Gedenkrede Villach Peter Pirker
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke dem Verein Erinnern Villach für die Einladung, bei dieser Gedenkveranstaltung sprechen zu können. Das ist für mich eine Ehre, waren mir die Aktivitäten von Hans Haider und seinen Freunden und Freundinnen in vieler Hinsicht Vorbild und Beispiel, insbesondere bei unseren Bemühungen mit dem Kulturverein kuland im Oberen Drautal, die Widerstandskämpfer und Verfolgten des Nationalsozialismus in die Erinnerung zu holen.
Der 8. Mai ist der Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, der endgültigen Niederlage NS-Deutschlands und seiner Verbündeten und Kollaborateure.
Bekanntlich haben am Sonntag am Wiener Heldenplatz deutschnationale Burschenschaften und Politiker der Freiheitlichen Partei den Tag der Befreiung als das begangen, was es für ihre Vorgänger war und für sie heute offenbar immer noch ist: ein Tag der Niederlage.
Wir wissen, dass der Nationalsozialismus und seine Ideologie nach 1945 in vielerlei Gestalt nachgewirkt haben und nachwirken. Ich stelle eine Frage: Wie kann eine Inszenierung wie jene der deutschnationalen Burschenschafter am Heldenplatz überhaupt möglich sein? Sie ist möglich, weil sie an die Gedenkarchitektur des offiziellen Österreich andocken können.
Denn dort, wo die Deutschnationalen am 8. Mai ihre Feiern im Andenken an die Verteidiger des Dritten Reichs halten, vor der Krypta am Äußeren Burgtor, finden sich am 26. Oktober zehntausende Österreicher und Österreicherinnen ein.
Ich habe mir am 26. Oktober, dem Nationalfeiertag, das Schauspiel angesehen, das staatsoffiziell von der Republik vor und in der Krypta inszeniert wird. In der Krypta wird allen gefallenen und ums Leben gekommenen Soldaten des Ersten Weltkrieges, des Ersten Bundesheeres, der Wehrmacht und des Bundesheeres der Zweiten Republik gleichermaßen gedacht. Im Zentrum liegt vor einem riesigen Christus-Kreuz eine übermenschlich dimensionierte Soldatengestalt, angefertigt in den 1930er Jahren vom Nazi-Bildhauer Wilhelm Frass. Alle österreichischen Gefallenen der deutschen Wehrmacht sind namentlich in handgeschriebenen Gedenkbüchern in Vitrinen aufgelistet, die Seiten werden rituell umgeblättert. Über all dem thront der Schriftzug: In Erfüllung ihres Auftrages ließen sie ihr Leben. Auftrag der Wehrmachtssoldaten kurz gefasst: Errichtung eines rassistischen Nazi-Reichs in ganz Europa, Assistenzleistung beim Judenmord. Das steht in der Krypta – wie Sie sich denken können – nirgends geschrieben.
Die Krypta im rechten Flügel des Burgtors am Heldenplatz ist das ideelle Gesamtheldendenkmal Österreichs, der Vernichtungskrieg der Wehrmacht kann hier mitgeehrt werden, wie an den vielen Helden- und Kriegerdenkmälern in ganz Österreich auch. Frappierend ist, dass das Verteidigungsministerium und das österreichische Bundesheer hier den geeigneten Platz dafür sahen, den im Dienst verunglückten oder umgekommenen Soldaten zu gedenken, hier sahen auch das Innenministerium und die österreichische Polizei und Gendarmerie den geeigneten Ort, ein Gedenkbuch für die im Dienst umgekommenen Beamten aufzulegen. Hier werden Staatsrituale bei Besuchen ausländischer Delegationen abgewickelt. Und hier sehen eben auch Neonazis, deutschnationale Burschenschafter und ein freiheitlicher Nationalratspräsident den richtigen Ort, um am 8. Mai die Niederlage NS-Deutschlands zu betrauern. Die typisch österreichische Indifferenz – alle waren gleichermaßen Opfer – arbeitet den Rechtsextremen und Deutschnationalen entgegen.
