Ein gespaltener Ort

Kaum ein Ort im heutigen Österreich kann eine ähnlich intensive kollektive Widerstandsgeschichte gegen das NS-Regime erzählen, wie Goldegg im Pongau. Und dennoch oder vielleicht gerade deswegen hat die mehr als zweifelhafte lokale (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Thema in und außerhalb Goldeggs zu einer Polarisierung geführt, die seinesgleichen sucht. Eine Rückschau von Robert Obermair.

Die Geschichte beginnt mit der Zusammenlegung der beiden durch eine Bergkuppe getrennten Ortschaften Weng und Goldegg im Jahr 1938. Dieser formale Akt war zwar rasch abgeschlossen, die emotionale Distanz zwischen beiden Bevölkerungsgruppen besteht hingegen teilweise noch bis heute. Dies ist per se keine Besonderheit – ähnliches ist auch in anderen Gemeinden Österreichs zu beobachten, die (nicht nur während der NS-Zeit) gegen ihren Willen zu einer Einheit geformt wurden. Was den Goldegger Fall so besonders macht, ist, dass sich in der Gegend von Goldegg-Weng ab 1943 eine Gruppe von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren gemeinsam einer Beteiligung am nationalsozialistischen Angriffskrieg entzog.[1] Den Männern kamen dabei sowohl die topographischen Bedingungen des abgelegenen Bergdorfs als auch die Unterstützung eines großen Teils der lokalen Bevölkerung in Goldegg-Weng zugute.

Mutiger Widerstand

Den Nukleus der Gruppe bildete Karl Rupitsch, der sich Ende 1943 seiner Einberufung entzog und im örtlichen Almgebiet untertauchte. In den folgenden Monaten schlossen sich ihm eine Reihe weiterer Männer an. Einzelne Mitglieder der Gruppe waren bewaffnet und konnten sich daher zunächst auch gegen einen Zugriff der lokalen Behörden behaupten. Spätestens im Frühjahr 1944 reiften allerdings auf Gauebene Pläne, die Gruppe in einer konzentrierten Aktion zu zerschlagen. Nachdem erste Infiltrationsversuche nicht zuletzt auf Grund der Solidarität der lokalen Bevölkerung gescheitert waren, holte der NS-Machtapparat Anfang Juli zum entscheidenden Schlag aus: In der Nacht auf den 2. Juli 1944 kreiste die Kripo und Gestapo mit Unterstützung hunderter SS-Männer die Gegend systematisch ein. Wälder, Almen, Häuser und Heustadel wurden durchsucht, die Bevölkerung zusammengetrieben und teilweise verhaftet. Die NS-Repressionsbehörden gingen dabei äußerst brutal vor, stießen aber auch auf Widerstand – so kam es etwa zu einem Feuergefecht mit Peter Ottino, einem der Gesuchten, bei dem nicht nur einige SS-Kader tödlich verwundet wurden, sondern auch Ottino selbst ums Leben kam.[2]

Insgesamt wurden mindestens 51 Personen festgenommen, die sich entweder einem Kriegseinsatz entzogen hatten oder im Verdacht standen, die Gruppe um Rupitsch unterstützt zu haben. Manche von ihnen wurden in Salzburg inhaftiert und verhört, andere in Konzentrationslager deportiert und teilweise dort ermordet (die Namen der 14 Todesopfer sind auf dem 2014 verlegten Gedenkstein zu lesen).

Bild: Gedenkstein Goldegg © Christina Nöbauer

Fehlende Aufarbeitung

Diejenigen Repressionsbetroffenen, die das NS-Regime überlebt hatten, wurden nach der Befreiung keinesfalls als die mutigen Gerechten, die sie waren, anerkannt. Im Gegenteil: gerade aus dem Hauptort Goldegg wurde ihnen in einer absoluten Verdrehung der Tatsachen der Vorwurf gemacht, durch ihr widerständiges Handeln Unglück über Goldegg gebracht zu haben. Dies war nicht zuletzt der (österreichweit vergleichbar beobachtbaren) Entwicklung geschuldet, dass ehemalige NS-Funktionsträger:innen schon bald nach 1945 wieder meinungsführende Rollen im Ort einnehmen konnten und mit ihrer Darstellung der Ereignisse die örtliche Erinnerung an die NS-Zeit teilweise bis heute prägen.

