Künstlerische Gestaltungen österreichischer Gedenkorte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus

Im Rahmen des Zentralen Seminars von ERINNERN:AT 2022 sprach Hildegard Fraueneder in der abschließenden Podiumsdiskussion über die Anerkennung von und das Erinnern an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Im folgenden Artikel beleuchtet Hildegard Fraueneder die Entwicklung künstlerisch gestalteter Gedenkorte und Erinnerungszeichen des Widerstands gegen das NS-Regime.

Widerstand gegen den Faschismus und Nationalsozialismus hat viele Facetten – regionale, nationale wie internationale – und er war höchst unterschiedlich von politischen, religiösen, pazifistischen oder humanistischen Haltungen geprägt. Welche Facetten in den sich stetig verändernden Erinnerungskulturen vorherrschten, kann auch an der Entwicklung der künstlerisch gestalteten Gedenkorte und Erinnerungszeichen an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Österreich von 1945 bis heute nachgezeichnet werden. Im öffentlichen Raum platziert, gemahnen uns diese Setzungen, an was und an wen wie erinnert werden soll.

War es in den unmittelbaren Nachkriegsjahren geboten, öffentlich wirksam das Vorhandensein eines politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu betonen und dieses über die Errichtung von Denkmälern und Mahnmalen zu kommunizieren[1], so überlagerte im Zuge der Rückkehr der Soldaten und der Amnestiegesetze die Erinnerung an die gefallenen Soldaten dieses Ansinnen. Bereits im Vorfeld der Wahlen 1949 kam es zu einer Neudeutung: Das zentrale Opfer war der gefallene Soldat und Kriegerdenkmale wurden zur Norm des kollektiven Erinnerns. Parallel dazu entwickelte sich – verstärkt in den jeweiligen Bundesländern – eine vehemente Abgrenzung zu kommunistisch dominierten Verbänden. Außerhalb Wiens ließen sich Widerstandsdenkmäler kaum mehr durchsetzen, da ihnen im politischen Klima der 1950er Jahre der Ruch „kommunistischer Propaganda” anhaftete.[2]

Zu einem Paradigmenwechsel kam es erst ab den späten 1980er Jahre, als sich im Zuge der Waldheim-Affäre eine kritische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen durchzusetzen begann.

Dieser neuen politischen Perspektive folgten auch schrittweise die Sichtbarmachung und Anerkennung von vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen (Fluchthilfe, Sammlungen für die Rote Hilfe etc.) wie insgesamt ein erweitertes Verständnis von widerständigem Handeln gegen das NS-Regime sich durchzusetzen begann.

 

Erste Denkmalprojekte des Widerstands gegen das NS-Regime

Bereits am 30. Oktober 1945 beschloss der Wiener Stadtsenat die Errichtung eines Denkmals der Stadt Wien für die „im Kampf gegen den Nazifaschismus und für ein freies, unabhängiges Österreich Gefallenen“. Trotz politischer Querelen und einer Neuauslobung eines Wettbewerbs, allerdings für ein Denkmal am Wiener Zentralfriedhof und nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen im Stadtzentrum, konnte dieses von Fritz Cremer, Wilhelm und Margarete Schütte-Lihotzky gestaltete Denkmal am 1. November 1948 von Bürgermeister Theodor Körner der Öffentlichkeit übergeben werden. Das von einer halbrunden Mauer eingefasste Denkmal besteht aus Bodenplatten und drei Statuen von Fritz Cremer: Eine gebeugte und verhüllte Frauengestalt symbolisiert die Trauer, die Figur mit erhobenem Haupt und emporgestreckten Händen die Anklage, und die Bronzegestalt eines Mannes auf der obersten Stufe den Befreiten, der ins Licht eines friedlichen neuen Lebens tritt. Die erste der sieben Bodenplatten ist den Opfern des Austrofaschismus (1934–1938) gewidmet, die zweite bis sechste den Opfern jeweils eines Jahres des NS-Regimes, die siebente und letzte den Opfern der Jahre 1944 und 1945. An der Rückwand der Mauer befindet sich die Inschrift „Den Opfern für ein freies Österreich 1934 – 1945“.


