Wenn ich ein Fremder wäre... Mit einem Taxler in Salzburg unterwegs am Tag, als Barbara Rosenkranz ihre Kandidatur bekanntgab
Wenn ich von einem anderen Stern wäre oder einfach ein Fremder, der in Österreich ankommt, in den Zug steigt und diesen in Salzburg verlässt, um dann mit dem Taxi in ein Altstadthotel zu fahren, dann hätte ich bei der fünfzehnminütigen Fahrt wohl die erste Gelegenheit, mit einem Einheimischen in Kontakt zu treten. Taxler als Indikatoren für die Volksseele, eine moderne Beichtstuhl-Situation: Jeder spricht vor sich hin, ist nicht gezwungen, dem anderen ins Gesicht zu sehen und so fällt vieles leichter, die Zunge löst sich und die Gedanken fliegen ganz leicht und unbeschwert durch den Fahrgastraum, wie Bazillen bei einem Nies-Anfall.
Ich bin weder von einem anderen Stern und noch ein Fremder, aber mit dem Taxi bin ich in Salzburg gefahren, am Tag als eine gewissen Rosenkranz ihre Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten bekanntgab. Der Grund der Reise ein Treffen jener LehrerInnen, die im Netzwerk von erinnern.at die Holocaust-Education koordinieren.
Die Vorrede lässt nun gewisse Erwartungen sprießen, vorsichtig wie die ersten Schneeglöckchen, voreilig wie ein Glückbambus oder ganz unerwartet wie das Grün im Jordantal im April. Gedanken so eng wie der Fahrgastraum, so beschränkt wie der Wunderbaum, der am Rückspiegel baumelt und Ressentiments so sicher wie der Stau auf der Fahrt in die Altstadt. Und als wir im Stau stehen, ist der Tunnel durch den Kapuzinerberg noch Thema, den einige verhindern diesen Bau, und die geben sich als Grüne aus. Haben wirklich auch Adelige Grundstücke am Berg? Mein Fahrer ist wütend und würde gerne selbst eine Tunnelbohrmaschine bedienen, damit alles erledigt ist.
Als wir eine der vielen Kirchen passieren, will er endlich ein Bekenntnis von mir, will wissen, was ich in Salzburg mache und was ich von Beruf sei. Es gibt Tage, da ist mir nicht nach Outing und ein Historiker mit Schwerpunkt NS-Zeit und Juden in einem Taxi, das ist der beste Katalysator. Mit meinen vagen Antworten gibt er sich nicht zufrieden mein Lenker und mit meinem Hinweis Historiker zu sein, da hat er den Fuß in der Tür und dann fällt der Nationalsozialismus so plötzlich, wie die Braunen damals 1938 dann im Land waren und...
Jetzt möchte ich bei der Rotphase an der Ampel noch die Geduld auf die Probe stellen, um die Erwartungen der Leserinnen und Leser auszukosten. Könnten wir jetzt abstimmen lassen, welchen Verlauf das Gespräch nimmt, die Variante mit den Ressentiments oder mit dem Verebben des Gesprächs, mit dem plötzlichen Themenwechsel wäre wohl noch die wohlmeinendste Möglichkeit. Vielleicht würde er sagen, um ganz aktuell zu sein. “Wenn ein Österreicher einen Nazi spielt, dann ist er sofort ein Oscar-Kandidat, das ist doch klar”, um einen entsprechenden Ärger mitschwingen zu lassen.
Die Rot-Phase ist zu Ende und jetzt kommt die Zeit der feien Fahrt und der Offenbarung. “Da sind sie in Salzburg ja gerade richtig, denn die haben alles immer vertuscht, da sind die Hakenkreuzfahnen auf den Kirchen gehangen und von der Kanzel wurde gepredigt, dass es eine Freud war und nachher konnte sich keiner erinnern. Wissen sie ich beschäftige mich schon lange mit dem Thema, das ist mein Steckenpferd.” Und plötzlich sind wir nicht mehr in Salzburg, sondern er berichtet von seinen Besuchen in Mauthausen, in Dachau und er ist interessiert, über das Treffen mit den LehrerInnen von erinnern.at mehr zu erfahren und wenn ich nicht zu spät wäre, ich würde sicherlich noch eine gute halbe Stunde vor dem Hotel stehen im fahrenden Beichtstuhl. “Und wenn Sie zurückfahren, ich gebe Ihnen meine Karte, dann hole ich Sie ab und sie können mir erzählen wie ihr Treffen verlaufen ist.”
Einen Tag später bin ich kaum eingestiegen in das Taxi will er schon wissen, ob es Differenzen gegeben habe in der Einschätzung. Zum Nationalsozialismus, da muss es doch Diskussionen geben... Die geplanten Aktion rund um den Gedenktag am 5. Mai mit einem Zug des Erinnerns, mit dem rund 130 SchülerInnen von Wien nach Salzburg fahren werden um über ihren Zugang zum Erinnern an die NS-Zeit und ihre Opfer zu berichten und zu diskutieren gefällt ihm. Vor dem Bahnhof kenne ich dann noch sein Spezialgebiet, denn ihn interessiert vor allem, wie es zu dieser langen Feindschaft zwischen Katholiken und Juden gekommen sei, wo es doch eine gemeinsame Wurzel gäbe, er sei da in Kontakt mit einer jüdischen-messianischen Gemeinschaft, doch mehr erfahre ich nicht mehr, denn der Railjet nach Wien hat zwar gelegentlich Verspätung, aber warten tut er sicher nicht.
Wenn ich von einem anderen Stern wäre oder ein Fremder, ein Taxler wäre mein erster längerer sprachlicher Kontakt mit Einheimischen. Ich bin weder von einem anderen Stern noch ein Fremder, aber vielleicht kenne ich das Land doch nicht so genau und das ist doch gut so. Hoffnung ist möglich trotz Rosenkranz, denn es gibt zumindest einen antifaschistischen Taxler in Salzburg.