Gideon Eckhaus in Tel Aviv verstorben: „Hören Sie mal zu!“

Der Zeitzeuge und Präsident der österreichischen PensionistInnen Israel ist im 97. Lebensjahr in Tel Aviv gestorben.

„Mit Gideon Eckhaus verlieren wir eine starke Stimme für die Anliegen der Holocaust-Überlebenden in Israel, eine Stimme, die fehlen wird. Unermüdlich bis ins hohe Alter trat er für ihre Rechte und ihr Wohlergehen ein. Für viele SchülerInnen und LehrerInnen in Israel und Österreich sind seine eindringlichen Berichte als Zeitzeuge unvergesslich, engagiert und beharrlich suchte er immer wieder den Dialog mit einem oft zurückhaltenden Österreich. Eckhaus forderte Österreich und österreichische LehrerInnen, die im Rahmen der Israel-Seminare Eckhaus kennenlernten,  immer wieder dazu auf Mitverantwortung an den Verbrechen zu übernehmen, in der Schule darüber zu lehren und gegen Antisemitismus und Rassismus einzutreten. Wir in _erinnern.at_ nahmen diesen Auftrag ernst und führen ihn im Sinne von Gideon Eckhaus weiter,“ so der Vorstand von _erinnern.at_

 

Eine zionistische Jugend in Wien

Gideon Eckhaus wurde 1923 in Wien als Sohn des Kaufmanns Karl Eckhaus und seiner Frau Sabine geboren. Weil seine Mutter schon 1934 verstarb und sein Vater häufig auf Geschäftsreisen war, lebten er und sein Bruder Siegfried bei ihrer Großmutter. 1935 hatte er sich dem zionistischen Jugendverband angeschlossen, dessen Aktivitäten auf die Alijah, die Einwanderung nach Palästina, vorbereiteten. Der in den 1930er Jahren zunehmende Antisemitismus begegnete ihm als Kind und Jugendlicher vor allem in der Schule, als etwa ein Professor die SchülerInnen gegen ihn, das einzige jüdische Kind, aufzuhetzen versuchte, aber auch in der Freizeit, als ihn mehrere Kinder am Nachhauseweg und im Schwimmbad schikanierten. Die Ereignisse des „Anschlusses“, des Novemberpogroms und die zunehmende nationalsozialistische Verfolgung bestärkten seinen Entschluss, aus Österreich zu flüchten.

 

Flucht vor der antisemitischen Verfolgung 

„Am Vorabend der Abreise kam mein gottseliger Großvater und segnete mich laut jüdischem Gebrauch für mein zukünftiges Leben. Er war ein strammer Mann, aber die Tränen rollten ihm über die Wangen. Und ich erinnere mich, ich war sehr gerührt. Meine zwei Tanten begleiteten mich zum Bahnhof, die Männer wollten nicht hinkommen, man weiß ja nicht, was sich abspielt, am Bahnhof ist die SS, die Wachleute hin und her gelaufen. Wir sind 60 Jugendliche gewesen, ich war der jüngste in dieser Gruppe, und als ich schon in der Eisenbahn drinnen war, viel durften wir nicht mitnehmen, sehr wenig, und ich noch die Möglichkeit hatte, aus dem Fenster rauszublicken, das einzige, das mich da ziemlich lange Zeit begleitet, ist die Sorge gewesen, dass meine Tanten gut nach Hause kommen.“, erinnerte sich Gideon Eckhaus an seinen Abschied von Wien. Über Triest gelangte er 1939 mit einem Schiff nach Palästina. Der Vater, Karl Eckhaus, wurde in Auschwitz ermordet, Gideons Bruder Siegfried gelangte in die USA.

