"MOBILES ERINNERN" in St. Peter in der Au

Gedenken an die Todesmärsche Ungarisch-Jüdischer Zwangsarbeiter/innen 1944 - 45, Aufstellung des mobiles Denkmals "MOBILES ERINNERN",

Ehrungen der Lebensretterinnen Anna Rohrhofer (geb. Anna Schmid) und Maria Sator (geb. Maria Schmid)


Gedenken und anschl. Festakt in der Carl Zeller Halle

         Musikalische Begleitung: Bläser (HS-Schüler der Carl Zeller MS)

        Ansprachen:
        VBgm. OSR Gerhard WIESER,
Begrüßung
         MMag. Christian GMEINER,  Erläuterungen zum mobilen Denkmal
         Dr.in Eleonore LAPPIN, „Die Juden in der Bogenmühle" 


         Univ. Prof. Dr. Dr. hc. Szabolcs SZITA, Überreichung der Urkunden
         LR LAbg Bgm. Mag. Johann HEURAS,  Dankesworte der Gemeinde
 

Direktor Erich GREINER, Direktor Herwig GRABSCHEIT    
Zahlreiche  interessierte  Schülerinnen und Schüler der HS und Polytechn. Schule,
Lehrerkollegium der Hauptschule St.Peter/Au und Polytechnische Schule St.Peter/Au,


Ehrengäste:

Anna ROHRHOFER (geb. 1927 als Anna Schmid. Tochter des Müllerehepaars, Besitzer der Bogenmühle), Gemeinde St. Peter in der Au

Albert LANGANKE Generalsekretar Int. Mauthausen Com., Linz
Mag. Martin PAMMER Legationsrat BMeiA/II.6a, Wien
Dr. Jürgen STRASSER Büroleiter, Zukunftsfonds Rep. Österreich, Wien

Beide Priester von St. Peter

Anna KASTNER, Dir. Hauptschule Haag
Katharina ZINNER

 

Aufstellung der Gedenkplastik vor der Hauptschule St.Peter/Au
Vogelhändlerplatz 4, 3352 St.Peter/Au

 

 

Die Rettungsaktion in St. Peter in der Au

Eleonore Lappin

 

Am 20. Juni 1944 holten Gendarmen den 73-jährigen Elek Gönczi von seinem Haus ab- Er hatte nur eine halbe Stunde zu, um einige Habseligkeiten und die notwendigen Medikamente einzupacken, bevor er ins Getto seiner Heimatstadt Szeged gerbacht wurde. Damit begann ein einjähriger Leidensweg für den alten Mann, der sich trotzdem als eine Aneinanderreihung glücklicher Zufälle herausstellen sollte. So beschloss Gönczi noch in Szeged, weder mit seinen Bekannten noch mit seinen Verwandten den Weg in die Deportation anzutreten – und bestieg den Zug, der nicht nach Auschwitz fuhr, wo der alten Mann keinerlei Überlebenschance gehabt hätte, sondern nach Strasshof an der Nordbahn. Gönczi war einer von 15.000 ungarischen Jüdinnen und Juden, die zur Zwangsarbeit nach Wien und Niederösterreich verbracht und vor der Vernichtung gerettet wurden.

In Strasshof schloss Gönczi sich einer Gruppe aus seiner Heimatstadt an, die nach St. Valentin überstellt wurde. St. Valentin war ein Durchgangslager, wo Arbeitgeber aus der Umgebung ihre jüdischen ArbeitssklavInnen abholen konnten. Dabei herrschte das Prinzip, das Familien zusammenbleiben sollten. Da Gönczi alleinstehend war, wurde er einer Gruppe zugeteilt, der der 15. Mann fehlte. Auch dies war ein Glücksfall, denn so kam Gönczi am 15. Juli in die Bogenmühle in St. Peter in der Au.