Fritz Cremer/Wilhelm und Margarete Schütte-Lihotzky, Mahnmal für die Opfer des Faschismus, Gedenkstätte der Stadt Wien, 1948, Wiener Zentralfriedhof (Foto: Wikipedia / Invisigoth67 / CC BY-SA 3.0).

Wie hier wurden viele der frühen Denkmalgestaltungen von Künstler:innen und Architekt:innen gestaltet, die ihrerseits im Widerstand tätig waren oder aus „rassischen“ Gründen vom NS-Regime verfolgt worden waren. So gestalteten Cremer und Schütte-Lihotzky auch das Mahnmal für die Opfer des Faschismus, 1953 in Knittelfeld gegenüber dem Bahnhof vom KZ-Verband errichtet. An den Seitenflächen sind die Namen der 30 Opfer des Faschismus angeführt, die aus politischen Gründen hingerichtet wurden, in Lagern umkamen oder nach der Befreiung an den im Lager erlittenen Leiden verstarben.


Fritz Cremer/Margarete Schütte-Lihotzky, Mahnmal für die Opfer des Faschismus, 1953, Knittelfeld (Foto: Stadtarchiv Knittelfeld).

Wider das Vergessen – die männerzentrierte Gedenkkultur

Viele Betriebe vorrangig in Wien (nicht nur einzelne Betriebsstätten der ÖBB, der Gaswerke und der Wiener Verkehrsbetriebe, auch die einstige Metallwarenfabrik Blau im 20. Bezirk, die Varta-Fabrik in Liesing, das Steyr-Daimler-Puch Werk und auch die Brown-Boveri-Werke im 10. Bezirk u.a.m.) errichteten ab den späten 1940er Jahren Gedenktafeln, mit denen an die jeweiligen Mitarbeiter:innen erinnert wird, die im Kampf gegen den Faschismus oder auch oftmals nur wegen Spendensammlungen für die Rote Hilfe ermordet wurden. Doch nur vereinzelt finden sich auf den vielen Gedenktafeln die Namen von Frauen. So ist am „Freiheitskämpfer-Denkmal“ im Friedhof Atzgersdorf im 23. Bezirk, das von der KPÖ gestiftet und vom Bildhauer Franz Pixner[3] gestaltet und 1954 enthüllt wurde, unter den 24 Namen nur der von Therese Klostermann angeführt. Als Arbeiterin war sie in der (ab 1934 illegalen) kommunistischen Bewegung engagiert, organisierte Sammlungen für Angehörige politisch Inhaftierter und wurde wegen „Hochverrat“ 1943 zum Tode verurteilt. Am Anton-Heger-Platz, ebenfalls in Liesing, wurde zu ihrem Gedenken ein eher unscheinbares Denkmal errichtet, von wem und wann ist nicht bekannt. Das Motiv der geballten Hände – eine Geste, die weniger eine individuelle Befindlichkeit, vielmehr als Pathosformel einen heroisch geführten Kampf zum Ausdruck bringt – erinnert daran, dass zu dieser Zeit unter „Widerstand“ in erster Linie dem politischen Widerstand gedacht wurde.


Franz Pixner, Freiheitskämpfer-Denkmal, 1954, Atzgersdorfer Friedhof, Wien (Foto:  WienGeschichteWiki / Leo Palkovics / CC BY-NC-ND 4.0).


Denkmal für Therese Klostermann, Anton Heger Platz in Wien-Liesing (Foto: WienGeschichteWiki / porem - politics of remembrance / CC BY-NC-ND 4.0).

Erwähnenswert ist das von der Belegschaft der Wiener Straßenbahnen gestiftete Denkmal für Hedy Urach[4] und drei Hitzinger Straßenbahnern in der Hetzendorfer Straße im 13. Bezirk: Die später auch an Gedenktafeln für alle Opfer des Krieges verwendete Inschrift „Unsterbliche Opfer“[5] wird hier mit dem Zusatz „Sie starben für Freiheit und Menschenwürde unter dem Mordbeil der Hitlerfaschisten“ eindeutig im Kontext des Widerstands situiert. Sowohl in Größe als auch Gestaltung unterscheidet sich dieses von reinen Gedenktafeln: Es ist vergleichbar einem „Ehrengrab“ gestaltet, das sich in Betonguss errichtet entlang des Gehweges in den Verlauf des Zaunes einfügt. Links und rechts der Namenstafel sind die Jahreszahlen 1938 und 1945, von einem Lorbeerkranz gerahmt, wiedergegeben, unterhalb findet sich ein kleines Podest für die Niederlegung von Kränzen. Vor allem Rituale, wie Kranzniederlegungen an einem wiederkehrenden Jahrestag, halten Erinnerungs- und Gedenkfunktionen aufrecht, oft weitaus nachhaltiger als in Stein oder Metall Gegossenes.


