Filmvorführung und Podiumsdiskussion „Wankostättn – Die Geschichte des Karl Stojka“

Eine Kooperation des OeAD Programms ERINNERN:AT mit HÖR (HochschülerInnenschaft der Roma und Romnja) und dem Gleis 21 in Wien Favoriten

Am Donnerstag, dem 24. Oktober 2024 fand im Rahmen des Jahresschwerpunkts 2024 von ERINNERN:AT – Genozid an den Roma und Sinti – die Filmvorführung des Dokumentarfilms "Wankostätten - Die Geschichte des Karl Stojka" von Karin Berger in Zusammenarbeit mit HÖR und dem Kunst- und Kulturraum Gleis 21 statt. Der Veranstaltungsort im 10. Wiener Gemeindebezirk unterstrich den lokalhistorischen Bezug des Films von Karin Berger.

Nach der Begrüßung der Gäste und Mitwirkenden durch die Moderatorin Elisabeth Holzinger (Gleis 21) begann der Abend mit einer Einführung über die Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung der Roma und Romnja und Sinti und Sintizze durch die Wiener Netzwerkkoordinatorin Antonia Winsauer, die dabei auch auf den Kampf um Anerkennung der Roma und Romnja und Sinti und Sintizze als NS-Opfergruppe einging. Antonia Winsauer betonte in ihren Ausführungen, dass deren Lebensweise schon lange vor der Zeit des Nationalsozialismus als „fremd“ und bedrohlich angesehen wurde. Roma und Romnja und Sinti und Sintizze wurden mit Kriminellen, Landstreichern und EmpfängerInnen von Almosen assoziiert. 1888 gab das österreichische Innenministerium einen Erlass heraus, mit dem Roma und Romnja und Sinti und Sinitzze unter Generalverdacht der Kriminalität gestellt wurden. Ähnliche politisch orchestrierte Maßnahmen fanden auch außerhalb Österreichs statt, obwohl die polizeiliche Kontrolle oder behördliche Registrierung in den jeweiligen Staaten oft verfassungswidrig war.

Ab März 1938 kam es zur systematischen Verfolgung durch die NationalsozialistInnen. Die NationalsozialistInnen stigmatisierten Roma und Romnja und Sinti und Sintizze anhand rassistisch motivierter Kategorien als „rassisch minderwertig“ oder „Asoziale“. Ab 1939 wurden noch nicht verhaftete Roma und Romnja und Sinti und Sintizze, in eigens für sie errichtete Anhalte- und Zwangsarbeitslager überstellt. Der so genannte „Auschwitz-Erlass“ von Dezember 1942, in dem von Heinrich Himmler die „Ausrottung“ aller „Zigeuner“ sowie „Zigeunermischlinge“ als Ziel festgehalten wurde, stellte den Höhepunkt der Verfolgung durch die NationalsozialistInnen dar. Zur Umsetzung dieses Erlasses zum Genozid kam es im darauffolgenden Frühling: Insgesamt wurden etwa 500 000 Roma und Romnja und Sinti und Sintizze durch die NationalsozialistenInnen ermordet.

Der Holocaust an den Roma und Romnja und Sinti und Sintizze wurde in der österreichischen Erinnerungskultur jahrzehntelang stark vernachlässigt. In den ersten Jahrzehnten nach 1945 war es vor allem Privatinitiativen und Einzelpersonen zu verdanken, dass die Stimmen Überlebender gehört wurden. Diskriminierung von Roma und Romnja und Sinti und Sintizze durch Politik, Recht und Gesellschaft waren sowohl in Österreich als auch in Deutschland weit verbreitet, eine Anerkennung als NS-Opfergruppe blieb lange Zeit verwehrt. Anfang 2023 hat auch das österreichische Parlament den 2. August als „Roma-Holocaust-Gedenktag“ beschlossen. Bis heute fehlt allerdings in Wien ein Mahnmal, das an die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Romnja und Sinti und Sintizze Europas erinnert. 