Die überlebenden Widerständigen und die Angehörigen der Opfer wurden in den ersten Jahrzehnten nach 1945 zwar in Goldegg-Weng zumindest teilweise durchaus positiv als solche anerkannt, wurden mit ihrer persönlichen Geschichte, ihrem Leid und Schmerz allerdings insgesamt weitgehend marginalisiert. Während die Namen der für den von den Nationalsozialisten angezettelten Weltkrieg gefallenen Soldaten bald prominent neben dem Goldegger Schloss auf einem Kriegerdenkmal gewürdigt wurden, gibt es bis heute kein offizielles namentliches Erinnerungszeichen seitens der Gemeinde für die Opfer des 2. Juli 1944.

Die Erinnerung an diese Gruppe blieb den Überlebenden und Angehörigen selbst überlassen und über Jahrzehnte auf eine individuelle Ebene beschränkt. Durch die Mutter der beiden noch am 2. Juli 1944 in Nähe ihres Hauses exekutierten Brüder Simon und Alois Hochleitner entstand zwar bald nach der Befreiung ein Holzmarterl mit einer recht klaren Botschaft, nämlich dass die beiden „meuchlings erschossen“ worden waren.[3] Diese Botschaft wurde jedoch einige Jahrzehnte später bei der Neugestaltung des Denkmals durch die Familie deutlich entschärft, man wollte offenbar in der Mehrheitsgesellschaft nicht länger „anecken“ (Seit einer weiteren Neugestaltung ist am Stein mittlerweile aber wieder die ursprüngliche Formulierung zu finden).

Gedenkstein Weng (Foto: Robert Obermair)

Feige Lokalpolitik

Diese Situation blieb bis in die 1980er weitgehend unverändert. Erst 1986 sorgte die turbulente Präsentation des Buchs St. Johann/Pg 1938-1945 von Robert Stadler und Michael Mooslechner, in dem erstmals auch die Geschichte der Goldegger Deserteure und Wehrdienstverweigerer und ihrer Unterstützer:innen eingehend wissenschaftlich untersucht wurde, für Unruhe im örtlichen Geschichtsbild.

Wirklich tiefergehende und ernsthafte Debatten im Ort folgten 2005, als auf Initiative des Pongauer Blasmusikbezirksobmanns Hans Mayr eine eigens komponierte „Symphonie der Hoffnung“ von örtlichen Musiker:innen einstudiert und aufgeführt wurde.[4] Die sich daraus eröffnenden Möglichkeiten eines Neuanfangs des Goldegger Umgangs mit der NS-Vergangenheit wurden allerdings bereits wenig später durch die 2008 präsentierte Gemeindechronik im Keim erstickt. Der Verfasser des Abschnitts zur NS-Geschichte, Anton Zegg, verstieg sich darin – ganz im Sinne der in Goldegg über Jahrzehnte tradierten Täter-Opfer-Umkehr – unter anderem in der Behauptung, bei den Widerständigen habe es sich um eine „gefährliche Landplage“ gehandelt und folgte auch in seinen weiteren Ausführungen weitgehend der Logik des NS-Verfolgungsapparats.[5] Diese skandalöse Darstellung führte zwar in der Folge auch zu überregionalem Interesse und Protest.[6] An der offiziellen Geschichtspolitik der politischen örtlichen Entscheidungsträger:innen änderte sich aber nach wie vor nichts. Im Gegenteil, die Chronik wurde noch jahrelang öffentlich verteidigt.