Die zwanzig Jüdinnen und Juden, die im Juli 1944 in der Bogenmühle in St. Peter in der Au ankamen, um hier das seit einigen Jahren zerstörte Wehr wieder aufzubauen, entsprachen nicht den Vorstellungen tüchtiger Arbeiter. Die Mehrheit waren Frauen – eine davon blind –, Ältere und Kinder. Entsprechend langsam schritt die Arbeit voran. Elek Gönczi war wegen seines Alters und seines schlechten gesundheitlichen Zustands – den Schmids erschien er wie ein Neunzigjähriger – von der Arbeit am Wehr befreit. Selbst kleinere Aufgaben, wie Wassertragen und Heizen waren für ihn beschwerlich, doch erfüllte er sie und wusste ansonsten die gute Behandlung durch die Arbeitgeber und die anderen Dorfbewohner zu schätzen. Die Schmids, aber auch Bürgermeister Leitner und andere Ortsbewohner gaben den jüdischen ArbeiterInnen zusätzliche Nahrungsmittel, um die von den Behörden für Juden vorgeschriebenen Hungerratioen aufzubessern. Damit verstießen sie zwar gegen die Vorschriften, aber niemand zeigte sie an. Als sich der Gemeindearzt Dr. Maier an die NS-Gesetze hielt, die „arischen“ Ärzten die Behandlung von Juden untersagten, und eine kranke Jüdin abwies, sprang der Arzt von Seitenstetten, Dr. Gerstmaier, ein, dem Menschlichkeit vor Gesetz ging. Später erhielt die Gruppe einen eigenen jüdischen Arzt zugewiesen, der mit Frau und Kind in die Bogenmühle zog, sodass die Zahl der dort Untergebrachten auf 23 stieg. Da die Jüdinnen und Juden während ihrer Deportation ausgeplündert worden waren, fehlte es ihnen an Kleidung, insbesondere an warmer Winterkleidung. Auch hier halfen die Frauen der Bogenmühle nach Möglichkeit.

 

Ende Februar wurde die Situation für die jüdischen Arbeitskräfte gefährlich: Wegen der Annäherung der sowjetischen Truppen drohte eine neuerliche Deportation in ein Konzentrationslager, nach Mauthausen. Die beiden jungen Töchter der Familie Schmid, Maria (geb. 1926) und Anna (geb. 1927), ergriffen zusammen mit Herrn Weinberger, dem Judenpolizisten (Jupo) der Gruppe, die Initiative und legten im Wald einen Bunker an. Dies geschah heimlich. Nur die Besitzer des Prähofs, auf dessen Grund der Bunker lag, waren eingeweiht und stimmten zu. Wären diese Aktivitäten aufgedeckt worden, hätte das für alle Beteiligten sehr gefährlich werden können. Mitte April war es dann so weit: Bürgermeister Leitner brachte den Befehl zum Abtransport der jüdischen Arbeitskräfte. Doch dann wurde der Bahnhof in Amstetten bombardiert und ein Abtransport somit unmöglich. Gerettet waren die Juden deshalb noch nicht. Denn kurze Zeit später kam Bürgermeister Leitner mit einem Schreiben, in dem der Volkssturm angewiesen wurde, die Juden, deren Verschleppung offenbar unmöglich war, zu erschießen. Trotz oder gerade wegen des verlorenen Kriegs wollten die NS-Behörden mit allen Mitteln verhindern, dass die Juden von den sowjetischen Truppen befreit wurden. Maria und Anna weigerten sich, die Jüdinnen und Juden auszuliefern. Sie rieten Leitner, unterzutauchen anstatt sich kurz vor Hände noch mitschuldig an der Ermordung von 23 Menschen zu machen. Leitner willigte ein und die Jüdinnen und Juden wurden in den Bunker gebracht. Maria und Anna brachten ihnen täglich Verpflegung. Als Angehörige der Waffen-SS nach den verschwundenen Juden suchten, schickte sie Herr Berndl, ein Nachbar der Schmids, in die falsche Richtung. So konnten alle Juden das Kriegsende erleben und übernahmen nun Schutz und Fürsprache für ihre RetterInnen und HelferInnen bei den sowjetischen Besatzern. Elek Gönczi kehrte am 20. Juni 1945 nach Szeged zurück.