 

Neue Heimat Israel

Gideon Eckhaus beteiligte sich am Aufbau des Staates Israel, zunächst als Mitglied der Jewish Settlement Police und Haganah, der jüdischen Untergrundarmee, später im Militär und in der Arbeit mit jugendlichen ImmigrantInnen. Für das von _erinnern.at_ entwickelte Lernmaterial „Neue Heimat Israel“ entstand ein Video Interview mit ihm, hier berichtet er u.a. über das schwierige Ankommen in der neuen Heimat.  Nach seiner Pensionierung gründete er gemeinsam mit dem ebenfalls aus Wien stammenden Leo Luster das Zentralkomitee der Juden aus Österreich in Israel und die Vereinigung der PensionistInnen aus Österreich in Israel. Jahrzehntelang setzte er sich aktiv für die Unterstützung der aus Österreich stammenden Überlebenden in Israel ein: Er war maßgeblich an den Restitutionsverhandlungen mit der österreichischen Regierung beteiligt und kümmerte sich auch in sozialer Hinsicht um die „AltösterreicherInnen“ in Israel. Die Treffen in dem kleinen Vereinslokal in Tel Aviv stellten und stellen für Viele einen wöchentlichen Fixpunkt im Kalendar dar.

In Dialog mit österreichischen LehrerInnen

Ebenfalls einen besonderen Fixpunkt der seit 20 Jahren von _erinnern.at_ organisierten Israel-Seminare bildeten die Begegnung der Teilnehmenden mit Gideon Eckhaus und weiteren Mitgliedern des Clubs der österreichischen PensionistInnen. Die Erinnerungen an die nationalsozialistische Verfolgung, an die Flucht ins damalige Palästina und an ihren weiteren Lebensweg in Israel sind trotz ihrer Schwere und Traurigkeit stets mit viel Offenheit und Mut vorgetragen worden. Eckhaus betonte immer wieder die pädagogische, politische und persönliche Bedeutung der Fortbildungen in Israel und der Zusammenkunft von österreichischen Lehrkräften und „Israeli Austrians“ im Lande.  

Ambivalentes Verhältnis zu Österreich

Gideon Eckhaus besuchte Österreich regelmäßig, 1993 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft zurück. Eine permanente Rückkehr schloss er für sich dezidiert aus. Seine Einstellung zu Österreich war keine stabile und änderte sich über die Jahre, wie er in mehreren Interviews beschrieb. Die Leugnung einer Schuld und Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus und des Holocaust blieb ihm unbegreifbar. „Die Österreicher, zu meinem großen Bedauern, aber so wie es sich erwiesen hat und so wie es auch erzählt wurde, von vielen, die ich getroffen habe, sind die extremsten Nazis gewesen, die gefährlichsten. Die Österreicher, sind sie Wächter in den Konzentrationslagern gewesen, sie haben sich als die unmenschlichsten immer erwiesen. Ich weiß nicht, ich staune sogar, wie so was überhaupt möglich ist, wie solche Menschen, welche in so einem Land, mit so einer schönen Natur, mit solchen fließenden Flüssen, mit diesen Melodien, Menschen, denen an und für sich nichts fehlt, außer den wahnsinnigen Leides des Krieges und nach dem Krieg die Besetzung, die sicher nichts Gutes und nichts Schönes gewesen sind, aber Menschen, die an und für sich eine Heimat besitzen, die nicht jeder besitzt, denn wenn Sie mich fragen, was mich ja nach Österreich von Zeit zu Zeit zurückzieht, ist das Land, denn das Land trägt ja keine Schuld, an nichts, an gar nichts. Ich habe in Österreich gute und schlechte Menschen getroffen und so ist es überall auf der ganzen Welt.“

Für _erinnern.at_ war Gideon Eckhaus ein langjähriger wichtiger Wegbegleiter. Der Vorstand und das Team trauern um ihn.

 

 

Links:

Videoportrait Gideon Eckhaus auf der Lernwebsite Neue Heimat Israel:  - Link

Vier Videointerviews mit Gideon Eckhaus auf weiter_erzählen: - Link