Tomi Ungerer: Otto

Autobiographie eines Teddybären; Deutsch von Anna Cramer-Klett; Diogenes Verlag, Zürich 1999; 36 Seiten

Teddybär Otto erzählt hier die Geschichte seines ungewöhnlichen Bärenlebens. Eines Tages gerät er in die Hände von David, einem jüdischen Jungen, irgendwo in einer deutschen Stadt. Zusammen mit seinem besten Freund Oskar versucht David, dem Bären das Schreiben beizubringen. Während die Jungen glücklich mit dem Bären spielen, wird die Idylle von den politischen Veränderungen jäh zerbrochen.

Rezension:http://www.zeit.de/1999/42/199942.kj-tomi_.xml

Die Jury von ZEIT und Radio Bremen 2 stellt vor

Ein Trödlerladen in Kanada, Zufall und Anfang von Ottos "Autobiographie". Ungerer findet ihn unter alten Spielsachen, kaputt, zerrissen: "ein Teddybär mit einem Ausdruck von Desperado und Traurigkeit". Er kauft ihn. Zeichnet Dutzende von Blättern - und erst Jahre später entsteht daraus Ottos Geschichte.

"Wenn ich einmal eine Idee habe, geht es schnell." In nur zehn Tagen entsteht Ottos Odyssee. Die Bilder verraten mit jedem Blatt die künstlerische Absicht: keine elegant inszenierte Schönzeichnung, sondern Stenogramme des beklemmenden, finsteren Themas Terror und Krieg: Deportation und Militärwaggons, Bunkernächte und Trümmer, Shermanpanzer und Maschinengewehre, Soldaten, Sieger, Besiegte.

Lassen sich Krieg und Naziterror zum Thema eines Bilderbuches machen? Robert Innocenti, Elisabeth Reuter, Johanna Kang, Eugenio Carmi, Antoni Boratynski und viele andere Bilderbuchmacher haben das bereits versucht. Allerdings mit völlig anderen ästhetischen Mitteln.

Ungerer erzählt - nein, Otto selbst, der Spielzeugbär mit dem Tintenklecks über dem linken Auge, berichtet im Zeitraffer, was ihm widerfährt: Otto ist das Geschenk an David, den kleinen Jungen, der wenig später den gelben Stern tragen muss. In der Nacht, als die Männer in den schwarzen Ledermänteln David und seine Familie holen, vertraut das jüdische Kind sein liebstes Spielzeug dem Freund Oskar an. Ende des Bärenidylls. Otto erlebt auf Oskars Schoß die Bombennächte, wacht zwischen Schutt und Trümmern nach einer furchtbaren Explosion wieder auf, wird von dem schwarzen US-Soldaten Charlie gefunden, mitgenommen. Rettet diesem Mann auf überraschende Weise das Leben. Als Charlies Maskottchen darf er nach Amerika mitfliegen. Das Ende dieser Odyssee - verblüffend, spannend und auf wehmütige Weise "glücklich" - hat Ungerer Kopfschmerzen gemacht.

Der dramaturgisch geniale Einfall, ein unbedarftes, aber beseeltes Stofftier zum Zeitzeugen, zum Erzähler zu machen, ein Geschöpf, das lakonisch berichtet - Idyll oder Katastrophe -, bewahrt Ungerer vor den Gefahren moralisierender Weinerlichkeit. Kein Pathos, kein Lamento, keine moralinsaure Belehrung und Tugendwächterei, die sich oft in Schullektüren findet. Stattdessen ein lapidarer Bericht, begleitet von skizzenhaften Zeichnungen.

Ungerer vertraut auf die verstörende Wirkung der knappen Sätze, er braucht keine pädagogisierenden Vor- oder Nachworte, die an Gewissen, Pflicht- oder Schuldgefühl appellieren. Was er sagen will, wird Konzentrat. Und es berührt umso stärker, je uneitler, je knapper es vorgestellt wird.

Hinter der alten Pennerin zum Beispiel, die im Müll zwischen Ratten und Gestank den Teddybären aus der Abfalltonne fischt, steht ein schäbiger dreckiger Mietkasten. Auf dessen Seitenfassade in Riesenlettern: enjoy Life with Happy Cola . Ungerer ist Meister der Abkürzung. Man spürt in den gehetzten Bildstenogrammen noch den Herzschlag des Machers. Und genau darum können sie den Betrachter rühren. Ungerers Strich ist knapp, ungeschwätzig, hart. Hart wie das lange Kapitel Geschichte von Gewalt, Trümmern, Tränen. Zum Schluss aber heitere Versöhnung. Otto, der Bär mit dem violetten Tintenklecks, findet ein friedliches Zuhause bei friedlichen Freunden.

Altersangabe, Hinweise und Anmerkungen:

Es handelt sich um ein Bilderbuch mit wenig Text auf jeder Seite.

Der Verlag selbst gibt keine Altersangabe, im Versand wird jedoch ein Alter von ab 4 Jahren angegeben. Ein Einsatz ab 6 Jahren scheint jedoch geeigneter. Da es einige Bilder gibt, die Angst einflößend sein könnten (z.B. S. 17, S. 19 Tote; S.18 Eine Hand, die aus dem Schutt herausschaut), sollte auch noch im Volksschulalter eine Auswahl der Bilder vorgenommen werden. Für den Volksschulbereich ist das Buch gut geeignet. Im Sinne des historischen Lernens fehlen jedoch genauere Angaben und historische Zusammenhänge (siehe auch: http://www.widerstreit-sachunterricht.de/ebeneI/superworte/historisch/Kili_ho.pdf ). Hier bedarf es in jedem Fall weiterer Erklärungen.

z.B. : Auf S. 11: „Bis der Tag kam, an dem David einen gelben Stern tragen musste, auf dem ,Jude‘ stand. Jeder sollte sehen, dass er anders war. Aber alle Menschen waren doch gleich! Wir verstanden die Welt nicht mehr.“

Hier fehlt eine genauere Erklärung, die Begründung für die Pflicht des „Sterntragens“ im „Anderssein“ zu suchen, ist eher schwammig und oberflächlich gehalten. Der Hinweis, dass alle Menschen doch gleich sind, erscheint ebenso problematisch, zumal hier äußere Merkmale mit der menschenrechtlichen Identität verknüpft werden. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass auf dieser Seite beide Buben plötzlich sogar ein ähnliches Profil (Nase) aufweisen. Damit sollte offensichtlich die Gleichheit unterstrichen werden.

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