 

Um die Bedeutung der Rettungsaktion von Maria Sator und Anna Rohrhofer, wie die beiden Frauen heute heißen, zu würden, müssen wir uns vor Augen halten, was anderen Gruppen von ungarischen Jüdinnen und Juden geschah, deren Abtransport durch die Zerstörung der Bahnverbindungen oder andere Kriegseinwirkungen verzögert oder unmöglich wurde. Ab Mitte April verübten Angehörige der Waffen-SS in Niederösterreich eine ganze Reihe von Massakern mit Hunderten Toten. Ich möchte hier nur die St. Peter nächstgelegenen erwähnen: Am 13. April fielen 76 Jüdinnen und Juden in Göstling Angehörigen einer SS-Werfereinheit zum Opfer. Es gibt deutliche Hinweise, dass dieses Verbrechen mit Wissen, wenn nicht gar auf Wunsch der Kreisleitung geschah. Am 15. April ermordete die Waffen-SS 96 Personen, die auf dem Weg nach Amstetten Randegg passierten, und am 19. April erschossen sie 16 Jüdinnen und Juden bei Gresten. Unterstützt wurde die Waffen-SS bei diesen Verbrechen von der Führung des HJ-Wehrertüchtigungslagers in Lunz am See. In der Nacht vom 2. auf den 3. Mai ermordete eine unbekannte Einheit der Waffen-SS in Hofamt Priel mehr als 220 Jüdinnen und Juden.

Auch für die Jüdinnen und Juden in der Bogenmühle bestand die Gefahr einer Ermordung durch den Volkssturm oder durch Waffen-SS. Wenn heute Frau Anna Rohrhofer und Frau Maria Sator ihre verdiente Ehrung erhalten, soll doch auch die menschliche Stimmung, welche im Ort und insbesondere unter den Nachbarn herrschte und diese Rettungsaktion erst ermöglichte, gewürdigt werden. Dies tut dem Mut der beiden jungen Mädchen und ihrer Eltern keinen Abbruch. Denn die Gefahr, dass das Versteck der 23 Jüdinnen und Juden verraten oder von den SS-Suchtrupps entdeckt wurde, war groß. Anna Rohrhofer und Maria Sator bewiesen, dass es auch zur Zeit des Nationalsozialismus möglich war, menschlich zu empfinden und entsprechend zu handeln.

 

Kurzbeschreibung:

 

Als im Frühjahr 1945 der endgültige Befehl zur Auflösung der Lager und zur„Evakuierung“ der Häftlinge „nach Westen“ erfolgte, nahmen dies einige Arbeitgeber/innen ebenfalls nicht widerspruchslos hin. In St. Peter in der Au, im Kreis Amstetten, retteten die beiden Schwestern Maria (geb. 1926) und Anna (geb. 1927) Schmid die 23 in der Mühle ihrer Eltern untergebrachten ungarischen Juden und Jüdinnen. Die relativ wenigen Arbeitsfähigen – viele von ihnen waren ältere Menschen, darunter eine Blinde, sowie vier Kinder – hatten ab dem 15. Juli 1944 ein Wehr für die sogenannte Bogenmühle, welche den Schmids gehörte, gebaut. Als Maria und Anna Schmid gegen Ende Februar 1945 bemerkten, dass der Abzug der Arbeiter/innen drohte, begannen sie mit Zustimmung ihrer Nachbarn, auf einer Stelle von deren Grund, wo zwei tiefe Gräben zusammenliefen, des Nachts einen Bunker zu bauen und mit Sitz- und Schlafstellen auszurüsten, wobei ihnen die Juden halfen. Mitte April kündigte Bürgermeister Josef Leitner den Abtransport der jüdischen Familien nach Göstling an, doch noch in derselben Nacht wurde der Amstettener Bahnhof bombardiert und die Bahnverbindung unterbrochen. Wenig später präsentierte Leitner den Schmids einen schriftlichen Befehl, die Juden vom Volkssturm erschießen zu lassen. Es gelang den beiden jungen Frauen, Leitner angesichts des absehbaren Kriegsendes zu überreden, unterzutauchen und ihnen Gelegenheit zu geben, die Juden zu verstecken. Maria und Anna Schmid versorgten ihre Schützlinge im vorbereiteten Bunker bis Kriegsende. Diese Rettung wurde einerseits durch ihren Mut und ihre Voraussicht, andererseits durch das Schweigen und die Mithilfe der Nachbarn und des Bürgermeisters ermöglicht. So schickten nicht nur die Schmids, sondern auch ein Nachbar namens Berndl Suchtrupps der SS in die Irre. Nach Kriegsende setzten sich die geretteten Juden bei den russischen Soldaten für die Ortsbewohner ein. Am 7. Mai 1945 unterschrieben die Geretteten auch einen Dankbrief, der allerdings nicht an die beiden mutigen Schwestern, die darin nicht einmal erwähnt werden, sondern an Bürgermeister Josef Leitner gerichtet war Während Anna und Maria Schmid und ihre Eltern nach dem Krieg nichts zu befürchten hatten, konnte der ehemalige NS-Bürgermeister einen derartigen „Persilschein“ sowohl gegenüber der russischen Besatzungsmacht als auch bei einer etwaigen Entnazifizierung gut gebrauchen.



