Projektbericht: „Mit 360-Grad-Fotos gegen das Vergessen“

Im Erinnerungs- und Kunstprojekt DERLA_360 kooperierte der Anne Frank Verein Österreich mit der Mittelschule 1 in Wörgl und zwei lokalen Künstlern, um Wörgls Monumente in einem virtuellen Rundgang mit 360-Grad-Fotos darzustellen. Dabei verwendeten die Schülerinnen und Schüler auch künstlerische Techniken, um in erster Linie ihrem eigenen kritischen Umgang mit den Monumenten Ausdruck zu verleihen. Ein Bericht von Aaron Peterer (Anne Frank Verein).

Mit großer Begeisterung startete die Artec Klasse 4c der MS1 am 29. November 2023 einen mehrtägigen Workshop mit Aaron Peterer vom Anne Frank Verein und den Künstlern Mike Zangerl und Robert Freund. Zunächst beschäftigte sich die Klasse mit Monumenten und Erinnerungskultur im Allgemeinen und lernte, wie verschiedene Kulturen und Länder, der Erinnerung an Verfolgung und Leid im öffentlichen Raum Platz geben.

Beim folgenden Rundgang zu fünf Monumenten in Wörgl bekamen die Schülerinnen und Schüler einen ersten Eindruck von Monumenten und Gedenktafeln, die an die Opfer der Nationalsozialisten, aber auch an gefallene Soldaten der beiden Weltkriege, erinnern. Mike Zangerl, der die Gedenktafel für die „Euthanasie“-Opfer am Friedhof Süd initiiert und gestaltet hat, konnte zu mehreren Monumenten die Entstehungsgeschichte und damit auch die Hürden auf dem Weg zur Umsetzung und schlussendlichen Anbringung dieser Zeichen der Erinnerung, erläutern.


Workshop "Das perfekte Monument" (Foto: Aaron Peterer)

Abgerundet wurde der Rundgang mit einem Besuch im Museum Wörgl. Die dort aufbereiteten Informationen zum ehemaligen NS-Durchgangslager im Wörgler Stadtteil Söcking vertieften das Wissen der Schülerinnen und Schüler über die Zeit des Nationalsozialismus in ihrer Heimatstadt. Zurück in der MS1 starteten die Nachforschungen mit DERLA, der Digitalen Erinnerungslandschaft Österreichs, um die gewonnen Eindrücke und Erfahrungen vom Rundgang zu den Monumenten, mit Fakten und Hintergrundinformationen zu diesen Monumenten zu vertiefen. 


Nachforschungen mit der Digitalen Erinnerungslandschaft (Foto: Aaron Peterer)

Nach technischer Unterweisung zum Gebrauch der 360-Grad-Kamera wurden in der Artec Klasse am zweiten Workshoptag zwei Gruppen gebildet: Während eine Gruppe mit Workshopleiter Aaron Peterer vier ausgewählte Monumente mit der für den Workshop angeschafften 360-Grad-Kamera fotografierte, blieb die zweite Gruppe mit den Künstlern Mike Zangerl und Robert Freund im Klassenzimmer und begann mit der Gestaltung eines 4m x 1m großen Gemäldes. In den Augen der Schülerinnen und Schüler sind alle besuchten Monumente zu grau, auch ein Grund dafür, dass diese Monumente nicht sichtbar genug sind. Daher versprach das Gemälde, mit den darin verarbeiteten Eindrücken der Klasse aus dem Rundgang, ein farbenfrohes Kunstwerk zu werden.


Gestaltung des Kunstwerks mit Robert Freund (Foto: Aaron Peterer)

Im Cloud-basiertem Programm „Lapentor“ verknüpften die Schülerinnen und Schüler die 360-Grad-Fotos der Monumente zu einem virtuellen Rundgang durch Wörgl. Zahlreiche hinzugefügte Buttons, die weiterführende Informationen zum Monument, dessen Entstehungsgeschichte, relevanten Videos und kritischen Überlegungen der Klasse wiedergeben, transformierten die Bilder zu einzigartigen Wissensquellen über das jeweilige Erinnerungszeichen in Wörgl.

