Zweiter Aktionstag am jüdischen Friedhof von Wiener Neustadt
Heute erinnert nahezu nichts mehr an diese bedeutende jüdische Gemeinde. Die Geschäfte, Häuser und Wohnungen hatten 1938 und später ihren Besitzer gewechselt, die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten vieles und nur vereinzelt, im Ausnahmefall kehrten Juden nach Kriegsende in die Stadt zurück.
Nachdem die Synagoge am Baumkirchnerring 1952 abgerissen worden war, blieb der jüdische Friedhof als letztes bauliches Zeichen jüdischen Lebens in der Region übrig. Er steht unter Denkmalschutz und ist im Vergleich zu vielen anderen jüdischen Friedhöfen grundsätzlich in einem guten Zustand.
Erster Aktionstag 2007
Da allerdings der Zustand des Friedhofs vor Jahren deutlich zu wünschen übrig ließ, wurde 2007 die Idee zu einem ersten „Aktionstag“ geboren und ein solcher im April desselben Jahres realisiert. Auf diesem Weg konnte die Situation des Friedhofs deutlich verbessert werden.
Näheres zum Aktionstag des Jahres 2007 ist nachzulesen unter:
Zustand 2009
Im Laufe des heurigen Jahres zeigte sich, dass wieder ein entsprechend nachhaltiger Rückschnitt notwendig geworden war, um die Grabsteine selbst und die Inschriften zu erhalten, aber auch um ein weiteres Auswuchern der Vegetation in einige Randzonen des Areals zu verhindern.
Obgleich die Stadtgemeinde mehrmals im Jahr Mäharbeiten leistet, die für die Pflege sehr wichtig sind, so bleiben doch gewisse Arbeiten auf der Strecke. Das laufende Abmähen der Wiesenflächen verhindert die Durchfeuchtung der Steine und damit den Zerfall der Steinstrukturen.
Dennoch geht vom Grünwuchs, von Bäumen und größeren Büschen eine auf den ersten Blick vielleicht kaum erkennbar Gefahr aus. Kletterpflanzen beginnen die Inschriften abzudecken, zerstören Oberflächen und machen Inschriften unlesbar. Wurzeln und Wurzelstöcke vermögen Steinsockel, Stein- oder Betonrahmen anzuheben oder zu verdrehen, sodass die Grabsteine in eine bedenkliche Schieflage kommen und umfallen. Hoch aufwachsende Büsche beginnen an Grabsteine zu drücken und können sie bei Wind zum Umsturz bringen. Schließlich bringen nicht zuletzt herabfallende Äste Zerstörungen mit sich.
All dies sind Gründe, die Vegetation auf solchen denkmalgeschützten Orten, also Grasflächen, Büsche, Sträucher, Kletterpflanzen und Bäume stets entsprechend zu pflegen und zu ziehen, sodass keine Gefahr für schützenswertes Gut entsteht.
Zweiter Aktionstag 2009
Der zweite „Aktionstag“ am 22. Oktober sollte nun primär dazu dienen, den Pflegezustand des Jahres 2007 zu erreichen und weitere Pflegearbeiten zu leisten. Damit galt es diesem Ort mit seiner besonderen Geschichte zu helfen, noch weitere Jahre in einem guten Zustand überdauern zu können. Es sollte verhindert werden, dass – wie dies so oft in Österreich und andernorts geschieht – man nicht im Nachhinein, wenn Wertvolles zerstört ist, jammert: „Warum hat man nicht früher etwas dagegen getan!“
Der Aufruf, etwas zu tun, sich aktiv zu zeigen, stand am Beginn dieser Aktion. Und tatsächlich fanden sich sofort viele Jugendliche, die sich engagieren wollten. Die Rede von „einer Jugend“, die „keine wirklichen Interessen“ habe oder die „politisch uninteressiert“ sei, ist unangebracht. Ganz im Gegenteil, die 17- und 18-jährigen Mädchen und Burschen sehen den gesellschaftspolitischen Sinn, den kulturellen Wert eines solchen Ortes und sie sind bereit sich zu engagieren, wie sie auch eindruckvoll bewiesen haben:
Insgesamt hatten sich am BRG Gröhrmühlgasse Wiener Neustadt über 70 Freiwillige für den „Aktionstag“ gemeldet. Es handelte sich ausschließlich um Schülerinnen und Schüler aus 7. und 8. Klassen (7.C, 8.A, 8.B, 8.C).