20-25 Tausend ungarische Juden befanden sich vor Kriegsende im Bereich des heutigen Österreich, waren in Arbeitslagern untergebracht oder wurden quer durch das Gebiet unter anderem auch in die Konzentrationslager Mauthausen, Ebensee und weiter nach Gunskirchen transportiert. Sie hinterließen viele Spuren, die heute auf den ersten Blick nicht mehr sichtbar sind: aufgelassene Lagerbaracken oder Gräber zählen ebenso dazu wie Erinnerungen und Erzählungen, die teilweise dokumentiert sind


Der österreichische Künstler Christian Gmeiner führte mit international namhaften Historikerinnnen und Historikern eine Vielzahl von Gedenkveranstaltung durch.
Eröffnung der Gedenkveranstaltungsreihe MOBILES ERINNERN war im  HOLOCAUSTMUSEUMS BUDAPEST: 17. April 2004.



Ein Stahlobjekt (die Grundplatte 4 x 1 Meter und zwei etwa 2 Meter hohe Dreiecke aus gelbem Stoff) wird von der österreichisch-ungarischen Grenze bzw. aus Ungarn in mehreren Stationen durch das Gebiet, in dem Massaker an Juden verübt wurden, transportiert. Begleitende Informationsmaterialien sollen der Bevölkerung Ziel und Inhalt des Projektes verdeutlichen.

näheres unter: www.erinnern.at/bundeslaender/niederoesterreich/institutionen-projekte/mobiles-erinnern-pp

 



Die Juden in der Bogenmühle, Eine wahre Geschichte

Text: Katharina Zinner

 

 

 

 15. Juli 1944. Der Bürgermeister von St. Michael namens Leitner rattert mit seinem Lastwagen von St. Valentin kommend den St. Peterer Marktplatz hinunter. Niemand nimmt Notiz von seinem seltsamen Transport. Aber was werden die Leute von der Bogenmühle sagen? Seit 1940 - damals hatte ein Hochwasser das Wehr der Bogenmühle weggerissen - lagen ihm die beiden Bogenmüller-Töchter, Maria (geb. 1926) und Anna (geb. 1927) in den Ohren, das Wehr solle unbedingt wieder gebaut werden. Das leuchtete dem Bürgermeister ein. Es ging nicht allein darum, dass seither das Mühlrad stillstand. Elf Stück Vieh mussten täglich getränkt werden, und schließlich fehlte das Urlwasser - Wasser mit Trinkqualität - auch in Küche und Haus. Außerdem konnte die ungebändigte Url Flurschäden anrichten und die Straße unwegsam machen, wofür die Familie Schmid (Haus Bogenmühle) haftete. Aber wo sollte er Arbeitskräfte für den Wehrbau auftreiben? In den Bauernhäusern rundum fehlten die Männer. Sie waren längst eingerückt. Die mit der schweren Arbeit allein gelassenen Frauen und Kinder konnten diese kaum bewältigen.

