Große Verdienste für die Holocaust Education und die Beziehungen zwischen Österreich und Israel: Persönliche Worte zu Martina Maschkes Verabschiedung in den Ruhestand

Anlässlich der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats von ERINNERN:AT im Mai 2023, die letzte an der Martina Maschke als Leiterin der Abteilung „Bilaterale internationale Angelegenheiten Bildung und Holocaust-Education/Erinnerungspolitik international“ teilgenommen hat, würdigte der ehemalige Beiratssprecher Falk Pingel die langjährige Wegbereiterin und -begleiterin von ERINNERN:AT Martina Maschke mit einer bewegenden Rede. Wir teilen die persönlichen Erinnerungen Falk Pingels hier im Original.

Liebe Martina, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich und bedanke mich dafür, dass Sie mich eingeladen haben, an Martinas Verabschiedung von ERINNERN:AT teilzuhaben. Wir haben uns zwar schon anlässlich meines Ausscheidens aus dem Beirat verabschiedet, uns wiedergetroffen wiederum im Rahmen von Aktivitäten von ERINNERN:AT, zuletzt beim Zentralen Seminar in Hohenems im November 2021, das mir einen Rückblick auf 20 Jahre der Arbeit von ERINNERN:AT erlaubte, und diese 20 Jahre haben wir mit Freude und Engagement zusammengearbeitet, beschäftigt mit einer Vergangenheit, die nicht vergessen werden soll und auf unsere Gegenwart einwirkt. Wenn Abschiede zu Wiedersehen werden – umso besser. Allerdings scheint mir, dass dies vielleicht der letzte, bewusste und institutionelle Abschied ist; ich hoffe, das schließt ein Wiedersehen nicht aus, Martina.

Als Vertreterin des Bildungsministeriums – aber ich glaube, nicht nur in dieser Funktion, sondern auch weil es Deinem eigenen Wollen und Deinen Vorstellungen entsprach und entspricht – hast Du in unseren Sitzungen stets darauf geachtet, wie unsere Überlegungen zur Vermittlung der schwierigen Vergangenheit des Nationalsozialismus praktisch für den Unterricht und die Tätigkeit des Ministeriums werden können.

Ich glaube, es war für Dich und das Bildungsministerium in gleicher Weise ein Glücksfall, dass Dir die Leitung der Abteilung für die internationalen Kulturbeziehungen übertragen wurde.

In einem rückblickenden Interview des jüdischen Stadtmagazins wina, das auch auf der Website von ERINNERN:AT zu finden ist, antwortest Du auf die Frage, wie es zu Deinem Engagement für ERINNERN:AT gekommen sei, mit entwaffnender Einfachheit: „Vielleicht habe ich einfach den Bedarf erkannt.“

Selbstverständlich ordnest Du diese Erkenntnis als Historikerin in einen entsprechenden Hintergrund ein, nämlich die Rede des damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky von 1993 in Jerusalem, die Du als erstes offizielles Eingeständnis einer Mitverantwortung Österreichs an den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges und der Schoa gewertet hast und die den Anstoß zum Abschluss des ersten bilateralen Memorandums zwischen Israel und Österreich führte, das wiederum die Entsendung österreichischer LehrerInnen für Seminare in Yad Vashem einschloss und dem die Gründung von ERINNERN:AT folgte. Damit warst Du an leitender Stelle daran beteiligt, eine neue Dimension von Lehrerfortbildung in Österreich zu erschließen, nicht nur im Austausch mit Israel, sondern vor allem auch mit den Vor- und Nachbereitungsseminaren in Österreich, in denen wir uns der Analyse von Unterrichtsmedien, der Behandlung von zentralen Themenbereichen des Unterrichts über den Nationalsozialismus und Unterrichtformen wie Exkursionen an Stätten der Verfolgung gewidmet haben. Dabei hat die Übertragung des historischen Wissens auf Fragen der Gegenwart für Dich eine wichtige Rolle gespielt. Auch hierzu hast Du in dem Interview in unkomplizierter Offenheit Stellung genommen, ohne den SchülerInnen eine „Lehre“ aus der Vergangenheit aufzwingen zu wollen: 

