„Wer ist schuld am Tod von Edith Winkler?“ Völkermord als gesellschaftliche Verantwortung

Unterrichtseinheit für SchülerInnen ab der 8. Schulstufe, basierend auf biographischen Karten, die zur Auseinandersetzung mit Fragen der (Mit)-TäterInnenschaft anregen. Zentrales Ziel ist es, den Massenmord als gesellschaftlichen Akt zu begreifen, in dem sich Verantwortung nicht auf einige wenige direkte MörderInnen reduzieren lässt.

„Meine kleine Schwester hat sich an mich gehängt, bitter geweint: ‚Bitte, geh nicht weg, nimm mich mit. Bitte nimm mich mit. Bitte geh nicht weg.’ Das war es“, erinnert sich Jehudith Hübner (ehemals Jessy Winkler) an den Abschied von ihrer Schwester Edith. Sie konnte nicht mit nach Palästina fliehen und wurde – wie auch ihre Eltern – umgebracht. Das Zitat stammt aus einem Videointerview, das ERINNERN:AT in Israel mit Jehudith Hübner führte, und in dem sie auch über das Aufwachsen mit ihrer Schwester und deren Ermordung spricht. Den Mord an ihren Eltern und besonders an ihrer kleinen Schwester konnte Jehudith Hübner nicht überwinden – und auch nicht verzeihen.

Zur Genese des Unterrichtsmaterials

Mit dem Unterrichtsmaterial "Wer ist schuld am Tod von Edith Winkler?"  richten wir erstmals den Blick auch auf die TäterInnen (im weitesten Sinn) und fragen konkret, wer Schuld und Verantwortung am Tod von Jehudith Hübners Schwester Edith Winkler trägt. Wer und wie waren diese Menschen? Das Kennenlernen von Geschichten und Beweggründen von Menschen löst mitunter Verständnis, Empathie, ja Sympathie aus – Reaktionen, die bei der Beschäftigung mit der Geschichte von Verfolgten gewollt sind, die aber bei der Auseinandersetzung mit TäterInnen Irritationen auslösen können, mit denen umgegangen werden muss. Auch deshalb haben wir zunächst gezögert, Unterrichtsmaterialien über TäterInnen zu entwickeln. Außerdem fehlten uns Orientierungspunkte, weil wir nur wenige Projekte kannten, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt hatten. Den entscheidenden Schritt machten wir mit der Organisation eines internationalen Kolloquiums (Learning about perpetrators of the Nazi period), das 2014 in Bregenz stattfand.

Dort stellten VertreterInnen aus verschiedenen Institutionen konkrete „Tätermaterialien“ zur Diskussion. Eines dieser Projekte, „Being Human“ von Paul Salmons, schien uns besonders mit unseren eigenen, noch vagen Ideen vereinbar. Es diente uns als Vorlage, an der wir uns orientierten, die uns einen Rahmen bot – den wir schließlich adaptierten und mit österreichspezifischen Inhalten füllten.

"Wer ist schuld am Tod von Edith Winkler?"

Wie konnte es dazu kommen, dass ein zwölfjähriges Mädchen im Gaswagen erstickt wurde? Wer ist daran schuld? Diese Fragen stellen nicht nur SchülerInnen, sondern diese Fragen führen direkt zum Verständnis des Völkermords:

Ohne die MittäterInnenschaft, die Unterstüt­zung und Beteiligung oder auch das Wegsehen weiter Teile der Bevölkerung wären die Verbrechen des Nationalsozialismus in dieser Art nicht möglich gewesen.

Ausgangspunkt ist die Lebensgeschichte von Edith Winkler, die 1930 in Wien geboren und im Holocaust ermordet wurde. Im Mittelpunkt steht die Frage, wer für ihren Tod verantwortlich ist. Anhand von Informationen zu Lebensgeschichten und Entscheidungen verschiedener AkteurInnen zur Zeit des Holocaust diskutieren SchülerInnen die konkrete Verantwortung einzelner Personen und Personengruppen.

Durch die Beschäftigung mit konkreten Personen, mit deren Handeln und Unterlassen, werden weit verbreitete und weitgehend falsche Vorstellungen darüber in Frage gestellt, wie es zum Massenmord kommen konnte. SchülerInnen hinterfragen ihre vorgefassten Meinungen und sie erwerben ein Verständnis dafür, wie ganz gewöhnliche Menschen einen Beitrag zum Massenmord leisteten – oder auch dazu, Menschen zu retten.

