Gedenkstelle vor der ehemaligen Synagoge in Krems
Die 5 Versammlungen der Dinstlstraße
Rede von Robert Streibel anlässlich der Einweihung der
Glasstele in Erinnreung an die 1978 zerstörte Synagoge von Krems
am 7.11.2016 Video: https://www.youtube.com/watch?v=Mzrhi_D6TyM
wenn wir hier heute in der Dinstlstraße vor dem Platz stehen wo sich ein die Synagoge von Krems befunden hat so möchte ich in Erinnerung rufen, dass hier in den letzten 100 Jahren sicherlich nur fünf nennenswerte Versammlungen stattgefunden haben.
Die 1. Versammlung war sicherlich die Einweihungsfeier der Synagoge zu der sich Prominenz aus Krems aber auch aus Wien versammelt hatten. Es hatte Jahre gedauert, bis diese Synagoge hier gebaut werden konnte. Die Widerstände waren heftig und Vertreter der Deutschnationalen wie Dr. Hans Stingl im Gemeinderat verlauten lassen:
„Sie wissen ja ferner, was die religiösen Bräuche der Juden für ein Geschrei verursachen, wollen Sie nun, dass in der Ringstrasse sich dieses erhebe? (...) Ich hasse keinen Juden, aber ich sage, der Boden ist christlich-germanisch und da hat kein Jude etwas zu schaffen“. Es hat Jahre gedauert bis dieser Bau von Max Fleischer realisiert werden konnte. Und die optimistische Stimmung bei der Eröffnungsfeier brachte auch Oberrabbiner Dr. Moritz Güdemann zum Ausdruck.
„Lenken wir unseren Blick aus trüber Vergangenheit in die freundlichere Gegenwart, und segnen wir dann erfüllten Herzens das Haupt unseres vielgeliebten Kaisers und Herrn, der mit gleicher Liebe alle seine Untertanen zu umfassen erst kürzlich Kundgebung durch die Tat zu beweisen.“
Es mag lange gedauert haben bis ein geeigneter Bauplatz gefunden werden konnte und trotzdem dürfen wir nicht vergessen dass die Juden erst wenige Jahrzehnte zuvor die volle rechtliche Gleichstellung erlangt hatten. Die Revolution 1848 war ein Vorzeichen, aber erst 1867 wurde den Juden im Kaiserreich die ungehinderte Religionsausübung zugebilligt. Die Regierungszeit von Kaiser Franz Josef war so etwas wie das goldene Zeitalter für die Jüdinnen und Juden Österreichs. Und es ist daher kein Wunder, dass manche Synagogen auch Kaiser Franz Josef Jubiläums-Synagoge hießen, wie jene in Margareten in Wien. Dies zu erwähnen ist wichtig auf diesem Platz, denn auch dort findet sich eine Glasstele, die einen Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart ermöglicht. Die erste Glasstele findet sich in Hietzing in der Eitelbergergasse und wurde dort nach Plänen von Hans Kupelwieser aufgestellt. Mit dieser Glasstele in Krems wurde diese Idee abermals aufgegriffen und realisiert und das ist mehr als erfreulich.
Die 2. Versammlung auf diesem Platz markiert gleichzeitig das endgültige Ende der Zeit der Gleichstellung und Gleichberechtigung. Am 21. September 1938 versammelt sich hier auf diesem Platz eine große Menschenmenge um Zeuge zu werden, wie die Juden und jene, die von der SA und SS dafür gehalten wurden, gezwungen wurden die Synagoge auszuräumen. Das Novemberpogrom fand in Krems also bereits eineinhalb Monate vor dem November 1938 statt. Die Nazis begnügten sich nicht mit der Räumung des Tempels, sie zwangen die Juden auch „Tempel zu hüpfen“. Nicht wenige fanden es lustig, wenn betagte Juden auf einem Bein hüpfen mussten. Genau auf dem Platz, wo heute die Glasstele steht wurde der Juwelier Peter Bader, der hier sein Geschäft hatte, gezwungen Purzelbäume auf dem Asphalt zu schlagen. Die Demütigung der Juden wurde beklatscht und manche erklärten auch nach Jahrzehnten „blauäugig“ sie wären selbstverständlich zu diesem Schauspiel gepilgert wie eine ehemalige Nachbarin zugibt: „Wir wollten sehen, wie der Rachmuth endlich einmal etwas arbeiten muss.“
Die 3. Versammlung hier in dieser Straße war keine richtige Versammlung, aber eine Menschenansammlung war es sicherlich, als die Straße nach dem Bombenangriff durch amerikanische Flieger am 2. April der Schutt weggeräumt wurde. Es war wohl eine Ironie des Schicksals, dass die Synagoge das erste Gebäude auf dieser Straßenseite war, das bei der Bombardierung des Bahnhofes mehr oder weniger unversehrt geblieben war.
Die 4. Versammlung war eine kleine Versammlung und fand hier im November 1988 statt. „Wir müssen schweigen, um wieder reden zu können“ stand damals auf einem Plakat. Die Klosterschwester stand neben dem kommunistischen Gemeinderat, der Kreisgerichtspräsident neben einem Politiker der Grünen, der Vertreter der SPÖ neben einem Lehrer. Es war wohl nicht mehr als 12 Menschen, die das erste Gedenken an das Novemberpogrom seit dem Jahr 1938 abgehalten hatten.
Und heute die 5. Versammlung, eine offizielle Veranstaltung, eine offizielle Einladung der Stadt Krems und des Bürgermeisters. Die Zeiten haben sich geändert. Manches braucht seine Zeit und es braucht manchmal ist auch ein langen Atem und eine gehörige Portion Ausdauer notwendig, aber dass dies heute möglich ist, das freut mich, wenngleich mit einem Wermutstropfen, denn die, die aus Krems vertreiben wurden können nicht mehr Zeuge dieser veränderten Einstellung zur NS-Zeit sein, denn sie sind in der Zwischenzeit alle verstorben, so auch Abraham Nemschitz, dessen Foto hier auf der Glasstele zu sehen ist.
Die Vergangenheit kann zuweilen auch lehrreich für die Gegenwart sein, erlauben Sie mir zum Schluss ein Beispiel zu liefern. Wer die Debatten über den Bau der Synagoge in den Lokalzeitungen damals durch Zufall heute in die Hand bekommt, für den hat es den Anschein, als würde die Vergangenheit eine Zukunft haben. Da war nicht nur davon die Rede, dass kein deutscher Boden an Juden gegeben werden soll, da wurde auch von der Lärmbelästigung gesprochen und natürlich gab es die Auflage, dass das Gebäude nicht als jüdisches Gotteshaus erkennbar sein sollte. Argumente, die heute verwendet werden, wenn es zum Beispiel um die Errichtung von religiösen Einrichtungen von Moslems geht.
Die Geschichte, warum wir hier nur vor einer Glasstele stehen können und nur ein Foto der Synagoge sehen, kann hier nicht erläutert werden, aber dafür gibt es eine Volkshochschule, wo demnächst ein Vortrag über diesen Teil der Geschichte angesetzt wird.
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