Sie werden sich fragen: Haben sich die Institutionen der Zweiten Republik denn keinen Ort gegeben, wo der Befreiung und der gefallenen und ermordeten Widerstandskämpfer gedacht wird? Doch es gibt diesen Ort: Es ist der Weiheraum für die Opfer im Kampfe um die Freiheit Österreichs im linken Flügel des Burgtors. Er wurde allerdings erst 1965 eingerichtet und fristet seither im Vergleich zur Krypta ein jämmerliches Schattendasein. Vom Standpunkt einer demokratischen Republik aus wäre der Weiheraum der richtige Ort, wo Institutionen der Zweiten Republik wie das Bundesheer und die Polizei jener Soldaten und Beamten gedenken sollten, die in Ausübung ihres Dienstes auf Basis der demokratischen Verfassung ums Leben gekommen sind. Hier sollte eine Kontinuität gesetzt werden: Zwischen jenen, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben und jenen, die auf der Basis einer antifaschistischen Verfasssung tätig sind.
Aber die Realität ist eine andere: Am 26. Oktober ist der Raum für Besucher und Besucherinnen nicht einmal zugänglich. Er ist mit einem brusthohen Gitter abgesperrt. Während Tausende Menschen vom Bundesheer in die Krypta geschleust werden, will sich die Republik den Zugang zu den Freiheitskämfpern nicht leisten! Mir wurde dort einmal gesagt, hier gebe es nichts zu sehen. Namen von Freiheitskämpfern und Freiheitskämpferinnen sind im Weiheraum tatsächlich keine zu lesen. Der Raum wirkt insgesamt wie eine verschämte Pflichtübung, jedenfalls nicht wie ein deutliches Statement der Republik Österreich zu jenen Frauen und Männern, die gegen den Nationalsozialismus und das hieß hierzulande: gegen eine Übermacht gekämpft haben. Ein solch klares Zeichen statt kleinlicher Pflichtübungen fordert das Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz: Ein Denkmal für die Deserteure der Wehrmacht am Heldenplatz. Das wäre auch ein Denkmal für die Villacherin Maria Peskoller, die – wi wir heute noch hören werden – Deserteure unterstützt hat, die nicht mehr bereit waren, an Hitlers Vernichtungsfeldzug teilzunehmen und stattdessen begonnen haben, den Nazismus zu bekämpfen. Maria Peskoller wurde von der NS-Justiz hingerichtet.
Das Denkmal der Namen in Villach ist ein herausragendes Beispiel für das Gegenteil einer jener Pflichtübungen, zu der sich Österreich gelegentlich gezwungen sah, um postnazistische Kontinuitäten zu kaschieren. Das Denkmal der Namen hat mit dem Ausschluss der Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, der Verfolgten und Deportierten, der Ermordeten und Hingerichteten aus dem sozialen und kulturellen Gedächtnis gebrochen. Hier finden Sie beispielsweise die Namen jener Antifaschisten aus Maria Gail, die beim großen Reichskriegsgerichtsprozess in Klagenfurt im Juli 1941 zum Tode verurteilt und dann mit dem Fallbeil ermordet wurden. In Maria Gail haben ehemalige Nationalsozialisten, unter ihnen der ÖVP-Kandidat Karl Fritz, ein für die Verfolgung der Maria Gailer zuständiger SS-Mann, Anfang der 1950er Jahre verhindert, dass ihrer namentlich gedacht wird. Die NS-Gegner wurden von Fritz und dem Ritterkreuzträger der Wehrmacht, dem VdU-Mitbegründer Hans Rohr, noch einmal öffentlich als Verräter der deutschen Volksgemeinschaft gebrandmarkt. Bruchlos propagierten Fritz und Rohr den antislawischen, deutschnationalen Kärnter Heimatkult und jenen Typus heroischer Männlichkeit, der den Kontinent in Schutt und Asche gelegt und wehrlose Zivilisten in Vernichtslager getrieben hat. Der Verein Erinnern hat dieser NS-Kontinuität im Gewande der Heimatliebe 1995 offensiv ein Ende gesetzt.