Denkmal für Hedy Urach und Hietzinger Straßenbahner, 1947, Hetzendorfer Straße 188, Wien (Foto: www.nikles.net).

Gedenken und Erinnern als Konsens

Solcherart skulptural gestaltete Denkmale für politische Opfer des NS-Regimes blieben allerdings die Ausnahme, dagegen setzten sich in der Zeit des Wiederaufbaus sogenannte „Versöhnungsgedenkstätten“ durch, mit denen aller Opfer gedacht werden wollte, Kriegsgefallenen ebenso wie den durch die NS-Justiz Hingerichteten, Bombenopfern ebenso wie den aus unterschiedlichen Gründen Verfolgten und Ausgegrenzten. Beispielhaft sei hier das sogenannte „Mahnmal für alle“ am Salzburger Kommunalfriedhof angeführt: Die Gestaltung stammt von Ernst Kubiena, einem während der NS-Zeit erfolgreichen Bildhauer und Graveur, der nach dem Krieg über das Salzkammergut nach Salzburg übersiedelte. Noch rechtzeitig zu den Feierlichkeiten zum Staatsvertrag konnte zu Silvester 1955 „Das Mahnmal für alle“ eingeweiht werden, das in seiner christlich-patriotischen Prägung mit Dornenkrone und Staatswappen für alle Verbände und Parteien vertretbar schien – selbst die Freiheitlichen[6] legten bei der Eröffnung einen Kranz mit der Aufschrift „Dem Gedenken der Opfer – der Nationalen und Freiheitlichen“ nieder.


Ernst Kubiena, Mahnmal für alle, 1955, Kommunalfriedhof Salzburg (Foto: Hildegard Fraueneder).

Mit dem Staatsvertrag und dem Abzug der Besatzungsmächte konnte fortan 1955 als Jubiläumsjahr der Befreiung dienen und nicht nur die Befreiung vom NS-Regime 1945 erfolgreich überschreiben. Auch für die Legitimierung des Staates Österreich war eine Widerstandsleistung gegen das NS-Regime nicht mehr notwendigerweise vorzuzeigen.

Am 25. Februar 1958 beschloss der Ministerrat, „anlässlich des zwanzigsten Jahrestages der Besetzung Österreichs durch Hitler am 13. März 1958 ein Ehrenmal auf dem Heldenplatz in Form einer Marmortafel zum Andenken an den österreichischen Freiheitskampf anzubringen“ – doch erst 1965 wurde der Gedenkraum für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes im linken Flügel des Äußeren Burgtors gestaltet. Dieser Beschluss der Bundesregierung hängt unmittelbar mit dem in diesem Jahr beschlossenen Nationalfeiertag am 26. Oktober zusammen. Auch an der sakralen Gestaltung durch den Architekten Robert Kramreiter, der in erster Linie als gefragter Kirchenbauer tätig war, lässt sich die auf eine jährliche Kranzniederlegung durch den Bundespräsidenten und zeitlich versetzt durch den Bundeskanzler reduzierte Funktion ablesen, da dieser Raumteil des Burgtors nicht öffentlich zugänglich ist. Diese lediglich einer „Befriedung auf staatsoffizieller Ebene“[7] dienende Nutzung folgt einer Inszenierung, in der die Gedenkkultur auf eine nationale Selbstentlastung abzielt.


Robert Kramreiter, Weiheraum, Gedenkstätte für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes, 1965, Äußeres Burgtor Wien (Foto: Manfred Werner).