Zur selben Zeit frequentierten tausende Menschen den Bahnhof St. Valentin. Züge mit Viehwaggons, voll gepfercht mit Menschen kamen an und fuhren ab. Ein seltsames Aus-, Ein- und Umsteigen war im Gange. Das KZ Mauthausen war nahe (12 km). Die Bogenmüller-Leute sollten ihren Arbeitstrupp bekommen. 23 Personen ließ sich der St. Michaeler Bürgermeister zuteilen. Jetzt kommt er! Die Bogenmüller-Leute standen an der Hausecke, bereit zum Empfang.

Leitner stieg aus und klappte die Bordwand herunter. Anna und Maria streckten den Ankömmlingen ihre Arme entgegen, um ihnen beim Herabsteigen behilflich zu sein. Diese hatten die Stütze nötig. Alle wirkten erschöpft und schwach. Die meisten schienen zwischen 50 und 60 Jahre alt zu sein - so die fünf Frauen, darunter eine blinde, auch die drei Ehepaare, eines davon mit zwei erwachsenen Töchtern. Ein wenig jünger wirkte ein Ehepaar mit seinem halbwüchsigen Sohn und eine Mutter mit vier Kindern im Alter von 5, 7, 9 und 13 Jahren. Ein 90-jähriger Greis war dabei und ein rüstiger Mann, der Weinberger hieß und den sie Juppo nannten.

Behandelt sie wie Menschen! Damit empfahl sich der Bürgermeister. Jede und jeder sollte ein ordentliches Bett bekommen, einen Sitzplatz am Tisch und die tägliche Nahrung.

Die Mehlstube war geräumig. Ein Ofen wurde installiert, der gleichzeitig als Kochstelle und Wärmequelle fungierte. Ein großer Tisch wurde aufgestellt und der Raum mit 14 Bettstätten angefüllt. Für die Mutter mit den vier Kindern wurden die Betten im Vorhaus aufgeschlagen. Die dreiköpfige Arztfamilie bezog mit dem 90-jährigen Herrn das kleine Zimmer nebenan. Die Zuteilung der Lebensmittelkarten - ohne Fleisch und kleinere Rationen - erfolgte von Amstetten aus. Wöchentlich einmal begab sich Maria in Begleitung von zwei jüdischen Mädchen (19 und 26 Jahre) zum Klein (heute Strini) einkaufen und zum Nefischer (heute Bittner) ums Brot. Von der Familie Schmid wurde die spärliche Zuteilung um 5 Liter Milch täglich aufgebessert. Damit setzte sie sich über eine strenge Weisung hinweg. Es gab keinen fremden Aufseher. Für den geordneten Tagesablauf der Gruppe war Herr Weinberger zuständig. Der Bürgermeister, als verlängerter Arm der Nazis, griff nie hart durch. Im Gegenteil. Der Bürgermeister verstieß selbst gegen die Anordnungen, wenn er - was des Öfteren geschah - mit seinen persönlichen Spenden vorbeikam; mit Gemüse, einem Sack getrockneter Erbsen u.a.m.

Allen, die beim Wehrbau mithelfen konnten, wurde ohne Unterschied die gemeinsame Vormittagsjause angeboten: ein Bröckerl Fleisch aufs Brot, Kartoffel... Herr Reiter, der Fleischhauer von St. Peter, brachte regelmäßig zum Wochenende ein Stück Fleisch.

Die Bevölkerung schien die Juden zu akzeptieren. Zumindest wollte ihnen niemand Böses -

oder doch?

Als Maria mit der blinden Frau den Gemeindearzt Dr. Maier in seiner Ordination aufsuchte und für sie um seinen ärztlichen Beistand bat, brüllte er sie an: Die gehören alle aufgehängt!

Schämen Sie sich, als deutsches Mädchen mit einer Jüdin...

Maria wandte sich hierauf an Dr. Gerstmayr in Seitenstetten. Der behandelte die Jüdin freundlich und kostenlos.

