24. April: Gedenktag an den Genozid an den Armeniern

Am 24. April 1915 verhafteten die türkischen Behörden mehr als 2000 Mitglieder der armenischen Elite in Istanbul. Dieser Tag gilt als Gedenktag an den Völkermord an den Armeniern 1915/16, dem wahrscheinlich mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen. Auch die aramäischen und assyrischen Christen sowie Angehörige der griechischen Minderheit waren verfolgt worden.

1915/16 wurde in weiten Teilen des osmanischen Reichs die armenische Bevölkerung systematisch entrechtet, beraubt, vertrieben und deportiert. Durch Gewalt von Seiten der Gendarmerie, des Militärs und von Milizen, durch Massenmord infolge von Hungermärschen, durch geduldete Überfälle wegen mangelnden Polizeischutzes sowie durch fehlende Lebensgrundlagen an Deportationsorten in der syrischen Wüste starben Hunderttausende. Die Schätzungen der Opferzahlen reichen von mindestens 800.000  bis zu 1,5 Millionen. Schon früher, am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war die armenische Bevölkerung Pogromen und Übergriffen ausgesetzt gewesen, bei denen bis zu 200.000 Menschen ermordet wurden. Die Ereignisse von 1915/16 zerstörten das armenische Leben in Anatolien - sie werden daher in der Wissenschaft als Völkermord (Genozid) gewertet.

Die Armenier waren die am schlimmsten betroffene Opfergruppe. Doch auch assyrische, chaldäische und griechische Christen wurden verfolgt, vertrieben und ermordet. Durch kriegerische Auseinandersetzungen und ihre Folgen während des späten osmanischen Reichs kamen auch Türken, Kurden und Araber in großer Zahl um.

 

Anerkennung als Genozid – Internationale Dimension

Die Türkei verweigert bis heute die Anerkennung der Verfolgung der Armenier als Genozid. Zahlreiche Staaten und auch internationale Organisationen anerkennen hingegen diesen Völkermord. Auch in der türkischen Zivilgesellschaft und in den türkischen Gemeinschaften des Auslands gibt es seit Jahren eine kritische Debatte, die die Schuld der osmanischen Regierung an den Massenmorden und deren Leugnung durch die offizielle Türkei thematisiert.

Die deutsche Bundesregierung sprach Anfang 2015 offiziell von "Vertreibung und Massakern" und verurteilte den Genozid. Am 24. April 2015 veranstaltete der deutsche Bundestag anlässlich des 100. Jahrestages, an dem die Gräueltaten gegen die anatolischen Armenier begannen, eine Gedenkveranstaltung.

Die österreichische Bundesregierung enthielt sich bis 2015 jeder Positionierung zu dieser Frage. Im Jahr 2000 gab es einen Antrag diesbezüglich im Nationalrat, 2002 wurde eine Petition im Menschenrechtsausschuss des Nationalrates behandelt. Die Klubobleute der im Nationalrat vertretenen Parteien verabschiedeten am 21. April 2015 eine gemeinsame Erklärung zum Gedenken anlässlich des 100. Jahrestages des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reich (21. April 2015): - download

Andere europäische Staaten haben den Genozid schon länger anerkannt und verurteilt (Zypern 1982, Europäisches Parlament 1987, Italien 2000, Frankreich 2001, Schweiz 2003). In manchen Staaten ist die Bildungsarbeit über den Genozid an den Armenier sogar per Gesetz im Curriculum verankert; Argentinien hat sich etwa für diesen Schritt entschieden. Auch außereuropäische Staaten haben den Genozid anerkannt. In Uruguay erklärten Senat und Repräsentantenhaus schon 1965 den 24. April zum "Tag der Erinnerung an die armenischen Märtyrer".

Jüngst hat sich auch die USA in die Reihe der Länder gestellt, die den Genozid offiziell anerkennen. Nach einer ersten gescheiterten Initiative 2007, hat der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika im Oktober 2019 den Genozid an den Armeniern offiziell anerkannt. Diese Anerkennung erfuhr, angesichts der Spannungen zwischen Ankara und Washington D.C. sowie einer Medienkampagne von US-TV-Stars für die Anerkennung, große mediale Aufmerksamkeit.

 

Denkmal in Wien

In Österreich denken viele Menschen bei der Erwähnung Armeniens an den 1933 erschienenen historischen Roman von Franz Werfel. In „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ hat der Schriftsteller den Völkermord an den Armeniern bzw. deren Widerstand literarisch verarbeitet und dem Kampf des armenischen Volkes ein Denkmal gesetzt. Im Wiener Schillerpark wurde im Jahr 1998 ein Denkmal für Werfel mit der Aufschrift „In Dankbarkeit und Hochachtung. Das armenische Volk“ enthüll. Enthüllt wurde das Denkmal durch den Außenminister der Republik Armenien, Vartan Oskanian, Stifter war die Österreichisch-Armenische Kulturgesellschaft. Regelmäßig finden Gedenkveranstaltungen vor dem Werfel-Denkmal statt.

In der armenischen Hauptstadt Jerewan gibt es seit 1968 eine Gedenkstätte. Der Gedenkkomplex Zizernakaberd wird seit den 1960er Jahren laufend erweitert, 1995 wurde ein Musuem im Komplex eröffnet. Website der Gedenkstätte: - link

 

Stimmen über den Genozid

 

Als nichts mehr aus uns herauszuholen war, wurden wir in eine Steinwüste getrieben. Hier umringten uns eine grosse Zahl Kurden. Sie entkleideten uns und nahmen von den abgelegten Kleidern alles in Besitz, was noch einen gewissen Wert hatte. Bei dieser Entkleidung kam es heraus, dass unter uns auch einige halbwüchsige Knaben als Mädchen verkleidet gewesen waren. Diese wurden augenblicklich in Stücke gehauen. Jetzt trieben die Kurden uns, eine grosse Schar von etwa 2000 Mädchen und Frauen, auf einen engen Platz... Von allen Seiten wurde auf uns eingeschossen.