Exkurs: Ein außergewöhnliches Denkmal

Innerhalb der Denkmalsetzungen von den späten 1950er Jahren bis in die 1990er Jahre bildet das Denkmal für die „Opfer des Faschismus für Österreichs Freiheit 1934-1945“ am Reumannplatz in Wien in zweierlei Hinsicht eine Ausnahme. Es wurde von der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Verbände und Widerstandskämpfer Österreichs initiiert und 1981 enthüllt, gestaltet wurde es von Heinrich Sussmann, der nach dem „Anschluss“ nach Frankreich flüchtete und sich dort der Résistance anschloss. Er und seine Frau überlebten die Shoah und kehrten 1945 nach Wien zurück. Sein Wissen um die Konzentrationslager (er war im KZ Ausschwitz inhaftiert) prägte die Gestaltung: Das Denkmal besteht aus verschiedenen Steinquadern, teils mit geraden oder schiefen Ebenen, und verschiedenen Aufschriften: Auf drei Steinen ist eine Widmung angebracht, auf acht Steinen sind Konzentrationslager und Hinrichtungsorte angeführt, in denen BewohnerInnen des 10. Bezirks ermordet wurden. Es war somit das erste Denkmal, das die Vernichtungsorte des NS-Regimes namentlich nennt und in die öffentliche Erinnerung einfügt.[8] Auch wenn das Denkmal in seiner Gestalt abstrakt und allgemeingültig wirkt, bezieht es sich doch auf die konkreten Geschehnisse im 10. Gemeindebezirk und kann somit als ortsbezogen bezeichnet werden.


Heinrich Sussmann, Denkmal für die Opfer des Faschismus, 1981, Reumannplatz, Wien (Foto: Wikipedia / Buchhändler / CC BY-SA 3.0).

Paradigmenwechsel ab den späten 1980er Jahren

Der Paradigmenwechsel in der Erinnerungs- und Gedenkkultur setzte vor allem mit der Waldheim-Affäre Mitte der 1980er Jahre ein, der auch in den künstlerischen Gestaltungen und Zugängen eine weitaus weniger gebundene Gestaltungspraxis beförderte. Bislang marginalisierte oder ausgeblendete Opfergruppen, wie Deserteure, Fluchthelfer:innen, aber auch Roma und Romnija sowie Sinti und Sintizze, körperlich und geistig beeinträchtigte Personen, Homosexuelle und „Asoziale“ in der NS-Diktion fanden nun Berücksichtigung bei vielen Neugestaltungen oder Erweiterungen von Gedenkorten. Für neue künstlerische Verfahrensweisen seien das „Trojanische Pferd“ des „Republikanischen Club - Neues Österreich“ und auch die aktionistischen Interventionen von Wolfram Kastner angeführt.

Viele der in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten realisierten Gedenk- und Erinnerungsprojekte an den Widerstand und an die Verbrechen des NS-Regimes wurden im Gedenkjahr 1988 angestoßen. Eines sei hier stellvertretend angeführt: das von Hans Kupelwieser gestaltete Mahnmal im Hammerpark in St. Pölten, die der sogenannten Widerstandsgruppe Kirchl/Trautmannsdorff gewidmet ist. Diese Gruppe hatte sich im Frühjahr 1945 rund um die Pottenbrunner Schlossbesitzer Trauttmannsdorff-Weinsberg und Otto Kirchl, den stellvertretenden Polizeiinspektor von St. Pölten, gebildet. Der Gruppe gehörten insgesamt 13 Personen an, darunter ihre Ehefrauen, weitere Polizeibeamte, Arbeiter und Bauern. Kupelwieser gestaltete eine begehbare Stahlhalbkugel mit 4 Meter Durchmesser, die einer Opferschale gleicht und auf der das Datum der Hinrichtung, der 13. April 1945, über dem Eingang vermerkt ist. Die Schale hat 13 runde Öffnungen, die für die Opfer stehen, deren Namen auf der Innenseite eingraviert sind, ebenso der Schriftzug „Sie starben hier für Österreich“. Mit dieser auch räumlich perfekt eingebunden Form der Kugel und deren fragmenthaften Teile löst sich die Gestaltung auch vom traditionellen Muster der Widerstandsdenkmäler, die bis dahin mehrheitlich Erweiterungen von Gedenktafeln darstellten. Dieses von der Stadt St. Pölten gestiftete Denkmal kann auch als Antwort an das 1961 im Park beim Schloss Pottenbrunn errichtete Denkmal mit dem Bildrelief einer Pieta gelesen werden, das als Gefallenendenkmal den Toten beider Weltkriege gedenkt, aber auch einige wenige Namen von Mitgliedern der Widerstandsgruppe als eigene Opfergruppe in der Sockelzone auflistet.