Dieses differenzierte Verständnis von den Mechanismen, die den Holocaust möglich machten, kann auch auf die Analyse von anderen Genoziden angewendet werden – und leistet damit einen Beitrag zur Prävention von Genozid und Massengewalt.

Gedenksteine für die Familie Winkler 

Am 15.06.2023 wurden in Wien Gedenksteine für Edith Winkler und ihre Eltern Mirjam Mania und Philipp Winkler verlegt. Das Erinnerungszeichen befindet sich in der Rittergasse 6, der damaligen Wohnung der Familie – also an dem Ort, wo der Prozess, der zur Ermordung der drei Familienmitglieder führte, begann. Schulklassen, die mit dem Unterrichtsmaterial „Wer ist schuld am Tod von Edith Winkler – Völkermord als gesellschaftliche Verantwortung“ arbeiten, haben nun die Möglichkeit, diesen Ort aufzusuchen. Weitere Informationen

Bestellung / gedrucktes Unterrichtsmaterial:

Neben dem kostenlosen PDF-download des Unterrichtsmaterials, ist „Wer ist schuld am Tod von Edith Winkler?“ nun auch gedruckt erhältlich.

Das Material wird in einer Box geliefert, für den Unterricht gedruckt, mit abnützungsresistenten biographischen Karten für die Schüler_innen, Bild-Poster für die Klasse, Lehrerhandreichung und Glossar. Lieferung frei Haus. Bestellung bitte an: erinnern@oead.at

Regulärer Preis: € 12,- Lieferung auf Rechnung
Für den Versand außerhalb Österreichs kommen € 4,- hinzu. 

Download:

Alle benötigten Materialien sind hier zum Download verfügbar:

 

  • Die Lebensgeschichte von Edith Winkler (in unterschiedlichen Längen) zur Einführung:  kurz (3 S.) download; kürzer (2 S.) download

  • Die Powerpoint-Präsentation, anhand der die Lebensgeschichte von Edith Winkler im Unterricht eingeführt werden kann:
Powerpoint (PDF): download
Powerpoint (ODP): download
PowerPoint (PPT): download
  • Das Videointerview mit Jehudith Hübner - link

  • Die 41 biographischen Karten, anhand derer die SchülerInnen diskutieren: download

  • Die LehrerInnenhandreichung, die in kompakter Form eine Beschreibung der Unterrichtseinheit und Bezüge zu Lehrplänen und Kompetenzen enthält, sowie die Entstehung und die Ziele des Materials erläutert: download

  • Ein fünfseitiges Glossar, das für die Arbeit in Kleingruppen in kopierter Form aufliegen soll: download

  • Eine Liste mit weiterführender Literatur: download

  • Völkermord als gesellschaftlicher Akt – Auseinandersetzung zu Teilnahme und Verantwortung (Artikel von Ines Brachmann/Axel Schacht, Jahresbericht ERINNERN:AT 2016, S. 8/9) - download

 

Unterrichtsmaterial in einfacher Sprache

Die vorliegende Adaption der Materialiensammlung "Wer ist Schuld am Tod von Edith Winkler" übersetzt die vorhandenen Materialien in einfacheres Deutsch und nimmt in den begleitenden Materialien vor allem Berufsschulen in den Fokus. Die Materialien sind aber auch frei mit der Original-Version kombinierbar - etwa wenn es in einer Klasse einzelne SchülerInnen gibt, die noch nicht lange Deutsch sprechen. So soll die vorliegende Adaption bei der Verwendung der Materialiensammlung in heterogenen Klassen helfen und ein niederschwelliges Angebot für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah darstellen.

Adaption Berufsschulen/ einfache Sprache: download

Biografie Edith Winkler einfache Sprache: download

Einfache Aufgabe Edith Winkler: download

Biographischen Karten einfache Sprache: download

Stundenbilder Berufsschule/ einfache Sprache: download

 

 ______________________________________________

Projektteam: Ines Brachmann und Axel Schacht (AutorInnen Unterrichtsmaterialien), Martin Krist, Werner Bundschuh, Werner Dreier, Maria Ecker-Angerer
Adaption einfache Sprache: Peter Larndorfer
Grafik: Sabine Sowieja
Lektorat: Sigrid Vandersitt

 

Wir danken für die Unterstützung:

Paul Salmons, UCL Centre for Holocaust Education, University College London
die Teilnehmer_innen des Kolloquiums „Learning about perpetratorsof the Nazi period“
die Evangelische Pfarrgemeinde Bregenz
Bertrand Perz, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
Michaela Wiesmayr, BRG Schloss Wagrain Vöcklabruck
Walter Nigg, Bundesrealgymnasium Innsbruck