Es geht Dir um Nachdenken, um die Aufmerksamkeit dafür, die Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu sehen, ohne zu behaupten, die eine würde die andere definieren: „Es lohnt sich zum Beispiel darüber nachzudenken, welche Beziehungen zwischen aktueller Fremdenfeindlichkeit und den damaligen Vorstellungen von der homogenen Volksgemeinschaft bestehen.“ (Martina Maschke)

Du warst keine ministeriale Administratorin oder gar Kontrolleurin von ERINNERN:AT, sondern eine Interessentin, kundige Sachwalterin und durchaus emotional engagiert. Der Gedankenaustausch mit Dir war daher immer engagiert, nie nur formal. Und Du hast Sinn für Austausch über das Dienstliche hinaus, bzw. eine gewisse Kulturteilhabe gehörte noch zum Dienstverständnis.

Der Autor des Artikels Falk Pingel gemeinsam mit Martina Maschke bei einer Sitzung des wissenschaftlichen Beirats von ERINNERN:AT.

Seit ich zum ersten Mal am Ende meiner Schulzeit in Rom war, schätze ich diese Stadt am meisten, weil sich in ihr so lebendig so viele historische Schichten überlagern; noch heute wohnen Menschen in Häusern, die im römischen Kaiserreich gebaut worden sind und trotz aller Veränderungen ihre Substanz bewahrt haben. Zwar geht Wien auf ein römisches Militärlager zurück, ist dann in seiner Bausubstanz aber bei weitem nicht so alt. Dennoch ist Wien nun hinter Rom zumindest an die zweite Stelle gerückt, weil ich hier in meinen vielen Spaziergängen vor oder nach unseren Sitzungen eigentlich noch mehr aktuell genutzten Altbestand, der mich begeistert, gefunden habe als in Rom. Hilde Spiel schreibt über Wien (Die steinerne Vergangenheit, in: Wien, Spektrum einer Stadt, 1971, zitiert nach Helmut Niederle: Europa Erlesen. Wien, 1997): Auch hier vertreibe „die Lust an der bewältigbaren Gegenwart die Ehrfurcht vor allem, was vordem als Sinnbild besserer Zeiten gehegt worden war. Dennoch ist in großen Zügen das Gesicht einer Stadt gewahrt geblieben, die sich in unvergleichlicher Ruhe und Harmonie aus einer kleinen gotischen Gemeinde zu einer modernen Metropole entwickelt hat, ohne den Wechsel der Epochen zu verleugnen oder zu verwischen.“ Etwas kritisch geschichtsbewusster schreibt Kurt Klinger (Der Sommer Wiens, in: Erinnerung an Gärten, Stationen und Reisen, 1989, zitiert nach Niederle): „Es wäre ganz unsinnig, Stationen der gemeinsamen, bezeugbaren Geschichte auszuschließen, zu verschweigen oder zu brandmarken mit Parolen einer rasch sich überlebenden Opportunität oder gar zu behaupten, nicht alles zugleich, nicht die Totalität des Gewesenen habe nachgewirkt, sondern nur dieses und jenes durch Auswahl zum Schlechteren oder zum Guten. Dieses Wien ist mit seinen Sternstunden und seinen Verbrechen, mit seinem Heroismus und seiner Fahrlässigkeit unwiderruflich identisch.“ ERINNERN:AT hat mir Wien aufgeschlossen und ich hoffe, Du hast in Zukunft viel Zeit und Muße für diese Stadt, in der Du wohnst.

Ruth Klüger schreibt über ihren Besuch in dieser „Stadt der Vertreibung“: „Das ist nicht die düstere Stadt, die sie [Ruth Klüger] im beschädigten Herzen trägt, und doch kommt’s der Heimkehrerin vor, als ob dieses, das heutige Wien voller Schlaglöcher sei, als könne sie auf der Mariahilferstraße stolpern und im Prater im Gebüsch versacken … am Graben verschluckt werden.“ Diese Widersprüche unserer Geschichte sind unaufhebbar, aber nicht unüberwindbar.