Hans Kupelwieser, Mahnmal im Hammerpark St. Pölten, 1988 (Foto: Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich).


Gefallenendenkmal im Schlosspark in Pottenbrunn/St. Pölten, 1961, Vorderansicht und Sockelzone (Fotograf:in unbekannt).

Lokale Initiativen und Forschungsplattformen

Beinahe alle der nach 1988 künstlerisch gestalteten Gedenk- und Erinnerungsstätten an den Widerstand gehen auf lokale Initiativen zurück, deren biografischen Forschungen jeweils in die Gestaltungen einfließen. So war die 1982 in Bregenz gegründete Johann-August-Malin-Gesellschaft (Johann August Malin aus Satteins wurde 1942 wegen "Wehrkraftzersetzung, Vorbereitung zum Hochverrat und Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender" in München-Stadelheim hingerichtet) 2002 maßgeblich an der Errichtung des „Gedenkweg – Widerstand und Verfolgung in Bregenz 1938-1945“ und des Bregenzer Widerstands- und Desertionsmahnmal 2015 beteiligt. Bei diesem von Nataša Sienčnik konzipierten Denkmal am Sparkassenplatz sind in Endlosschleife die Namen und Daten von 100 Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern zu lesen, die dem nationalsozialistischen Unrechtsregime den Gehorsam verweigert oder aufgekündigt haben. Sie stehen stellvertretend für Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, Wehrdienstverweigerer und Deserteure sowie Bürgerinnen und Bürger. Die Auswahl der Personen, deren Schicksale exemplarisch für viele mehr stehen, wurde gemeinsam mit dem Historiker Werner Bundschuh, ehemaliger Obmann der Malin-Gesellschaft, getroffen. Ihre Namen werden in alphabetischer Reihenfolge angezeigt, bewusst ohne Hierarchie oder Gewichtung in ihrer Positionierung.[9]


Nataša Sienčnik, Widerstandsmahnmal, 2015, Sparkassenplatz, Bregenz (Foto: Landeshauptstadt Bregenz). 

Die Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Militärjustiz führte in den letzten Jahren auch verstärkt zur Errichtung von Gedenktafeln, die direkt an und vor den historischen Gebäuden angebracht werden: So wurde kürzlich, im Jänner 2023, am Gebäude des heutigen Sozialministeriums am Stubenring 1, das von 1938 – 1945 als Zentrum der Militär-Justiz fungierte, eine Gedenktafel enthüllt.[10]

Auch in den Landeshauptstädten wurden in den vergangenen Jahren an den damaligen „Justizgebäuden“ Gedenk- und Namenstafeln realisiert; stellvertretend seien hier zwei konträre Gestaltungen angeführt: Während in Klagenfurt 2003 vor dem Landesgericht eine weithin sichtbare Gedenkstele mit 47 Namen von Opfern der NS-Justiz[11] (Gestaltung Klaus Holler, Architekt) errichtet wurde, muss man am Justizgebäude in Salzburg eine dementsprechende Texttafel lange suchen. Unscheinbar in ihrer Materialisierung wurde sie nach Abschluss der umfangreichen Renovierung des gesamten Gebäudes und der Neugestaltung des Kajatanerplatzes 2021 mehr oder weniger „verschämt“ beim Hintereingang und ohne offizielles Enthüllungsritual angebracht.


Klaus Holler, Gedenkstele, 2013, Landesgericht, Klagenfurt (Foto: KPÖ Kärnten/Koroška).


Gedenktafel am Justizgebäude Salzburg, Landesgericht, 2021, Kajetanerplatz (Tafel links vom Eingangstor) (Foto: Hildegard Fraueneder).

Neue öffentliche Würdigung von Frauen im Widerstand

Die bereits erwähnte Auffälligkeit des langjährigen Verschweigens der Widerstandstätigkeiten von Frauen können wir auch an den in manchen Städten Österreichs seit Beginn des 21. Jahrhunderts verlegten Stolpersteinen nachzeichnen. Mit dieser „kleinsten“ Form einer künstlerischen Gestaltung von „Gedenkorten“, vom Bildhauer Gunter Demnig Anfang der 1990er Jahre von Köln ausgehend als „Kunstprojekt für Europa“ ins Leben gerufen, werden zehn mal zehn Zentimeter kleine Messingplatten mit knappen biografischen Angaben verlegt. Als stetig wachsendes Mahnmal ist es jedoch in erster Linie von lokalen Initiativen, Interessen und deren biografische Forschungen abhängig, welche Opfergruppen bevorzugt werden – beinahe in allen Städten finden sich erst seit wenigen Jahren verstärkt Stolpersteine für widerständige Frauen.


