Simon Wiesenthal Konferenz: (Un)Rühmliche Opfer? Die Paradigmen der europäischen Gedächtnispolitik auf dem Prüfstand

(Un)Rühmliche Opfer? Die Paradigmen der europäischen Gedächtnispolitik auf dem Prüfstand. Eine Konferenz des VWI.
Wann

27.11.2017 08:00 bis 29.11.2017 17:00 (CET / UTC100)

Wo

oesterreich

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Der Märtyrerkult hat in der europäischen Kultur eine lange Tradition. Im 19. Jahrhundert wurde die Heldenverehrung tragendes Element der Nationswerdung(en), fokussierte aber nicht mehr auf den heldenmütigen Feldherren, sondern auf den leidenden einfachen Soldaten – und schuf so europaweit ähnliche Rituale und Ikonografien des Leidens für die Nation. Die Gemetzel des Ersten Weltkriegs höhlten diese heroische Konstruktion des Märtyrertums zwar aus, aber letztlich führte das neue Leiden für die Nation in Gemeinschaft mit den vielen, einander ausschließenden und miteinander erbarmungslos wetteifernden Prozessen der Nationsbildung(en) – die viele Gruppen marginalisiert hatten – zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust, zur sozialen, politisch-rechtlichen und schließlich industriellen Vernichtung von Menschen.

Im Kontext des Wiederaufbaus Europas gedachte man unmittelbar nach 1945 der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden fast ausschließlich im Rahmen der großen Erzählung des Widerstands. Dies schuf das Bild antifaschistischen Martyriums, leugnete die Besonderheit des jüdischen Leids und klammerte den Holocaust aus den nationalen Geschichten aus. Mit dem Ende des Kalten Kriegs verlor dieses Narrativ seine Glaubwürdigkeit. Es wurde klar, dass es die traumatische und schreckliche Erfahrung der Schoah nicht wirklich erfassen oder gar zu deren Überwindung beitragen konnte. Die Anerkennung der ‚unpolitischen‘ Opfer wurde nun zum zentralen Inhalt des Diskurses.

Im Gefolge dieses Paradigmenwechsels geriet der Holocaust zum allgemein anerkannten und akzeptierten transnationalen europäischen Ereignis und diente nun als Bezugspunkt für eine europäische Identität. Dies produzierte einen hegemonialen, ausschließenden, am Zentrum orientierten – und damit auch äußerst verwundbaren – Diskurs: und das, obwohl der Holocaust, vor allem an den Peripherien, traditionell der Konkurrenz anderer historischer Traumata ausgesetzt war: den Erschütterungen durch die irische Hungersnot, durch den Stalinismus und den Spanischen oder Griechischen Bürgerkrieg.

Ziel der Konferenz ist es, die dominanten Narrative über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg, einschließlich ihrer Vorläufer und Folgen, einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Links:

Mehr Informationen auf der Website des VWI

Programm der Konferenz