Das Novemberpogrom in der Steiermark und in Graz

Vor 81 Jahren wurde mit dem Novemberpogrom die Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten radikalisiert und systematisiert. Aus diesem Anlass möchten wir Geschichten der Verfolgung aus allen Bundesländern aufzeigen und in Erinnerung halten.

Gleich wie im übrigen Reichsgebiet markierte die Pogromnacht im November 1938 in Graz einen deutlichen Wendepunkt in der Verfolgungsgeschichte der jüdischen Bevölkerung. Die reichsweit simultan erfolgten, beispiellosen Gewaltexzesse wurden in Graz hauptsächlich von der SA getragen, die in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 in einer gründlich vorbereiteten Aktion die Synagoge und am folgenden Tag die Zeremonienhalle am jüdischen Friedhof plünderte und brandschatzte. Neben der materiellen Zerstörung nahezu aller religiöser Stätten und Beschädigung zahlreicher Privathäuser und Betriebe kam es zu schweren körperlichen Übergriffen auf mehrere Juden.

 

Erinnerungen des Rabbiners David Herzog

Der Rabbiner David Herzog war den physischen Attacken besonders stark ausgesetzt. Nachdem er von bewaffneten SA-Männern aus seiner Wohnung gezerrt und quer durch die Stadt getrieben worden war, misshandelte man ihn bis zur Bewusstlosigkeit: „Vor einem Heuschober hießen sie mich, niederknien, und flankierten mich, je einer zur Rechten, der andere zur Linken mit Revolvern in der Hand. Ich verrichtete still, jetzt das neunte Mal, das Totengebet und nun fingen sie an, in mich einzuhämmern. Kopf, Rücken, Seiten, alles wurde weich in mir geschlagen. Noch hörte ich, wie die Bestien sagten, ‚der braucht keinen Schuss mehr‘. Was dann mit mir geschehen ist, weiß ich nicht. Ich fiel in eine Bewusstlosigkeit und so mochte ich etwa eine halbe Stunde so dagelegen sein. Als ich erwachte, hatte ich rasende, nicht zu beschreibende, furchtbare Schmerzen und ich war noch immer benommen und wusste nicht, wo ich bin und was mit mir geschehen war.“

 

Jüdinnen und Juden wurden zwar bereits in den Monaten nach dem „Anschluss“ inhaftiert, das ungeheuerliche Ausmaß, das mit den Massenverhaftungen im Verlauf der Pogromnacht erreicht wurde, hatte bisher aber nichts Vergleichbares gekannt. Während nicht wenige Wiener Juden schon im April, Mai und Juni 1938 ins KZ Dachau verschleppt worden waren, hatte sich die Arretierung der Juden in Graz bis dahin weitgehend auf das Polizeigefängnis in der Paulustorgasse „beschränkt“, das sich am 10. November im Zuge der neuerlichen Festnahmen in den meisten Fällen jedoch nur als Zwischenstation erweisen sollte. In Folge der Pogromnacht wurden dann jedoch neben dem Gemeindevorstand fast alle männlichen, erwachsenen Juden in der Steiermark verhaftet und in den folgenden Tagen nach Dachau verbracht. Insgesamt waren es in Graz 300 und weitere 50 in der restlichen Steiermark.

 

Verfolgung, Misshandlung und Vertreibung

Die 1924 in Graz geborene Laura Schwarz erinnert sich in einem Zeitzeuginnen-Interview an die Nacht des Novemberpogroms: „Mitten in der Nacht um 12 Uhr pumpert´s an die Tür. ‚Aufmachen, aufmachen!‘ Reingekommen ist die SS in den schwarzen Uniformen. Sie haben die Kästen und Schubläden aufgerissen und alles auf den Boden geschmissen. „Runter, raus, anziehen, schnell!“, haben sie uns befohlen. Wir sind runter, rauf auf ein Lastauto, wo schon ein paar Juden aus der Mariahilferstraße oben waren. Dann ging es zum Tempel, der hat lichterloh gebrannt. Ich weiß nicht, wie lange wir dort gestanden sind, die haben uns den Anblick „genießen“ lassen. Kein Mensch hat was gesagt. Nachher sind wir weitergefahren und irgendwo außerhalb von Graz stehengeblieben. „Alle aussteigen. Stellt’s euch mit dem Rücken zur Mur!“, haben sie mit Maschinengewehren in der Hand gesagt. Wir haben nur gebetet. Ich vor allem, dass sie mich als erstes treffen, damit ich nicht zuschauen muss, wie meine Eltern erschossen werden. Das war mein erstes Gebet als Kind. Nach fünf oder zehn Minuten haben sie gesagt: ‚Ihr Saujuden. Geht’s nach links, geht’s nach rechts, aber nach Graz dürft’s nicht mehr zurückkommen!‘“

 

Literatur:

 

Halbrainer, Heimo/Lamprecht, Gerald/Schweiger, Andreas (Hg.): Meine Lebenswege. Die persönlichen Aufzeichnungen des Grazer Rabbiners David Herzog, Graz 2013.

 

Kumar, Victoria: In Graz und andernorts, Lebenswege und Erinnerungen vertriebener Jüdinnen und Juden, Graz 2013.

 

Halbrainer, Heimo/ Lamprecht, Gerald: Nationalsozialismus in der Steiermark. Opfer - Täter - Gegner (Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern, Band 4), Innsbruck-Wien-Bozen 2015.