Am 18.10.2021 wurden in Salzburg am Rudolfsplatz 3, dem ehemaligen Salzburger Polizeigefängnis, mehrere Stolpersteine, die an Frauen im Widerstand erinnern, verlegt (Foto: Hildegard Fraueneder).


(Foto: Hildegard Fraueneder).

Ein ausschließlich den Frauen im Widerstand gewidmetes Denkmal wurde als Erweiterung eines Gedenksteins für Rosa Hofmann in Salzburg 2019 realisiert, ein weiteres und weitaus größer dimensioniertes wird 2023 in Linz entstehen: „5 vor 12. Unerhörter Widerstand“ von Sabrina Kern und Mariel R. Rodríguez. Das „Unerhörte“ im Titel des Projekts verweist nicht nur auf das jahrzehntelange Ausklammern von widerständigen Frauen aus der öffentlichen Gedenkkultur, er öffnet sich auch hin auf das notwendigerweise Regelwidrige und dadurch Außerordentliche, auf ein Achtung Gebietendes der widerständigen Akte, die diese Frauen damals an den Tag gelegt hatten.


Iris Andraschek, Memorial für Frauen im Widerstand, 2019, Salzburg Maxglan (Foto: Stadt Salzburg/J. Knoll).


Sabrina Kern und Mariel Rodriguez, 5 vor 12 – Unerhörter Widerstand, 2022, Entwurf für OK-Platz Linz (Foto: Visualisierung Julian Lietzmann).

Zeitgenössische Erinnerungsarbeit

Gedenktafeln, Denk- und Mahnmale besitzen eine „prekäre Erinnerungsfunktion“, da sie nicht nur Abstraktionen, vielmehr auch Konstruktionen einer bestimmten Sichtweise auf historische Geschehnisse und Personen sind. Eines der größten Probleme ist allerdings, dass sie errichtet, aber danach kaum aktiviert und benutzt werden. So fällt vielen, zumal den Gedenktafeln, eine Aufmerksamkeit nach der Enthüllung kaum mehr zu, Menschen eilen an diesen wie selbstverständlich an Gebäudemauern angebrachten Tafeln vorbei, deren eingravierte Namen nichts mehr mitzuteilen scheinen. Ob aber das Denkmal der Zukunft Information heißt, die virtuell zur Verfügung gestellt von überall und jederzeit abrufbar ist, sei dahingestellt.[12]

In den vergangenen Jahren wurde vielerorts eine Alternative mit temporären künstlerischen Gestaltungen gesucht, die das Potential einer Aktivierung der Auseinandersetzung besser zu leisten versprechen als dauerhafte, aufwändige und somit immer strittige Denkmalsetzungen. Mit vielfältigen Perspektivierungen können temporäre künstlerische Gestaltungen in der Auseinandersetzung mit dem Widerstand gegen das NS-Regime vor allem auch die Frage der Handlungsoptionen ansprechen und diese mit gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart in Verbindung bringen. Beispielhaft dafür sei das im Rahmen von „Orte des Gedenkens“ 2022 bis 2023 in Neumarkt am Wallersee durchgeführte künstlerische Projekt „Einwurf“ von Bernhard Gwiggner genannt, das trotz einer aktionistischen Wiederholung eines damals stattgefundenen Gewaltaktes kein rückwärtsgewandtes Erinnern initiiert, vielmehr dafür sensibilisiert, dass unsere Zivilgesellschaft einer permanenten Gefährdung ausgesetzt ist. Im Kern geht es um das Nachdenken darüber, was Gewalt legitimiert, welche Bedeutung dem Schutz einer Gruppe zukommt und vor allem wie wir heute zusammenleben wollen und was uns als Menschen und als Gemeinschaftswesen ausmacht.[13]

Ein ebenso wichtiger Einsatzort künstlerischer Thematisierung und Gestaltung betrifft die Neukontextualisierung vieler früherer Denkmalsetzungen, nicht nur aber vor allem auch in Bezug auf die obsolet gewordene „Opferthese“ und der heldenhaften Verklärung der gefallenen Soldaten, die einen Großteil der Kriegerdenkmale prägen.[14]

 

Die Autorin

Hildegard Fraueneder, lehrt und forscht als Kunsthistorikerin an der Universität Mozarteum. Leiterin des Programmbereichs „Figurationen des Übergangs“ an der Interuniversitären Einrichtung „Wissenschaft und Kunst“, Gründerin der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“ Land Salzburg.