Wenn wir vor wenigen Tagen im ORF-Radio Andreas Mölzer darüber reden gehört haben, dass sich die Freiheitlichen zur deutschen Volksgemeinschaft bekennen wollen, so bleibt festzuhalten: die deutsche Volksgemeinschaft hat das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts begangen. Sie hat sich realisiert als Verfolgungsgemeinschaft, sie hat sich im Ausscheiden all jener realisiert, die als undeutsch, minderwertig und lebensunwert kategorisiert wurden. Die Nationalsozialisten haben die deutsche Volksgemeinschaft in jeder Stadt, in jedem Dorf versucht mit rücksichtsloser Macht und blanker Gewalt durchzusetzen: für Villach hat der Verein Erinnern diese Praxis und ihr Grauen rekonstruiert. Die Ergebnisse der deutschen Volksgemeinschaft sehen Sie an diesem Denkmal. Es kann gegenüber dieser Idee, die in der Konsequenz und wir müssen bei Ideen und Ideologien immer an die Konsequenzen denken – auch das lehrt das 20. Jahrhundert in vielen Facetten – es kann gegenüber dieser Idee und Vorstellung kein Pardon geben. Es kann, mit dem französischen Philosophen Vladimir Jankélévitch gesprochen, in dieser Hinsicht kein Verzeihen geben; denn es wäre eine schwere Beleidigung gegenüber den Opfern, „ein Mangel an Ernsthaftigkeit und Würde, eine schändliche Frivolität.“
Was bedeutet für mich Erinnern? Ich verstehe Erinnern als kritische Intervention gegen all jene Vorstellungen, die völkische, ethnische und jegliche angebliche „natürliche“ Gemeinschaften und Kollektive zum Zweck der Machtbildung gegen das Individuum, das Subjekt der Aufklärung, durchsetzen wollen. Die Autonomie des Individuums, so angegriffen sie auch sein mag, ist der unhintergehbare, historisch schwer erkämpfte Ort jeder gesellschaftlichen Veränderung nach dem Kollektivitätswahn des 20. Jahrhunderts. Es gibt keine Erlösung im Kollektiv, es gibt nur die Anerkennung des und der Einzelnen, den Streit, die Suche, die freiwillige Assoziation, verschiedene Wege und den Kompromiss.
Der Kompromiss kann politisch notwendig sein, aber er sollte nicht verklärt werden. Erinnern ist kritisches Bewusstsein. Es bedeutet, sich die Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit in der Zeit zu bewahren. Gerade der erzielte Kompromiss zu den zweisprachigen Ortstafeln kann nicht verwischen, welch autoritäre politischen Zustände in Kärnten über Jahrzehnte hinweg von allen maßgeblichen Parteien kultiviert wurden, wie stark die Demokratie ab 1947 korrumpiert wurde. Es ist meines Erachtens daher absurd, etwas als Erfolg zu feiern, was eine Errungenschaft des antinazistischen Kampfes, den Artikel 7, durch die Krücke einer neuen Verfassungsbestimmung biegt. Man mag ihn aus pragmatischen Erwägungen akzeptieren, aber dieser Kompromiss trägt die Insignien korrumpierter Demokratie. Ob bewusst oder nicht: Am deutlichsten hat das jahrzehntelange Nachwirken von Faschismus und Nationalsozialismus in Kärnten der Landeshauptmann kürzlich selbst angesprochen, als er meinte, nun wären die Slowenen in Kärnten gleichberechtigt. Ein härteres Urteil über die Kärntner Nachkriegspolitik und ihre Machthaber – und somit auch über sich selbst und die eigene Partei – kann man eigentlich kaum fällen. Stolz und Triumphalismus sind das letzte, das hier angebracht ist.
Ich beende meine Ansprache mit einem ceterum censeo. Ich bin der Meinung, dass die Kaserne des österreichischen Bundesheeres in Klagenfurt, benannt nach dem Ritterkreuzträger der Wehrmacht, Alois Windisch, umbenannt werden soll. Windisch war ein Kommandeur des Angriffs NS-Deutschlands auf das neutrale Norwegen, er war Kommandeur in der 373. Infanterie-Division, einer der brutalsten Wehrmachtseinheiten im Krieg gegen die Zivilbevölkerung und die Widerstandsbewegung in Jugoslawien. Eine Bundesheerkaserne der demokratischen Republik Österreich sollte Namen von Widerstandskämpfern und Deserteuren der Wehrmacht tragen, nicht aber von Ritterkreuzträgern, die Hitlers Kriegsführung bis zuletzt treu ergeben waren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit
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