Der Weg auf den Friedhof und das gemeinsame Tun vor Ort war entsprechend vorbereitet worden. Jeder sollte genau wissen, wo er sich befindet und in welchem Kontext er hier aktiv wird. Zu diesem Zweck nahmen alle Freiwilligen an einem Vortrag von Dr. Werner Sulzgruber über die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Wiener Neustadt teil, wo sie Informationen über die regionale Zeitgeschichte und die jüdische Geschichte der Stadt, aber auch Schicksale von Juden erhielten. In einzelnen Klassen wurde im Religions-, Geschichte- oder Philosophieunterricht Weiteres zum Thema besprochen: jüdische Religion und Geschichte, Sinn sozialer Tätigkeiten, Denkmalschutz etc.
Der „Aktionstag“ selbst sollte ein Tag des Engagements für diesen unter Denkmalschutz stehenden Ort sein, also Ausdruck des Willens, sich für eine Sache in unserer Gesellschaft zu engagieren. Er sollte außerdem ein Tag des Sich-Erinnerns sein, der die Erinnerungskultur verstärkt und nicht vergessen lässt, sondern auf Leben und Tod von Juden in Wiener Neustadt hinweist. Schließlich war dieser Tag ein Tag für Toleranz und das friedliche Zusammenleben der Kulturen:
Christen sind für einen jüdischen Friedhof tätig – ein Appell, „Fremdes“ nicht automatisch abzulehnen, „Anderes“ nicht blind auszugrenzen, sondern sich mit anderen Kulturen vernünftig, in Frieden auseinanderzusetzen.
Der „Aktionstag“ – ein Tag …
- des aktiven Engagements für einen unter Denkmalschutz stehenden Ort
- des Sich-Erinnerns
- für Toleranz und ein friedlichen Zusammenlebens der Kulturen
Alle Freiwilligen nahmen die notwendigen Arbeitsgeräte mit. Neben den obligaten Arbeitshandschuhen summierten sich Laubrechen, Ast- und Gartenscheren, Sägen, Kübel, Besen und vieles andere. Manches, wie zum Beispiel Rechen und Gebinde, wurde von der Stadtgemeinde beigestellt.
Mitarbeiter des Wirtschaftshofs der Stadtgemeinde hatten am Morgen des „Aktionstages“ einen Baumschnitt auf dem Gelände durchgeführt, sodass zahlreiche Äste auf ihren Abtransport warteten, als die ersten Freiwilligen im Vorhof des Friedhofs eintrafen.
Die Oberstufenschüler waren nach der dritten Stunde vom Unterricht freigestellt worden und kamen um 11 Uhr auf den Friedhof. Das Wetter war zwar kalt, aber zum Glück nicht regnerisch. Nach einer kurzen Einweisung durch Dr. Sulzgruber begannen die Aktivitäten an diesem späten Vormittag im herbstlichen Nebel.
Unterstützt wurde die Schülergruppe von einigen Lehrern, die in ihrer Freizeit mithalfen: Mag.a Martha Pilz, Mag.a Elisabeth Peier, Mag.a Natascha Handl und Mag. Bernhard Schuh.
Die Sollenauer Firma Wewalka hatte auf Anfrage spontan Backwaren für die Freiwilligen zur Verfügung gestellt. Der Elternverein des BRG Gröhrmühlgasse finanzierte Getränke, Gebäck und Wurst. Außerdem wurde kurzfristig sogar heißer Kaffee für die werkende Schar angeliefert – eine besonders freundliche Geste der Schule, umgesetzt von Frau Varga und Frau Mayerhofer.
Schülerinnen und Schüler arbeiteten mit vereinten Kräften. Durch das Zusammenhelfen bei Baum- und Busch-Rückschnitten konnte vor allem der Verwuchs entlang der südlichen und nördlichen Mauer sowie in Zonen an Ecken vorbildlich minimiert werden. Für die Erhaltung der Grabsteine und Inschriften wurden gefährliche Pflanzen, Baum- und Strauchteile entfernt oder so zurückgeschnitten, dass im Sinne des Denkmalschutzes für die nächste Zeit eine beruhigende Situation besteht. Alle Inschriften wurden deutlich sichtbar gemacht, ebenso Grabeinfassungen. Eine historische Wegfläche im Süden wurde wiederhergestellt. Müll, wie alte Kartons, Glas, Metallstangen etc., musste weggeschafft werden.
Insgesamt konnte auf diese Weise, vom Standpunkt des Denkmalschutzes, ein sehr guter Pflegezustand erreicht werden. Ein Vorher-Nachher-Vergleich kann sich sehen lassen und reflektiert die positive optische Veränderung.
Mit ihrem Engagement haben die Freiwilligen des BRG Gröhrmühlgasse Wiener Neustadt gezeigt, was möglich ist, wenn man gemeinsam aktiv wird.
Wenn man will, dann kann man etwas verändern!
Wir haben es gemacht!
Zuordnung
- Region/Bundesland
- Niederösterreich