Zum virtuellen Rundgang: https://app.lapentor.com/sphere/derla-360-woergl


Gedenktafel für Alois und Josefine Brunner, Aufnahmen mit der 360-Grad-Kamera  (Foto: Aaron Peterer)

 

Am dritten Workshoptag wurde das Gemälde fertiggestellt. Die gesamte Klasse nahm dazu noch an einem Theaterworkshop unter der Leitung von Mike Zangerl teil. Dadurch wurde den Schülerinnen und Schülern noch einmal verdeutlicht, warum es so wichtig ist, die Monumente der Stadt, ihre Entstehungsgeschichte und vor allem die Schicksale der Menschen, an welche die Monumente erinnern, niemals in Vergessenheit geraten dürfen.



Theaterworkshop mit Mike Zangerl (Foto: Aaron Peterer)

Zum Abschluss des Workshops wurde das Gemälde fotografiert und bei einem abendlichen Rundgang von den Schülerinnen und Schülern auf die vier Monumente projiziert. Fotos von den in Farbe umhüllten Monumenten fanden auch ihren Weg in den virtuellen Rundgang. Damit wurde zumindest im virtuellen Raum die Idee der Schülerinnen und Schüler umgesetzt, genau diese Monumente in Wörgl in Farbe zu gestalten. Im Jänner 2024 werden die Schülerinnen und Schüler Fragmente ihres Gemäldes in der Fachschule für Glastechnik und Gestaltung mit Unterstützung von Robert Freund auf schwarze Baumwolle T-Shirts und Rucksäcke gedruckt.


Gedenktafel für Opfer der Nationalsozialisten im Kirchhof (Foto: Aaron Peterer)

Durch die hervorragende Zusammenarbeit mit Projektlehrer Gabriel Sammer und Projektlehrerin Katharina Haas dürfen Künstler und Workshopleiter mit allen am Projekt teilnehmenden Schülerinnen und Schülern auf ein sehr produktives, lehrreiches und künstlerisch wertvolles Projekt zurückblicken. Die Integrationsschülerinnen und Integrationsschüler aus Afghanistan und der Ukraine konnten trotz sprachlicher Hürden zusammen mit ihrer Klasse an allen Projekteinheiten teilnehmen und mitwirken. Alle Schülerinnen und Schülern haben viel neues über die Geschichte und Erinnerungskultur in ihrer Heimatstadt erfahren. Sie leisten damit einen wertvollen Beitrag um die Monumente, deren Geschichte und die Schicksale der damit verbundenen Menschen, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Am 1. März 2024 wird in der Zone Wörgl die feierliche Projektpräsentation stattfinden.


Bedrucken der T-Shirts und Rucksäcke, Fachschule für Glastechnik und Gestaltung (Foto: Aaron Peterer)

DERLA_360 ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem OeAD – Agentur für Bildung und Internationalisierung und dem Anne Frank Verein Österreich.

Zum Workshop-Angebot Geschichtsvermittlung durch Kulturelle Bildung: Link

Zu DERLA: www.erinnerungslandschaft.at

Auszeichnung als “My Hometown-Project“

2024 wurde das Projekt als “My Hometown-Project“ ausgezeichnet. Der britische Vorsitz der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) rief die Initiative “My Hometown-Project“ ins Leben, um lokale Best-Practice Beispiele international zu würdigen und sie als Inspiration und Grundlage für weitere Projekte bekannt zu machen. Ausgezeichnet wurden Bildungsprojekte, die jungen Menschen dabei unterstützen, sich tiefgehend mit der Vergangenheit ihrer Heimatstadt zur Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und diese in kreativer Form weiterzugeben, sichtbar zu machen und daran zu erinnern. 

Die ausgezeichneten Projekte teilnehmender Schulen aus aller Welt finden Sie in der Online-Galerie des My Hometown-Project. Unterstützt wurde das Projekt von Collingwood Learning und in Zusammenarbeit mit dem UCL Centre for Holocaust Education durchgeführt.