25. Seminar
Verantwortung ist kein historisches Phänomen - 25. Seminar in Israel
Verantwortung ist kein historisches Phänomen - 25. Seminar in Israel
Holocaust Education. Ein Paradoxon? Den Holocaust so zu unterrichten, dass bereits die ersten Anzeichen für Ausgrenzung und Diskriminierung erkannt werden, ist nicht nur eine Frage von Konzepten, sondern eine Frage von Einstellungen, Wissen und Verständnis. Eine Möglichkeit, hilfreiche Konzepte kennenzulernen und gleichzeitig diese notwendige Trias zu erfahren und erproben zu können, bietet das Seminar von erinnern.at in Israel. Lernen vor Ort, lernen in Israel, lernen an zwei historischen Orten.
Die Gründung der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem basiert auf einem Beschluss des israelischen Parlaments aus dem Jahre 1953. Das erste improvisierte Museum über den Holocaust wurde allerdings bereits 1946 im Kibbuz Lohamei Hagetaot eröffnet, wo auch die erste Gedenkfeier in Erinnerung an die Kämpfer im Warschauer Ghetto stattfand.
Das Seminar findet in Yad Vashem und in Lohamei Hagetaot statt. Das Yad Vashem-Museum zur Geschichte des Holocaust ist tief in den Berg geschnitten und bietet den BesucherInnen keinen Ausweg beim Ausstellungsgang durch die Geschichte des Holocaust. Auf der Aussichtsplattform öffnet sich der Blick zu den grünen Bergen von Jerusalem. Für den 2008 verstorbenen Psychologen, Holocaustforscher und Friedensaktivisten Dan Bar-On ist dies eine programmatische Ausrichtung: Nachdem die Geschichte durchschritten ist, fokussiert der Blick die Umgebung von Deir Yassin, jenen Ort, wo im Unabhängigkeitskrieg 1948 ein Massaker an der arabischen Bevölkerung stattgefunden hat.
In Lohamei Hagetaot geht es zwar im Wesentlichen um den Holocaust, doch wird auch das arabische Narrativ angesprochen. Im Center für Humanistic Education wird versucht, jüdische und arabische Jugendliche über den "Umweg" der Vergangenheit einander näher zu bringen.
Die Strecke von Yad Vashem nach Lohamei Hagetaot kann auf verschiedenen Wegen zurückgelegt werden. Sie kann über den Golan führen, aber es kann auch der Weg entlang der Grenze zum Libanon gewählt werden. Lernen vor Ort heißt mehr erfahren über die aktuelle politische Situation in Israel, über die historische Entwicklung der letzten 2000 Jahre. Dazu erfahren die TeilnehmerInnen zum Beispiel etwas über die Geschichte von Massada, über die Kibbuz-Bewegung, über die jüdische Orthodoxie oder die Drusen und vieles mehr. Lernen erfolgt aber auch in den scheinbaren Pausen zwischen den Seminar-Blöcken. Auf dem Weg zwischen Yad Vashem und Lohamei Hagetaot werden die verschiedensten Problemfelder aus Geschichte und Politik sichtbar: Zum Beispiel wird anschaulich, dass das Land schon besiedelt war, bevor die jüdischen Siedler gekommen sind. Uns BesucherInnen bleibt zur zwischenzeitlichen Erholung das Wasser, salzhaltig im Toten Meer, religiös aufgeladen im Jordan und im See Genezareth, und die Lebensfreude am Mittelmeer.
Wenn die österreichische LehrerInnen-Gruppe philippinischen UN- Soldatinnen und Soldaten von den Fidschi Inseln begegnet, die weiterhin Dienst am Golan tun, zeigt sich, dass die Rolle von ÖsterreicherInnen und der Umgang der Republik mit der Geschichte Israels nicht nur in der Vergangenheit problematisch war. Beschämung ist angebracht, wie schnell und unüberlegt die Republik sich hier aus der Verantwortung gestohlen hat! Die Begegnungen mit Old Austrians, mit den Vertriebenen und vor dem NS-Regime Geflüchteten, offenbart Wunden, die vor und nach 1945 zugefügt wurden. Diese Begegnungen und Gespräche können nie die Vergangenheit ungeschehen machen, aber sie bieten den alten Menschen und den VertreterInnen der 2. und 3. Generation eine Gelegenheit zu erfahren, dass sich eine neue Generation in Österreich der Verantwortung bewusst ist.
Durchschnittlich besuchen 22 LehrerInnen ein Seminar von _erinnern.at_ in Israel. 25 Seminare wurden bisher abgehalten. Angenommen, jede/r LehrerIn hat zwei Klassen mit 25 SchülerInnen, so sind das 27.500 Schülerinnen, die mit Ergebnissen des Seminars im Unterricht konfrontiert wurden. Wenn zumindest ein Elternteil in der einen oder anderen Art Anteil am Schulunterricht und den Projekten genommen hat, so wären es insgesamt mehr als 50.000 ÖsterreicherInnen, deren Perspektive vielleicht etwas erweitert werden konnte, und denen ein Blick über den Tellerrand ermöglicht wurde.
Wer nach Israel fährt, ist ein Teil der Geschichte, denn der "Wald der Gerechten" ist schütter und kein schützender Wald. Geschichte wird hier lebendig, und für manche ist dies eine besondere Herausforderung. Der Film "50 Jahre Krieg", der in Lohamei Hagetaot als Einstieg für eine Unterrichtseinheit über das israelische und arabische Narrativ gezeigt wurde, ist nicht mehr aktuell. Inzwischen müsste der Titel auf "65 Jahre Krieg" abgeändert werden. Ende August 2013 drohte an jedem Tag ein neuer Kriegsausbruch, als westliche Reaktion auf den Giftgasangriff in Syrien. Wie es möglich ist, die Normalität in einer abnormalen Situation zu leben, auch das hat das Seminar vermittelt, ohne dass dies jedoch auf dem Curriculum gestanden wäre. Wer nach Israel fährt, ist Teil der Geschichte, und wenn es auch nur die eigene Geschichte ist, der man sich stellen muss. Verantwortung ist kein historisches Phänomen, und so haben die TeilnehmerInnen des 25. Seminars am Ende nach dem Vortrag von Efraim Zuroff über die Verfolgung von Kriegsverbrechern an die Justizministerin und die Regierung einen Brief geschrieben und angefragt, wo der für 2011 versprochene Zwischenbericht über die Ausforschung von NS-Kriegsverbrechern bleibt.
Elisabeth und Robert Streibel
Offener Brief: Zur Suche nach "österreichischen" Kriegsverbrechern:
Elisabeth und Robert Streibel (August 2013)
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