Heidemarie Uhl: Den Flakturm vor Datensammlern schützen
Bewahrung dieses historischen Erbes sollte höchste Priorität haben - Ein Appell aus gegebenem Anlass
In der europäischen Gedenkstätten-Topografie ist Wien ein nahezu blinder Fleck - sieht man vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes mit seiner Ausstellung und der Euthanasie-Gedenkstätte am Steinhof ab. In Berlin werden der Ort der Information unter dem Holocaust-Denkmal und das Haus der Wannsee-Konferenz jährlich von zehntausenden BesucherInnen - darunter viele Schulklassen - aufgesucht. Die "Topografie des Terrors", auf dem Areal eingerichtet, wo sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Zentralstellen der nationalsozialistischen Repressions- und Verbrechenspolitik befunden hatten, eröffnet in wenigen Wochen ein neues Museumsgebäude. In München wird am Ort des nach 1945 abgerissenen Braunen Hauses ein neues Dokumentationszentrum errichtet, und auch im ehemaligen Durchgangslager Drancy nahe Paris, von dem tausende französische Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden, wird gerade ein Museum realisiert.
Die neue Bedeutung der historischen Orte ist kein Zufall: Nach dem absehbaren Ende der Zeitzeugenschaft der Opfer von NS-Verbrechen sind es zunehmend die Orte, die Zeugnis ablegen über die Schrecken der Vergangenheit.
Der Flakturm im Arenbergpark, ein architektonisches Zeugnis der Machtrepräsentation des Nationalsozialismus, ist ein solcher Gedächtnisort von europäischer Relevanz. Die in Berlin, Hamburg und Wien errichteten Flaktürme waren nicht nur militärische Anlagen, sondern ebenso Propagandabauten, als Symbole der Unzerstörbarkeit gestaltet, deren Einschüchterungsgestus sich auch an die eigene Bevölkerung richtete. Nach dem "Endsieg" sollten sie in monumentale Heldendenkmäler umgewandelt werden.
Singuläres Bauwerk
Nach 1945 wurden die sechs Berliner Flaktürme gesprengt und mit Trümmern aufgefüllt, zwei der vier Hamburger Flaktürme wurden abgetragen. Von den beiden erhaltenen ist einer als Shopping- und Medienzentrum genutzt, der andere im Inneren durch Sprengungsversuche zerstört. Auch drei der insgesamt sechs Wiener Flaktürme sind genutzt - vom Haus des Meeres im Esterházy-Park, vom Bundesheer in der Stiftskaserne, vom MAK im Gefechtsturm im Arenbergpark. Bei den Flaktürmen im Augarten sind Nutzungsvorhaben erschwert, der Gefechtsturm wurde im Jahr 1946 durch eine Explosion teilweise zerstört, der Leitturm im Innenbereich nicht mehr fertig gestellt.
Der Leitturm im Arenbergpark ist somit der einzige auch in seiner inneren Raumstruktur weitgehend intakte Flakturm. Nach 1945 jahrzehntelang ungenutzt, ist seine Raumqualität nahezu unberührt erhalten geblieben. Das Forschungsteam um die Architekturhistorikerin Ute Bauer hat an den Wänden Inschriften von Zwangsarbeitern entdeckt. Sie dokumentieren, dass die Wiener Flaktürme vor allem auch Zeugnisse der Ausbeutung von Zwangsarbeitern aus vielen europäischen Ländern sind.
Dieses weltweit singuläre Bauwerk, Zeugnis für die Schrecken des Krieges ebenso wie für die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, soll nun zu einem Datenzentrum werden. Die Verhandlungen sind bereits so weit gediehen, dass die zuständigen Stellen noch im ersten Halbjahr 2010 ein fertiges Konzept präsentieren wollen. Diese Nutzung würde allerdings allein aufgrund der Sicherheits- und Brandschutzbestimmungen umfangreiche Baumaßnahmen im Inneren erfordern. Mit der kommerziellen Vermietung würde auch die öffentliche Zugänglichkeit unmöglich gemacht.
Angesichts der europäischen Bedeutung dieses einzigartigen Zeugnisses der NS-Herrschaft - sowohl was seinen architekturhistorischen Stellenwert als auch seine Erinnerungsqualität als Monument für die hier eingesetzten Zwangsarbeiter betrifft - ist dieses Vorhaben unverständlich. Für ein Datenzentrum gibt es zahllose Unterbringungsmöglichkeiten - der Leitturm im Arenbergpark würde dadurch aber gerade ins seiner Kernqualität, dem erhaltenen Innenraum, unwiederbringlich zerstört.
Auch das Kostenargument spricht für die Erhaltung: Ziel ist der Schutz und die Bewahrung des historischen Ortes, auch für eine mögliche Nutzung künftiger Generationen. Eine Öffnung für kommentierte Führungen würde nur geringe Kosten verursachen.
Respektvoller Umgang
Die Bewahrung dieses historischen Erbes sollte höchste Priorität haben. Die Initiative für den Leitturm Arenbergpark hat einen runden Tisch mit Vertretern der Stadt Wien, des Denkmalschutzes, ArchitektInnen und HistorikerInnen angeregt, um die Frage eines verantwortungsbewussten, respektvollen Umgangs mit diesem Ort gemeinsam zu diskutieren. Dies würde auch den ernsthaften Bemühungen der Stadt Wien, sich als "Stadt des Erinnerns" zu positionieren, entsprechen. (Heidemarie Uhl, DER STANDARD - Printausgabe, 26. Februar 2010)