Was die Juden bei ihrer Ankunft am Leibe trugen, war ihre ganze Garderobe. Es gab keinen Koffer, keine Tasche mit Schuhen und Strümpfen darin für die barfüßigen Kinder. Ihre ganze Habe bestand aus ein paar Pinkeln. Sie waren nicht gerüstet für die kalte Jahreszeit. Was die Mutter Schmid an Wolle gesponnen hatte, wurde nun von den Töchtern und den Frauen der Gruppe zu warmen Kleidungsstücken für die Kinder verstrickt. Die Kinder – zwar schulpflichtig, aber aus sämtlichen Schulen ausgeschlossen - verbrachten ihre Zeit mit

kleinen Hilfsdiensten in der Landwirtschaft und mit Spiel. Die wenigen Erwachsenen, die halbwegs zu körperlicher Arbeit taugten, gingen täglich die Url hinauf zum Wehrbau. 40 Meter lang sollte die Betonmauer des Wehrs werden. Sie wuchs sehr langsam und hatte bei Kriegsende erst die halbe Länge erreicht. Später jagten die Russen das halbfertige Mauerwerk aus unbekannten Gründen in die Luft.

Der Weg zur Baustelle führte beim Sessler vorbei. Auf dem Rückweg bog Herr Weinberger da ab. Alle wussten Bescheid. Das Radio der Wienerin, die beim Sessler einquartiert war, benützte er zum Schwarzhören. Er, der nicht nur Ungarisch und Deutsch, sondern auch Russisch und Englisch konnte, war stets informiert über die Situation im In- und Ausland und an den Fronten.

Gegen Ende Februar 1945 spitzte sich die Lage äußerst bedrohlich zu. Die Machthaber wurden immer nervöser, und die Gefahr für die Juden wuchs.

Sie sollten sich verstecken, ganz schnell verschwinden .können, wie vom Erdboden verschluckt. Im vertraulichen Gespräch zw. Herrn Weinberger und den Bogenmüller-Töchtern wurde der Entschluss gefasst, einen Bunker zu bauen. Das musste nachts geschehen, versteckt und geheim. Eingeweiht wurden nur die Prähofer-Leute, denn das steile Gelände ca. 800 m oberhalb der Bogenmühle gehörte zum Prähof. Es ist eine Stelle, wo zwei Gräben, die fallweise Wasser führen, zusammenstoßen.                               .                                                                                                                                                      
Die beiden Frauen benützten die tiefere Rille und gruben einen circa 8 m langen und 2 m breiten Stollen in die Erde. Er war so hoch, dass ein Erwachsener bequem darin aufrecht stehen konnte. Den Stollen deckten sie mit Rundhölzern ab, die sie dicht mit Erde und Laub beschichteten. Sogar Bäumchen und Sträucher, vorher ausgehoben, wurden wieder an ihren Platz gesetzt. Nicht erkennbar wurden die Luftlöcher ausgespart. Zwei lange Pfosten dienten als Sitzgelegenheit und notdürftige Schlafstelle. Der Einstieg befand sich oberhalb einer
mächtigen Eiche, gut getarnt in deren Wurzelbereich und von außen nicht wahrnehmbar.
Notfalls war das Versteck für einen mehrwöchigen Aufenthalt geeignet.                     .
Mitte April überbrachte der Bürgermeister die Nachricht, die Juden seien abzutransportieren. Das war ein Schock. Inzwischen hatte sich eine menschliche Beziehung entwickelt, zu manchen eine tiefere Zuneigung. Niemand war dabei, den die Hausleute gerne ins Ungewisse hätten ziehen lassen. Man ahnte Böses! Der vermeintlich letzte Abend zog sich hin in gedrücktem Schweigen, voll Traurigkeit und Abschiedsschmerz.

In derselben Nacht wurde der Amstettner Bahnhof bombardiert. Die Bahnlinie war blockiert.

Ein Abtransport der Juden war unmöglich. Gerettet!?

Kurz darauf kam der Bürgermeister wieder. Diesmal entfaltete er einen Brief und reichte ihn der Familie Schmid zum Lesen. Er enthielt den Befehl, die Juden von Männern des Volkssturms erschießen zu lassen.

Maria und Anna: Wir verstecken sie!

Der Bürgermeister: Dann bin ich fällig.

Maria und Anna: Versteck du dich auch. Es kann sich doch nur mehr um wenige Wochen,

vielleicht nur um Tage drehen...

Der Bürgermeister ging und war bis Kriegsende nicht mehr auffindbar.

