Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal
Themen der Ausstellung
Die Entwicklung bis 1848:
Durch die Verkündigung des „Toleranzpatents“ im Jahre 1782 wurde einzelnen jüdischen Unternehmern der Aufenthalt in Wien und der Ankauf von Ländereien gestattet. Ab 1814 erwarb daher der Bankier Heinrich Aaron von Pereira-Arnstein die Herrschaften Dobra-Wetzlas, Waldreichs, Krumau, Allentsteig und Schwarzenau. Gegen die Emanzipation der Juden wurde die traditionelle religiöse Verunglimpfung der Juden als „Gottesmörder“ wieder aufgegriffen. 1837 wurde Hitlers Vater Alois als unehelicher Sohn der Maria Anna Schickelgruber in dem zur Herrschaft Wetzlas gehörigen Dorf Strones geboren.
1848-1918:
Nach der Revolution 1848 ließen sich auch mehrere böhmische und mährische Juden als Händler im Waldviertel nieder, darunter 1848 die Familie Schlesinger in Altenburg, 1860 die Familie Biegler in Neupölla oder um 1865 die Familie Schwarz in Gmünd und Weitra. Durch das Reichsgrundgesetz von 1867 erhielten die jüdischen Mitbürger die gleichen Rechte wie alle anderen. Daher wanderten weitere Familien nach Niederösterreich ein. Neben einigen großen Holzhändlern im Weinsberger Wald und Textilindustriellen in Gmünd, Litschau oder Heidenreichstein sowie „Kohlenbaron“ Wilhelm von Gutmann in Jaidhof waren dies vor allem Landesprodukten-, Leder-, Vieh- und Textilhändler in den Bezirksstädten. Jüdische Greißler gab es in vielen kleineren Orten wie Neupölla, Groß Poppen, Röhrenbach, Brunn an der Wild, Messern, Altenburg, Frauenhofen oder St. Bernhard. Zahlreiche Ärzte, Apotheker und Juristen aus Galizien und Ungarn ließen sich ebenfalls im Waldviertel nieder,
z.B. in St. Marein, Brunn an der Wild, Rastenfeld, St. Leonhard, Gars und Allentsteig. In Krems, Horn sowie Waidhofen an der Thaya wurden Israelitische Kultusgemeinden mit Synagogen und Friedhöfen gegründet, ein weiterer Friedhof folgte in Zwettl. Um 1900 erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil im Waldviertel seinen Höhepunkt, er lag aber unter einem Prozent. Nach dem Börsenkrach von 1873 entstand ab 1879 ein politischer Antisemitismus, dessen rassistische und deutschnationale Variante vor allem Georg Ritter von Schönerer aus Rosenau verbreitete. Dessen Vorherrschaft wurde Ende des
19. Jahrhunderts durch die Christlichsoziale Partei unter Karl Lueger abgelöst. Aus Dankbarkeit für die vom Kaiser geförderte Gleichberechtigung zogen 1914 auch viele Juden mit Begeisterung in den Krieg.
1918-1938:
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie strömten viele Emigranten aus dem polnischen Teil des Habsburgerreiches nach Wien und zahlreiche zuvor in Böhmen und Mähren meldepflichtige Waldviertler Juden erhielten nun das Heimatrecht in Niederösterreich. Vor allem die generelle Krisensituation führte um 1920 zu einem neuerlichen Aufflackern des Antisemitismus bei allen Parteien und in mehreren Sommerfrischegemeinden des Kamptales. Dieser beruhigte sich mit der wirtschaftlichen Konsolidierung durch Einführung der Schillingwährung 1924, wuchs aber wieder ab der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die 1920 gegründete NSDAP erreichte bereits bei den Wahlen 1932/33 in Groß Poppen, Zwettl oder Gmünd die relative Mehrheit. Die Zahl der jüdischen Mitbürger sank daher bereits 1934 wieder auf ungefähr 800 Personen. Darunter befanden sich allerdings viele
mittelgroße Unternehmer wie der Radiohändler und Kinobetreiber Kurz in Allentsteig, die Farbenfabrik Mandl in Horn, der Kalkproduzent Steinschneider in Brunn an der Wild, die Möbelfabriken Adler in Krems, MÖFA in Eggenburg und Bobbin in Gmünd oder die Getränkeerzeuger Schidloff in Zwettl und Glaser in Heidenreichstein. Außerdem gab es mehrere Agrarindustrielle, z.B. auf den Gütern Ottenstein, Schwarzenau, Pfaffenschlag, Harmannsdorf oder Zogelsdorf. Selten waren jüdische Schuster in Gmünd und Etzmannsdorf sowie Schneider z.B. in Reittern bei Gföhl.
Mehrere Wiener Waisen- oder Ziehkinder kamen als Knechte und Mägde zu Waldviertler Bauernfamilien wie Josef Sonnenfeld in Germanns bei Neupölla.