______________________________

[1] Für die Legitimierung der Unabhängigkeit Österreichs war es wichtig zu zeigen, dass hierzulande gegen die Nationalsozialistische Diktatur Widerstand geleistet wurde. Wie in der Moskauer Deklaration von 1943 gefordert, musste Österreich eigene Befreiungsversuche nachweisen.

[2] Heidemarie Uhl: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im österreichischen Gedächtnis. In: Christian Gerbel (Hg.): Transformationen gesellschaftlicher Erinnerung. Studien zur österreichischen Gedächtnisgeschichte. Wien: Turia+Kant 2005, S. 60.

[3] Der Spanienkämpfer Franz Pixner betätigte sich bereits ab 1934 im Kampf gegen den Faschismus und wurde vor allem mit antifaschistischen Skulpturen, die er im Auftrag der Stadt Wien realisierte, bekannt.

[4] Vgl. den ausführlichen Aufsatz von Manfred Mugrauer von 2001 zu Biografie, Leben und Widerstand von Hedy Urach, in: https://www.klahrgesellschaft.at/Mitteilungen/Mugrauer_3_10.pdf

[5] „Unsterbliche Opfer“ ist der Titel des von der KPÖ 1948 herausgegebenen Buches „Unsterbliche Opfer. Gefallen im Kampf der Kommunistischen Partei für Österreichs Freiheit“ und referiert auf das Lied, das zum Gedenken an die Opfer der Demonstration der Arbeiterschaft am 15. Juli 1927 mit der Textzeile „Unsterbliche Opfer ihr sanket dahin“ vor allem von den sozialistischen Verbänden in diesen Jahren gesungen wurde.

[6] 1955 fusionierte der 1949 in Salzburg gegründete VdU (Auffangbecken für ehemalige Nationalsozialisten, Heimatvertriebenen und Heimkehrer) mit der Freiheitspartei zur Freiheitlichen Partei Österreichs, der konstituierende Parteitag fand allerdings erst im April 1956 statt.

[7] Heidemarie Uhl, Einleitung, in: Gedächtnisort der Republik, hg. von ders., Richard Hufschmied und Dieter A. Binder, Wien: Böhlau 2021, S. 9.

[8] Angeführt sind Treblinka, Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Ebensee, Landesgericht Wien, Bergen-Belsen, Sachsenhausen, Stein a. d. Donau, Stutthof, Morzinplatz, Theresienstadt, Ravensbrück, Auschwitz-Birkenau.

[9] Im Kontext der Errichtung des Denkmals für die Verfolgten der NS-Militärjustiz (Deserteursmahnmal) in Wien am Ballhausplatz wurde die Geschichte österreichischer Denkmalinitiativen und -setzungen umfangreich aufgearbeitet, vgl. https://deserteursdenkmal.at/wordpress/gedenkinitiativen/.

[10] Von 1938 bis 1945 war in diesem Regierungsgebäude die zentrale Schaltstelle der Wehrmachtsjustiz untergebracht.

[11] Initiator für viele Gedenkprojekte in Kärnten ist der Verein „Memorial Kärnten-Koroška/Plattform gegen das Wiederaufleben von Faschismus, Rassismus und Antisemitismus“, der sich mit der Aufarbeitung und den vielfältigen Forschungen zum Thema große Verdienste erworben hat.

[12] Vgl. https://www.doew.at/cms/download/3qffq/gum_streibel.pdf.

[13] Vgl. https://www.ortedesgedenkens.at/kustprojekte/neumarkt-einwurf/.

[14] Stellvertretend sei auf die 2013 erfolgte Erweiterung des Kriegerdenkmals zur Gedenkstätte Lustenau erwähnt.