Kunst im öffentlichen Raum erinnert an die „Kremser Hasenjagd“
Am 23.06.2018 wurde ein spannendes Kunstprojekt in Krems-Stein eröffnet. Eine Installation an der Gefängnismauer der Justizanstalt Stein erinnert an die ermordeten Häftlinge, die in den letzten Kriegstagen 1945 einem Massaker in der Justizanstalt Stein und im Umland zum Opfer gefallen sind. Beinahe 400 Häftlinge wurden im Zuge der „Kremser Hasenjagd“ ermordet. 2017 hat in Krems das zentrale Seminar von erinnern.at in direkter Nachbarschaft der Justizanstalt stattgefunden. Dabei wurde dieses Ereignis intensiv aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
„06.04.1945“
Die Herausforderung, eine rund 100 Meter lange und 10 Meter hohe Mauer, die die Justizanstalt Stein an nordöstlicher Seite von seiner Umgebung abgrenzt, mit einem künstlerischen Projekt zu gestalten, nahm die in Wien lebende Künstlerin Ramesch Daha zum Anlass, ein dunkles Kapitel der Haftanstalt aufzugreifen: als Teil der sogenannten „Endphasenverbrechen“ als „Kremser Hasenjagd“ bezeichnet, wurden am 6. April 1945 beinahe 400 überwiegend politische Häftlinge sowie der Direktor und drei Gefängniswärter der Justizanstalt Stein durch Angehörige der Waffen-SS, Wehrmacht und SA, unterstützt von lokalen NS-Funktionären, ermordet. In einem erschütternden Gewaltakt wurden in der Anstalt und der Umgebung von Krems, die aufgrund des kurz bevorstehenden Kriegsendes freigelassenen Häftlinge wie der für ihre Entlassung verantwortliche Leiter umgebracht.
Die Künstlerin stellt dieser Gräueltat einen scheinbar formalen Kontrapunkt gegenüber: Ramesch Daha übertrug Auszüge – insgesamt 17 Seiten – des Strafgefangenen-Registers von 1944/45, das der Kremser Historiker Robert Streibl zur Verfügung stellte, wandfüllend und nicht weiter kommentiert auf die Gefängnismauer. Sie rückt durch das verwendete Kopierverfahren eine nüchterne Dokumentation der damaligen Insassen in den Blick. Die riesenhafte Übertragung der historischen Blätter mit ihren handschriftlichen Auflistungen aber erzeugt eine Ebene des Persönlichen, die, Zeile für Zeile, auch Zeugnis der Schicksale ist und versucht, der Unfassbarkeit des Ereignisses durch die schiere Größe der Übertagung ein Gesicht zu geben.
Die Registerseiten wurden wie Blaupausen, also Durchschläge, auf die Wand gesetzt: Die Schrift sowie alle Spuren, die auf den Kopien, die der Künstlerin zur Verfügung standen, vorhanden waren, wurden in aufwendigen Arbeitsschritten zunächst auf 1:1 großen Vorlagen punktiert, die Umrisse mit Ruß auf die Wand übertragen und im Anschluss mit blauer Farbe ausgemalt. Der Charakter des Wandbildes als riesenhafte Kopie ist sofort ersichtlich, die Namen der Insassen wurden aus Respekt und Diskretion der betroffenen Personen und Familien gegenüber unkenntlich gemacht.
Die Wand, die Innen und Außen voneinander trennt, wird so zur Projektions- und Reflektionsfläche dieser dunklen Seite der Geschichte der Justizanstalt.
Die Arbeit von Ramesch Daha ergänzt die zahlreichen künstlerischen Interventionen und Gestaltungen am Gelände der Donau-Universität um eine wichtige historische Komponente. Seit 2005 werden in und um die universitären Gebäude Kunstprojekte realisiert. U.a. von Iris Andraschek und Hubert Lobnig, Heinz Gappmayr, Katharina Grosse und Christian Schwarzwald.
Mehr Informationen:
April in Stein - Roman zum Massaker in Krems Stein: - Link
Moritz Haghofer: Das Massaker im ehemaligen „Zuchthaus“ Stein und die „Kremser Hasenjagd“ im gegenwärtigen lokalen Gedächtnis: - Link
Dokumentarfilm "Die Kremser Hasenjagd" in voller Länge: - Link
Kriegsende und Endphaseverbrechen: - Link
Deutschlandfunk "Ein Massaker wird totgeschwiegen": - Link
Mehr Fotos: - Link
Kurzbio Ramesch Daha
*1971 in Teheran geboren, lebt und arbeitet in Wien. Studienaufenthalte in Vancouver, New York und London. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen im In- und Ausland. Zuletzt war ihre Arbeit „UNLIMITED HISTORY“ im Nagel Draxler Kabinett in Berlin (2018) und im Austrian Cultural Forum in New York (2017) zu sehen, zu der auch eine gleichnamige Publikation erschienen ist. Ihre Arbeiten wurden u.a. bei den Wiener Westwochen/into the city (2017), in der Secession Wien (2015), in der Werkstadt Graz (2014) und dem 21er Haus Wien (2014) gezeigt.
Zuordnung
- Region/Bundesland
- Niederösterreich