Bericht der Vechsa Bedrossian gegenüber dem Schweizer Missionar Jakob Künzler in Urfa 1915, zit. nach Gautschi/Meyer

 

Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen.

Theobald von Bethmann Hollweg, deutscher Reichskanzler, 1915, zit. nach Dabag

 

"Am 11. März, als die Würfel endgültig gefallen waren und wir soeben im von uns so benannten ‚Grünen Zimmer’, dem Arbeitszimmer meines Vaters, vor dem Radioapparat saßen, hörten wir  Schuschniggs Abschiedsworte: ‚Gott schütze Österreich’. Als dann, zum letzten Mal, die ehrwürdige Melodie der Haydnhymne ertönte, so gespielt, wie es sich für ein Kaiserlied, für eine Volkshymne gehörte, und nicht martialisch, wie man es in Deutschland spielt, erhob sich mein Vater und wir alle mit ihm, mit Tränen in den Augen. Was meinen Vater damals wohl am meisten erschütterte, war meine Feststellung: Nun sind wir die Armenier des dritten Reiches."

Thomas Chaimowicz, ein 14 Jahre alter Gymnasiast in Wien, Eintrag in sein Tagebuch März 1938

 

Die Weigerung der Türkei, den Völkermord an den Armeniern einzugestehen, scheint mit einem problematischen Begriff der «nationalen Ehre» zusammenzuhängen. Jedenfalls kann bis heute jeder, der in der Türkei die Massaker an den Armeniern als Genozid bezeichnet, wegen «Beleidigung der türkischen Nation» strafgesetzlich verfolgt werden. Der prominenteste Fall ist der des Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk, der wegen öffentlicher Kritik an der türkischen Gedächtnispolitik zu Strafzahlungen verurteilt wurde. In den Schulbüchern des Landes wird der armenische Völkermord bis heute geleugnet.

Neue Zürcher Zeitung, 15.4.2015

 

Ein Armenier, ein Assyrer und ein Chaldäer, dessen Groß- oder Urgroßvater in Diyarbakir geboren wurde, hat ebenso ein Recht hier zu leben, wie ich es habe. Das sage ich als ein in Diyarbakir geborener Kurde. Ich möchte gerne alle ethnischen Gruppen, deren Vorfahren in Diyarbakir lebten, einladen: Kommt zurück in eure Stadt!

Osman Baydemir, Mitglied der Kurdenpartei BDP in einer Rede 2014, zit. nach Kiyak

 

Weiterführende Informationen:

 

Für den Unterrichtseinsatz sehr geeignet:

Der Völkermord an den Armenierinnern und Armeniern. In: Peter Gautschi/Helmut Meyer: Vergessen oder erinnern? Völkermord in Geschichte und Gegenwart.© 2001 Lehrmittelverlag Zürich, S. 42-49.

IWitness - das Online-Portal der USC Shoah Fundation bietet einige Video-Clips und Lernmodule über den Genozid (derzeit nur auf Englisch): - link

 

Dossier

Aktionstage Politische Bildung 2015: Zusammenstellung von Informationen zum Völkermord und zum Gedenken - download

Überblick über die internationale Anerkennung (Die Presse): - link

Dossier der deutschen BPB über den Genozid: - link

 

Literatur

Peter Gautschi, Helmut Meyer: Der Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern. In: Peter Gautschi, Helmut Meyer: Vergessen oder erinnern?
© 2001 Lehrmittelverlag Zürich. (Für den Schulunterricht geschrieben, behandelt Schreckenstaten von der Antike bis in die neueste Zeit. Ein eigenes Kapitel zur Frage, wie Völkermord verhindert werden könnte.) - link (defekt)

Mihran Dabag: Der Genozid an den Armeniern. (Knappe Zusammenfassung für die deutsche Bundeszentrale für Politische Bildung.) - link

Mely Kiyak: Die fehlenden Armenier von Diyarbakir, in: "Die Zeit" vom 9.8.2013 (Über Versuche in der ostanatolischen Stadt Diyarbakir, sich mit dem Völkermord auseinanderzusetzen.)    - link

Jan-Heiner Tück: Ohne Wahrheit keine Versöhnung. Der Papst und der Mord an den Armeniern, in: Neue Zürcher Zeitung vom 15.4.2015 (Über die türkischen Reaktionen auf Papst Franziskus, der die Verbrechen an den Armeniern als Genozid bezeichnet hatte.)  - link

 

Türkische Debatte

Einblick in die innertürkische Debatte geben u.a. die drei englischen Ausgaben der Tageszeitungen (Suche nach Armenians, Armenian, Armenia):

Zaman (gehört zur Hizmet-Bewegung Fethullah Gülens) 

Hürriyet (rechtsliberal) - link

Sabah (regierungsnahe) - link 

 

Filme über den Genozid

Dokumentarfilm "Aghet" von Eric Friedler (dt., 2010, 90 min) auf Youtube (ausgestrahlt auf ARTE):- link

Vortrag: Dominik Schaller (Uni Heidelberg): Der Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg – link

Spielfilm “The Promise” (2016): - Link

 

Links

Über das Werfel-Denkmal in Wien: - link

Website der Gedenkstätte und des Museums „Armenian Genocide Museum-Institute“ in Jerewan: - link

Erklärung des Nationalrats 2015 - Anerkennung des Genozids: - link