Im August 2014 wurde schließlich als Ergebnis einer – teilweise von Angehörigen der Widerständigen Goldegger:innen getragenen – Initiative aus der Zivilgesellschaft eine vom Bildhauer Anton Thuswaldner gestaltete Steinplatte mit den Namen der Opfer im Zentrum Goldeggs verlegt, allerdings nicht auf öffentlichem Grund, sondern auf einem der damaligen Salzburger Gebietskrankenkasse gehörenden Grundstück. Kurz darauf wurde aus der gleichen Personengruppe der Verein Freunde des Deserteurdenkmals in Goldegg gegründet, der sich seitdem für ein angemessenes Gedenken engagiert und etwa jährliche Gedenkwanderungen organisiert.[7] Im selben Jahr wurden auf Anregung des damaligen Goldegger Pfarrers zwei Kupfertafeln an der Friedhofsmauer und im Friedhof Goldegg angebracht.[8]

Die Gemeinde Goldegg selbst verweigerte sich aber weiterhin einer kritischen Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen örtlichen Vergangenheit. Erst 2018 konnten sich die örtlichen Entscheidungsträger endlich dazu durchringen, den die NS-Zeit betreffenden Abschnitt der Chronik durch den Zeithistoriker Johannes Hofinger neu schreiben zu lassen. Im Frühjahr 2022 wurde die langerwartete Neufassung des NS-Abschnitts der Goldegger Chronik[9] präsentiert. Hatten viele gehofft, dass damit endlich ein neuer gemeinsamer Abschnitt in der lokalen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit beginnen könnte, wurden diese Erwartungen bereits bei der Präsentation der Neufassung im Mai 2022 enttäuscht. In der Folge kam es zu einer Welle der Empörung[10], im Zuge derer durchaus tatsächliche Schwachstellen der Neufassung, wie die Gewichtung der einzelnen Inhalte, thematisiert wurden, an anderer Stelle aber deutlich über das Ziel hinausgeschossen wurde.[11] Die ohnehin schon verfahrene Situation in Goldegg hat sich seitdem nicht entschärft und auch beim im Herbst 2022 in Goldegg durchgeführten Zentralen Seminar von ERINNERN:AT zeigte sich bei der Diskussion zur Chronik-Neufassung, wie schwierig der Umgang mit der gemeinsamen Vergangenheit vor Ort nach wie vor ist. Es bleibt zu hoffen, dass es bald endlich zu einer angemessenen offiziellen Würdigung jener Goldegger:innen kommt, die den Mut hatten, sich dem nationalsozialistischen Unrechtsregime zu widersetzen.

 

Der Autor

Robert Obermair ist Salzburger Netzwerkkoordinator von ERINNERN:AT und Historiker am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg.

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[1] Siehe dazu Michael Mooslechner, Wehrmachtsdeserteure auf Salzburger Almen. Die Gruppe um Karl Rupitsch in Goldegg und ihre Zerschlagung am 2. Juli 1944, in: Thomas Geldmacher et. al. (Hrsg.), „Da machen wir nicht mehr mit…“ Österreichische Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Wien 2010, 167-173.

[2] Robert Stadler/Michael Mooslechner, St. Johann/Pg 1938-1945, Salzburg 1986, 132-135.

[3] Mooslechner 2010, 172.

[4] http://www.symphoniederhoffnung.at/werk.html

[5] Adam Stadler, Chronik der Gemeinde Goldegg im Pongau, Goldegg 2008, 133.

[6] Als eine Folge erschien bspw. 2018 das Buch „Schwedenreiter“ von Hanna Sukare.

[7] https://www.goldeggerdeserteure.at/gedenkstein.html

[8] https://www.pfarre-goldegg.at/pfarrleben/gedenktafeln

[9] Johannes Hofinger, Goldegg im Pongau im Nationalsozialismus. Ein ganz normaler Ort der „Ostmark“? (Schriftenreihe des Salzburger Landesarchivs 33), Salzburg 2022.

[10] Siehe etwa https://www.derstandard.at/story/2000141645044/schlag-ins-gesicht-fuer-angehoerige-der-goldegger-deserteure

[11] Siehe dazu etwa die hier vorgebrachte Kritik, Hofinger habe den Einsatz von Zwangsarbeiter:innen positiv bewertet: https://www.derstandard.at/story/2000141163125/dokumentationsarchiv-fordert-gerechtigkeit-fuer-goldegger-deserteure