Sobald es dunkel wurde, verließen 25 Gestalten lautlos die Bogenmühle, gingen den Rain, dann den Graben hinauf und verschwanden eine nach der anderen in der Höhle. Da zerriss ein Schrei die Stille. Eine Frau befiel Platzangst. Schnell eine Hand auf ihren Mund gepresst und mit Gewalt hinein gezerrt ins finstere Loch. Wieder war es still, und schließlich waren alle 23 versteckt, wie vom Erdboden verschluckt.                                                                                        

Maria und Anna verschlossen den Einstieg, der von innen nicht zu öffnen war, und machten sich auf den Heimweg. Die beiden Frauen waren zufrieden, als hätten sie ein gelungenes Werk vollendet. Sie fühlten sich stark und mutig.

Als aber eines Tages SS-ler an die Haustür schlugen und Quartier nehmen wollten, fuhr den Hausbewohnern der Schreck in die Glieder. Zum Glück gab sich die Kusine gelassen und antwortete bestimmt: Leider. Das Haus ist voll von ungarischen Soldaten.

Tatsächlich waren im Heuboden Ungarn untergebracht.

Höchste Vorsicht war geboten. Wenn Maria und Anna die Eimer mit der heißen Milch und den dampfenden Erdäpfeln zum Judenversteck schleppten, waren sie darauf bedacht, den Weg nicht auszutreten und wechselten die Route regelmäßig. An der Versorgung der Juden mit Nahrungsmitteln beteiligten sich auch andere verlässliche Mitwisser.

Beim Schenkermaier, einem Nachbarn der Bogenmühle und damals Bürgermeister von Dorf St. Peter, erkundigten sich SS-Männer: In dieser Gegend muss es Juden geben. Wo sind sie zu finden? Herr Berndl antwortete geschickt: Ihm sei zu Ohren gekommen, dass sich welche im Stiftswald herumtreiben. Es ist seltsam, aber die SS-ler gaben sich tatsächlich mit der Auskunft zufrieden und zogen ab.

Mit der Ankunft der Sowjetarmee kam die Befreiung, und damit wendete sich das Blatt. In die von den Juden geräumte Höhle schlüpften jetzt Maria und Anna, mit ihnen andere junge Frauen, wie die Prähofer Lini, die Klein Fanni, die vom Panholz und die von der Hofstatt – aus Furcht vor alkoholisierten Soldaten. Schützlinge und Beschützer tauschten nun die Rollen.

Die Juden waren begehrte Fürsprecher bei den Russen für jene, die sie vorher vor dem tödlichen Zugriff fanatischer Nazis gerettet hatten. Leitner z.B. sah seine Lastwagen gefährdet, bei einem anderen hatten die Russen einen Revolver gefunden...

Der Krieg war aus! Die Menschen fühlten sich befreit von einem schweren psychischen Druck. Trotz der materiellen Not war den Menschen nach Tanzen zumute. Auch fürs Militär war der Krieg aus. Der russische Kommandant inszenierte ein Fest nach seinem Geschmack.

Ein Hochzeitsfest sollte es sein, mit ihm in der Rolle des Bräutigams. Die Rolle der Braut bot er Martha an, einer jungen Jüdin von der Bogenmühle. War Verliebtheit im Spiel? Nein, sagte Maria. Die Stimmung war's, die Hochzeitskutsche, der festliche Tisch, die Musik, nicht das Bett. Sicherlich lag ihr auch an der Gunst des Offiziers, denn er konnte ihnen behilflich sein, möglichst rasch die Papiere für die Rückkehr nach Ungarn zu bekommen.

Ein Jahr nach ihrer Ankunft verabschiedeten sich die Juden von der Bogenmühle.

Alle, auch der Älteste unter ihnen, konnten St. Peter unbeschadet verlassen und die Reise in ihre Heimatorte antreten.

 

Ermöglicht wurde die Umsetzung des Gedenkprojekts durch die
Förderung :

 

Land Niederösterreich, Kulturabteilung der NÖ Landesregierung

Österreichischer Nationalfond für Opfer des Nationalsozialismus,

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Abteilung Bilaterale Angelegenheit