„Widerständigkeit nicht als abstrakten Wert vermitteln“ – Interview mit Bernhard Weidinger
Du warst von September bis Dezember 2022 mit einem Fulbright Stipendium in den USA. Woran forscht du gerade und was sind allgemein deine Forschungsschwerpunkte?
Bernhard Weidinger: In den USA habe ich mich mit Studentenverbindungen und Männlichkeit beschäftigt – in Fortführung meiner Arbeiten zu Burschenschaften in Österreich. In meinem regulären Job am DÖW beschäftige ich mich mit Rechtsextremismus in seiner gesamten Breite. Vorrangig im Blick habe ich dabei seine parteiförmigen Manifestationen und die rechtsextreme Medienlandschaft – von traditionellen Printprodukten über Online-Plattformen bis hin zu Telegram-Kanälen.
„Das Archiv soll vor allem durch dokumentarische Beweise der zeitgeschichtlichen Erziehung der Jugend dienen. Sie soll mit den schrecklichen Folgen des Verlustes der Unabhängigkeit und Freiheit Österreichs sowie mit dem heldenhaften Kampf der Widerstandskämpfer bekannt gemacht werden“, heißt es in der Gründungserklärung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), das 1963 von ehemaligen Widerstandskämpfer:innen und einigen Wissenschafter:innen gegründet worden ist. Wie sahen die inhaltlichen Tätigkeiten in der Frühzeit des DÖW aus und inwiefern haben sich diese seither verändert?
Weidinger: Die Kernthematik des DÖW ist seit dessen Gründung dieselbe geblieben: Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Über die Zeit haben Vermittlungsaktivitäten sicher an Bedeutung gewonnen. Unsere Ausstellungen werden in außerpandemischen Zeiten von hunderten geführten Gruppen jährlich, vor allem Schulklassen, besucht. Dazu haben wir unsere Workshop-Angebote in den letzten Jahren ausgebaut, nicht zuletzt im Rahmen des 2022 angelaufenen OeAD-Projekts „Extremismusprävention macht Schule“. Gleiches gilt für die Rechtsextremismusthematik als der am unmittelbarsten gegenwartsbezogene Teil unserer Arbeit, der aufgrund seiner Tagesaktualität auch ein besonderes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit findet.
Blick ins Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (Foto: DÖW).
Über viele Facetten des Widerstandes hören SchülerInnen und auch Lehrpersonen in der Aus- und Weiterbildung immer noch sehr wenig, dazu zählen die Geschichten von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, der Widerstand von Jüdinnen und Juden und Roma/Romnja und Sinti/Sintizze. Wie kann die Relevanz von Widerstand und Widersetzlichkeit gegen totalitäre Regimes und die Erinnerung daran in der schulischen Praxis vermittelt werden?
Weidinger: Das ist gerade im Lichte der Corona-Proteste eine interessante Frage. Deren TeilnehmerInnen verstanden sich ja häufig als widerständisch und verorteten sich teilweise explizit in der Tradition des Widerstandes gegen das NS-Regime. Das unterstreicht die Wichtigkeit, Widerständigkeit nicht als abstrakten Wert zu vermitteln. Renitenz ist per se noch kein Bildungsziel und wogegen man angeht – und aus welchen Beweggründen – eben nicht belanglos. Es ist sicher sinnvoll, auch Beispiele aus der Gegenwart heranzuziehen. Dann aber solche, wo Menschen tatsächlich für Demokratie und gegen Menschenverachtung eintreten und dabei hohe persönliche Risken auf sich nehmen, wie etwa im Fall der Demokratiebewegung im Iran.
Das 2014 am Ballhausplatz in Wien errichtete Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz ist ein Jahr später bei einer Kundgebung von Rechtsextremen erklommen worden, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Wie ist die Wahl dieses Standortes für rechtsextreme Hetze einzuordnen?[1]
Weidinger: Grundsätzlich ist das Denkmal als begehbares konzipiert. Bei Kundgebungen am Ballhausplatz bietet es sich als Rednertribüne geradezu an. Dass das im Kontext rechtsextremer Veranstaltungen die Botschaft des Denkmals konterkariert und AntifaschistInnen provoziert, ist für Rechtsextreme sicher ein willkommener Nebeneffekt.
Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz am Ballhausplatz in Wien (Foto: C.Stadler/Bwag).
Du bist auch Teil der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU). Der zweite Band der FIPU-Reihe „Rechtsextremismus“, erschienen 2017 im mandelbaum Verlag, befasst sich mit Pädagogik gegen Rechts. Gemeinsam mit Stefanie Mayer fragst du in deinem Beitrag nach gesellschaftlichen Beschränkungen politischer Bildungs- und Präventionsarbeit.[2] Ist eine Pädagogik gegen Rechts ein Kampf gegen Windmühlen – wie ihr im Titel schreibt – bzw. was kann sie bewirken? Was kann sie speziell in der Schule bewirken?
Weidinger: Der erwähnte Beitrag stellt die Sinnhaftigkeit politischer Bildung nicht grundsätzlich infrage, warnt aber davor, sie als eine Art Allheilmittel oder Wunderwaffe anzusehen. Der Ruf nach Pädagogik ist bei gesellschaftlichen Problemlagen oft allzu schnell zur Hand und mit überschießenden Erwartungen verbunden. Stefanie Mayer und ich argumentieren, dass man sich der Beschränkungen politischer Bildung bewusst sein muss, und dass diese Beschränkungen vor allem in der gegebenen Einrichtung von Gesellschaft bestehen. Solidarität lässt sich als abstrakter Wert durch Bildung schwer vermitteln, wenn die Bildungssubjekte in ihrem Alltag allerorts gezwungen sind, sich als KonkurrentInnen auf ihre Mitmenschen zu beziehen, und Nachteile erfahren, wenn sie sich dem Konkurrenzkampf verweigern. Auf die Schule bezogen wäre daher etwa wünschenswert, dass jedenfalls der schulische Alltag den vermittelten Werten entsprechend eingerichtet ist. Wenn die pädagogische Botschaft sich in erlebten Abläufen und Strukturen widerspiegelt, wird sie mit Leben erfüllt und sich überzeugender vermitteln.
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[1] Auf Facebook war dazu von einem Rechtsextremen zu lesen: „Ich finde es sehr passend, dass das Rednerpult auf dem unerträglichen Schand-Denkmal für die Deserteure aufgestellt wurde, denn schließlich handelt es sich bei vielen der jungen Männer, die derzeit unser Land stürmen, auch um feige Deserteure und Verräter, die ihre Heimat im Stich gelassen haben.“
[2] Stefanie Mayer/Bernhard Weidinger: Pädagogik gegen Rechts: ein Kampf gegen Windmühlen?, in: FIPU (Hrsg.), Rechtsextremismus, Band 2: Prävention und politische Bildung, Wien 2016, S. 57-75.
Über den Interviewpartner
Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU). Seine Dissertation über „Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945“ erschien 2015 im Böhlau-Verlag. Im Herbst 2022 war er Fulbright-Botstiber Visiting Professor of Austrian-American Studies an der Northwestern University in Evanston, Illinois.