Nach der historischen Einleitung wurde der Film „Wankostättn“ gezeigt. Der Dokumentarfilm basiert auf Interviews, die Karin Berger 1997 mit Karl Stojka geführt hat. Als zwölfjähriges Kind wurde er 1943 mit seinen fünf Geschwistern in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Er hat überlebt, so wie seine jüngere Schwester Ceija Stojka, die Karin Berger schon früher in zwei berührenden Filmen porträtiert hat. Karl Stojka erzählt von seiner Kindheit auf der „Wankostättn“ in Wien, wo sich bis 1941 ein großer Lagerplatz der Roma und Romnja und Sinti und Sintizze befand. In der sensibel umgesetzten Dramaturgie von Karin Berger sehen wir Karl Stojka die Quellenstraße entlanggehen. Nur wenige Interventionen der Regisseurin als Off-Stimme erlauben ein starkes, persönliches Erinnerungsbild von Karl Stojka. Auf schwarzweißen Fotos, die von den NationalsozialistInnen zur Erfassung gemacht wurden, sind die Lagerwiese, die Pferdewägen, vor allem Kinder und Frauen zu sehen. Die Bilder der „Wankostättn“ werden im Film nur kurz gezeigt und erlauben durch die erzählten Erinnerungen von Karl Stojka ein ganz persönliches Erinnerungsbild zu zeichnen. 

Die „Wankostättn“ befand sich in direkter Nähe des heutigen Belgradplatzes, der lange Zeit auch als „Hellerwiese“ bekannt war und nach der unmittelbar angrenzenden Heller Schokoladen- und Zuckerwarenfabrik benannt wurde. Im Jahr 1999 wurde im Park ein roter Kastanienbaum gepflanzt und eine Gedenktafel aus Glas errichtet. Die Tafel wurde mehrmals Ziel von rassistisch motiviertem Vandalismus, im Jahr 2002 wurde sie komplett zerstört. 2004 wurde die zerstörte Gedenktafel durch ein Denkmal aus rotem Stein sowie Metall ersetzt. Im Park befinden sich auch Steine der Erinnerung im Gedenken an die Rom-Familien, die von der "Hellerwiese" verschleppt und in Vernichtungslager deportiert wurden.

Die Filmvorführung wurde durch eine anschließende Diskussion zwischen der Regisseurin Karin Berger, der Netzwerkkoordinatorin Antonia Winsauer, Elisabeth Holzinger und Laura Darvas von der HochschülerInnenschaft der Roma und Romnja ergänzt. Einen bleibenden Eindruck hinterließen dabei die Schilderungen von Laura Darvas, die über ihre Identität als Romnja sprach und wie sie diese im schulischen Kontext lange zu verbergen versuchte. Erst eine Maturafrage, bei der es auch um die eigene Identität ging, bewegte sie dazu offen und selbstbewusst als Romnja aufzutreten. Bei der anschließenden Publikumsdiskussion wurden durch die Schilderungen und Fragen der TeilnehmerInnen die Kontinuitäten der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gegen Roma und Romnja und Sinti und Sintizze augenscheinlich.

Am Ende der Veranstaltung wurde den VertreterInnen von HÖR (Laura Darvas, Vanja Minić) und Santino Stojka (Urenkel von Ceija Stojka) ein Bild von Karl Stojka überreicht, welches durch einen Spender an ERINNERIN:AT gelangte. Patrick Siegele (Bereichsleiter Holocaust Education ERINNERN:AT) betonte, dass es keine langen Überlegungen gab, an wen das Bild übergeben werden sollte.

Die Veranstaltung am 24. Oktober 2024 hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet auf kontinuierliche Ausgrenzungsmuster gegen Roma und Romnja und Sinti und Sintizze aufmerksam zu machen und der Vermittlung einer Roma/Romnja-Perspektive in der österreichischen Öffentlichkeit eine Stimme zu geben. Der diesjährige Jahrgangsschwerpunkt von ERINNERN:AT "Genozid an den Roma und Sinti" wird weiterhin sein Augenmerk auf die schulische und außerschulische Bewusstseinsvermittlung gegen die Diskriminierung von Roma und Romnja und Sinti und Sintizze legen.