1938-1945:
1938 wurden Adolf Hitler vor allem in seiner Waldviertler „Ahnenheimat“ gefeiert, bevor er dort den Truppenübungsplatz Döllersheim anlegen ließ. Doch bald setzte die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung und deren Enteignung ein. Gerade für die Aussiedler des Truppenübungsplatzes wurde jüdischer Besitz herangezogen wie die Güter Schwarzenau, Pfaffenschlag, Brunn an der Wild oder Dross, aber auch Privathäuser u.a. in Kirchberg/Walde. Auch die Sparkassen Allentsteig und Zwettl sowie die Stadtgemeinde Horn und Krems „arisierten“ jüdischen Hausbesitz. Im Herbst 1938 wurden die Waldviertler Juden nach Wien ausgewiesen. Während manche der Verfolgung durch Emigration entkommen konnten, wie der Kaufmann Schwebel aus Wetzlas oder drei Töchter der Familie Biegler, wurden zahlreiche andere Menschen deportiert und ermordet. Dies betraf vermutlich mehr als ein Drittel der Waldviertler Judenschaft, allein elf Mitglieder der Familie Biegler oder 17 Mitglieder der Familie Schwarz. 1944 wurden hunderte ungarische Juden zur Zwangsarbeit im Waldviertel eingesetzt. Allein in Gmünd kamen 500 von ihnen ums Leben.
Nach 1945:
Von den im Ausland überlebenden Waldviertler Juden kehrten nur einzelne Unternehmer nach 1945 ins Waldviertel zurück, z.B. die Familien Schwarz und Löwy in Gmünd oder Fürnberg in Eggenburg.
Die überlebenden Familienmitglieder waren meist auf mehrere Länder über den Globus verteilt: die vier Biegler-Schwestern lebten nun in Österreich, England sowie Dänemark, ihr Cousin in Australien und die drei Geschwister Rezek aus Pfaffenschlag in USA, Kanada und Australien. Die Besitzrückstellungen waren erst nach einigen Gesetzesnovellen und komplizierten Nachforschungen nach den häufig verschollenen Besitzern möglich. 1953 kam es zur internationalen „Affiare Finaly“ um die Enkelkinder der Familie Schwarz, die in Frankreich von katholischen Nonnen vor ihrer israelischen Verwandtschaft versteckt wurden. Die vermeintliche und auch tatsächliche „Opferrolle“ der Österreicher sowie die wachsende Rehabilitierung der ehemaligen Nationalsozialisten durch ÖVP und SPÖ führten dazu, dass das Thema unter den Teppich gekehrt wurde. Erst durch den Film
„Holocaust“ (1979) und die „Waldheimaffaire“ (1986) setzte eine Aufarbeitung der regionalen Zeitgeschichte ein.
Im Rahmen der Ausstellung werden folgende Kurzdokumentarfilme gezeigt: Rekonstruktion der Syngoge Krems von Hubert Jagsch, Industrielle & Großgrundbesitzer: Familie Gutmann (Jaidhof), Textilfabrikanten: Familie Knopp (Litschau), Politische Aufmärsche in Ständestaat & Drittem Reich (Eggenburg), Kaufmann & Rauchklubvorstand: Alois Biegler und seine Familie (Neupölla), Pianistentochter & Bauernkind: Olga Frommer (Altpölla), Musiker & Knecht: Josef Sonnenfeld (Germanns), Kindheit im KZ: Ruth Stein (Horn), Jugend zwischen Horn & Auschwitz: Lisette Watson, Klosterschüler im Waldviertel & Knecht in Irland: Hans Kohlseisen (Gmünd) sowie Jugend zwischen Kleinstadt & Kibbuz: Judith Hutterer (Gmünd).
Öffnungszeiten:
1. Mai bis 30. September jeden Sonn- und Feiertag von 14,00-17,00. Gruppen sind auch außerhalb dieser Zeiten herzlich willkommen: Anmeldung, Marktgemeinde Pölla 02988-6220. Eintritt 3,50 Euro. Weitere Informationen: www.poella.at/Museum
Begleitveranstaltungen:
Sonntag, 27. Mai 2018:
14 Uhr Kuratorenführung, 15 Uhr Präsentation des Buches „Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal“ durch den Waldviertler Heimatbund, musikalische Umrahmung mit Liedern von Bertold Brecht, Jura Soyfer und Hanns Eisler.
Freitag, 8. Juni 2018, 19,30 Uhr:
"‘Ezzes was Sie mir geben ..‘ - jüdischer Humor und die Klugheit der Welt“ mit Dr. Martin Haidinger (ORF) und Dr. Paul Mahringer (Volksmusikkenner) Vortrag mit Tonbeispielen in Zusammenarbeit mit der „Waldviertelakademie“; anschließend Führung durch die Sonderausstellung von Dr. Friedrich Polleroß
Freitag, 24. August 2018, 19 Uhr:
Veranstaltung mit dem „Wirtschaftsforum Waldviertel“ zum Thema „Die historische Bedeutung der jüdischen Unternehmer für die Waldviertler Wirtschaft“; Vorträge von A.o. Univ.-Prof. Dr. Andrea Komlosy (Universität Wien) „ Beispiel Textilindustrie“ und Mag. Dr. Guntard Gutmann MSc (Gutmannsche Forstverwaltung Jaidhof) „ Der Gutsbetrieb Jaidhof – Geschichte und Gegenwart“; Führung durch die Sonderausstellung von Dr. Friedrich Polleroß
Begleitpublikation „Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal“
hg. von Friedrich Polleroß, mit Beiträgen von Margit Andrä, Tom Biegler, Renate Eggenhofer, Burghard Gaspar/Franz Pieler, Hanns Haas, Friedrich Kadernoschka, Helen Knopp-Rupertsberger, Christoph Lind, Erich Rabl, Oliver Rathkolb, Doris Steiner, Robert Streibel und Harald Winkler, 704 Seiten, ca. 600 Abbildungen, Bestellungen: WHB www.daswaldviertel.at