Neuerscheinung: „Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“
Ausgelöst durch die sogenannte „Liederbuchaffäre“ der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt[1] setzte die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) im Frühjahr 2018 eine Historikerkommission ein, die auch die „dunklen Flecken“ in der von ehemaligen Nationalsozialisten mitbegründeten Partei ausleuchten sollte. Während bislang erst ein kurzer, ob seiner Intransparenz vielfach kritisierter „Rohbericht“ präsentiert worden ist[2], hat die Historikerin Margit Reiter nun eine umfangreiche „Biografie der FPÖ“ vorgelegt.
Durch eine detaillierte Analyse der Entstehungsjahre rückt Reiter, seit diesem Herbst Professorin für Europäische Geschichte an der Universität Salzburg, das Selbstbild der Partei zurecht. Mit dem politischen Ziel, ehemalige Nationalsozialisten vollständig zu rehabilitieren, zog der „Verband der Unabhängigen“ (VdU) 1949 mit fast 12 Prozent in den Nationalrat ein. 1956 ging daraus die FPÖ hervor. Beide Parteien waren „von ihrem Selbstverständnis, ihrer Programmatik und ihrer personellen Zusammensetzung her das parteipolitische Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten schlechthin“, so die Historikerin.
„Einzelfälle“ und Doublespeak
Die Studie bezieht zahlreiche bislang unberücksichtigte Quellen ein – etwa den Nachlass von Anton Reinthaller, Minister im „Anschluss“-Kabinett“ 1938 und FPÖ-Parteigründer – und dokumentiert anhand dieser die ersten „Einzelfälle“ reproduzierender NS-Ideologie. Deutlich wird die Kontinuität der Doppelzüngigkeit im Gebaren und Wording sowohl der VdU wie auch der FPÖ: In der unmittelbaren Nachkriegszeit distanzierte sich die Parteispitze (mehr oder weniger) deutlich vom Nationalsozialismus, sprach sich aber gleichzeitig lautstark und letztlich erfolgreich gegen den Entnazifizierungsprozess in Österreich aus. Reinthallers Nachfolger Friedrich Peter bekannte sich offen zu seiner SS-Vergangenheit.
„In den Grundzügen mag man diese Geschichte gekannt oder geahnt haben; mit Margit Reiters Arbeit haben wir nun eine gründliche, facettenreiche Darstellung, die den historiografischen Eiertanz der FPÖ-Historikerkommission beschämt, freilich nicht Detailstudien (etwa zu den Burschenschaften) ersetzt“, bilanziert der „Falter“ in seiner Rezension des Buches.[3]
Margit Reiter, Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ, Göttingen 2019.
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[1] „Nazi-Lieder bei Burschenschaft von FPÖ-Kandidat Landbauer“, Der Standard, 24.1.2018.
[2] Markus Sulzbacher, „FPÖ legt ihre Geschichte vor – teilweise“, Der Standard, 6.8.2019. https://www.derstandard.at/story/2000107080066/fpoe-legt-ihre-geschichte-vor-teilweise
[3] Alfred Pfoser, „Blaue Geschichtsschreibung mit doppelter Zunge“, Falter 39/19.