Auf einem unserer Treffen hast du mir das Buch von Edmund de Waal „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ geschenkt, das sich um die Geschichte der Familie Ephrussi, ihren Wiener Palast an der Ringstraße sowie ihre Sammlung japanischer Netsuke – kleiner geschnitzter Figuren aus Holz oder Elfenbein - dreht.  Im Wohnzimmer eines Freundes von mir, Ostasienexperte, steht ein zierliches, aber raumhohes Regal mit lauter Netsuke; ich hätte Dir jetzt gerne ein Foto davon eingeblendet, doch leider ist der Freund erkrankt und kann es nicht senden. Die Netsuke sind ein Zeichen Deiner Aufmerksamkeit für und Freude an kleinen Dingen, überhaupt den Geschmack an guten Dingen, den wir leibhaftig bei so manchem Wiener Abendessen gefühlt und genossen haben.

Ich wünsche Dir, liebe Martina, dass Du als Wienerin nun diesem Wien, das in den israelischen Analysen der Geographie so positiv erwähnt wird als eine der lebenswertesten Weltstädte, noch intensiver nachspüren kannst als in Deiner Berufszeit. 

Patrick Siegele (OeAD Bereichsleiter Holocaust Education, Stabstelle ERINNERN:AT) und Martina Maschke beim Zentralen Seminar 2022. 

Für mich waren die gemeinsamen Konferenzen in Israel stets ein besonderes kulturelles und pädagogisches Erlebnis, aber auch eine ebensolche Herausforderung, insbesondere in den nach langer Vorbereitungszeit zustande gekommenen Schulbuchtreffen, trafen hier nicht nur unterschiedliche Unterrichtstile zum Thema Nationalsozialismus aufeinander (mehr rational informativ in Österreich, dagegen stark emotional besetzt in Israel, gebrochen noch durch die unterschwellig stets vorhandene Opfer-Täter Relation), sondern auch kontroverse politische Perspektiven, die die Sichtweise und Darstellung des Israel-Palästina-Konflikts in den Unterrichtsmedien beiden Länder betrafen.   

Auch wenn es zu dramatisch klingen mag und wir die Nachgeborenen sind, die über die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus reden, ohne sie erlebt zu haben wie Ruth Klüger, möchte ich mich zum Schluss auf zwei Zeilen beziehen, mit denen sie ihren Erinnerungsbericht „unterwegs verloren“ beschloss; diese Zeilen handeln davon, dass sie in Wien, „im Hause des Henkers“ geboren sei und den Strick des Henkers gefühlt habe. „Doch der Strick ging verloren, und der Henker ist gestorben. Auf dem Galgenplatz blüht jetzt der Flieder.“ Der Bitternis des Faktischen, die in diesem Satze liegt, können wir uns nicht entziehen, aber der Satz erlaubt auch eine weitere Interpretation, die über das Faktische hinausgeht: Ja, wir wissen, dass unter dem Flieder Gräber liegen, aber in der Reflexion dieses Wissens, was geschehen ist, zielen wir auf eine Zukunft, die das vergangene Geschehen überwindet, aber in Erinnerung behält.    

Liebe Martina, Du hast zumindest Dein berufliches Leben – über Dein privates weiß ich zu wenig – der Aufgabe gewidmet, in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Zukunft für kommende Generationen zu gewinnen. Es war mir eine Freude, Dich dabei ein Stück begleiten und beraten zu können.

Nun ist aber Zeit für die Ernte gekommen und die Früchte zu genießen, die den Blüten Deiner Tätigkeit erwachsen sind. Ich habe erlebt, dass die Zeit des sogenannten Ruhestandes uns einen neuen Erlebnisraum aufschließt, sowohl in den familiären Beziehungen als auch ganz konkret in den Räumen, in denen wir leben, dass Du Dich also ohne zeitliche Rücksichten der so reichen Wiener Kultur zuwenden und noch viele Male Israel besuchen kannst, auch wenn wir über dessen Zukunft weiterhin besorgt sein werden.
Also: auf einen entspannenden, aktiven Unruhestand!

 

Falk Pingel, 11.5.2023