns zwei sehr alte Bäume, die, wenn sie umfallen, seine Hütte bedrohen. Wir müssen ihn enttäuschen, wir markieren Bäume nicht damit sie umgeschnitten warden. Wir machen Bäum zu Denkmälern. Wenn unsere Tafeln den Winter überstehen haben wir gute Chancen, dass dieses Denkmal Bestand hat, denn wir sind im Sumpf gewandelt, sicher nur durch den Frost. Im Frühjahr ist hier kein Durchkommen.

Beim alten jüdischen Friedhof gegenüber des Hochhauses mit einer Zahnklinik, wäre es etwas anderes gewesen, durch diesen kleinen Park gehen viele, er ist leicht zugänglich, hier haben wir die Tafeln für das Foto nur arrangiert, das hält auch auf der Website und auf youtube solange es eben Elektrizität gibt. Eine Reihe von Gedenksteinen, der jüngste Stein stammt aus Österreich, die Österreicher waren der letzte Transport, der nach Minsk gebracht wurde und der letzte Stein der gesetzt. Doch so richtig kümmert sich niemand um die Geschichte der Österreicher in Minsk. Seit 7 Jahren gibt es die Geschichtswerkstatt, aber einen Kontakt zu Österreich gibt es nicht, wenn dann nur einen offiziellen. Als der Gedenkstein eingeweiht wurde, da kam jemand von der Österreichischen Botschaft aus Moskau und ein Vertreter des Innenministeriums, mehr nicht, Berlin hatte eine Abordnung mit rund 50 Menschen geschickt. Die Frage der Schuld ist für Deutschland keine Frage, bei Österreich ist das schon etwas anderes. Und im small talk meint unsere Führerin, wir waren schon entsetzt über die offizielle Ansprache, als es hiess, die Österreicher waren eigentlich auch ein Opfer des Nationalsozialismus. Das hier in Minsk, wo Tausende ermordet wurden und wo Österreicher Dienst in der Wehrmacht und der Polizei versehen haben.
Die Geschichtswerkstatt liegt unmittelbar neben den Resten des ehamligen jüdischen Friedhofes.  Die Initiative wird von Deutschland finanziert. ein Holzhaus, früher ein Wohnhaus, mit einer kleinen Ausstellung über die Gedenkstätten von Lewim, mit Bildern über Minsk und das Lager in Trostinez. Es gibt nicht viele Fotos aus dem Ghetto, in den Fenstern kleben Fotos von Opfern aus dem Ghetto, von Zwangsarbeitern. Als die Juden aus dem Westen kamen, haben die Menschen in Minsk gestaunt, sie dachten zuerst da kämen Schauspieler, so gut gekleidet, teure Mäntel und so viele hatten Musikinsturmente mit. Sie kamen am Bahnhof in Minsk an und mussten den Weg mit dem Koffern zu Fuss zurücklegen. Das Ghetto wurde bereits zwei Wochen nach der Einnahme der Stadt Minsk durch die Deutschen errichtet. Der Winter im November 1941 war kalt, der Boden gefroren und eine Beerdigung der Toten war im Winter nicht möglich, so wurden die Toten in eigenen Häusern aufbewahrt, gestapelt, 300 Tote in einem Haus.

Shabatt im Studentenklub, das Verhältnis zu Israel, eine besondere Geschichte in Minsk. Als Jude ist man ein Exot im Land und wer sein Handy anmeldet und den Pass vorzeigt und den Namen buchstabieren muss, der wird vielleicht gefragt, steht die Nationalität noch im Pass wie in der Sowjetzeit? Kasssache, Russe, Jude. Bei uns würde dann im Pass stehen: Steirer, Katholik und Jude oder wie? Israel das ist ein offenes Tor, denn nach Israel ist eine Ausreise jederzeit möglich, die Heimholung der Juden. Aber gleichzeitig werden auch die jüdischen Gemeinden im Land unterstützt, es gibt ein israelisches Kulturinstitut in Minsk. Gleichzeitig gibt es gute Beziehungen zu den arabischen Staaten und viele StudentInnen  aus diesen Ländern. Da Konstantin ein Magnadavid am Hals trägt, fahren manche Stundenten nicht mit ihm im Aufzug, parken das Auto nicht neben seinem, von einem Ansprechen ganz zu schweigen.                

Über die jüdische Geschichte wurde in der Sowjetunion lange nicht gesprochen, erst nach der Wende 1990, das kleine jüdische Museum am Campus besteht nur aus einem Raum. Die Arbeit mit Schulklassen ist sehr erfolgreich, Wettbewerbe hat es bereits gegeben, Kinder sollten über die Shoa zeichnen und schreiben und 1.000 haben mitgemacht. Wie soll der Holocaust unterrichtet werden. Wir würden gerne mehr darüber wissen, aber ein Projekt, das wir eingereicht haben wurde, abgelehnt meint die Direktorin.

Die Opfer haben in den seltensten Fällen ein Gesicht, ein paar Tagebücher sind erhalten unter anderem auch eines von einem Wiener, ins Russische übersetzt, aber die Herausgabe im Deutschen, die verzögert sich noch. Vielleicht können wir nun die Auseinandersetzung über die Österrechischen Jüdinnen und Juden beginnen, meint der Direktor der Gedenkstätte, wir könnten doch eine kleine Ausstellung gestalten, die erste Ausstellung über Österreicher.


Das legendäre Fußballspiel zwischen eine Mannschaft aus Minsk und einer deutschen Mannschaft fand hier statt, eine Legende. Im ersten Spiel werden die Deutschen vernichtend geschlagen, obwohl die bjelorussische Fußballer ohne entsprechendes Schuhwerk spielt. Die Revancve findet unter besonderen Umständen statt, wenn die Mannschaft aus Minsk nicht verliert, dann sollen alle Spieler ermordet werden. Der Kapitän der Mannschaft macht alles klar, wir verlieren nicht und ein weiterer Sieg. Ob es tatsächlich im Anschluss eine Ermordung von Spielern gab, das ist nicht geklärt. Es gibt einen Film über das Wunder von Bern, als sich die deutsche Mannschaft nach dem Krieg wieder in die Erinnerung der Öffentlihckeit schuss. In Minsk gab es kein Wunder und so gibt es auch keinen Film. Oder besser weil das Wunder in Minsk stattfand gibt es darüber keinen Film.