Zeitzeugin Elisabeth (Lisl) Jäger verstorben
Die als Leopoldine Elisabeth Morawitz 1924 in Wien geborene Widerstandskämpferin und Journalistin verstarb, wie erst jetzt bekannt wurde, am 28. Juni 2019 in Berlin.
Entschieden, empathisch, gelassen, so wirkt Lisl Jäger in einem Interview, das sie 1998 für die USC Shoah Foundation gab. Entschieden tritt sie in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus einst und in der Nachkriegszeit auf, Empathie zeigt sie Benachteiligten gegenüber. Mit Gelassenheit, aufmerksam und in Ruhe beantwortet die Journalistin Jäger die Fragen der Interviewerin. Dennoch sagt sie in einer Mischung aus Berliner Hochdeutsch und Wienerisch in aller Deutlichkeit, was Nationalsozialismus für sie und andere KZ-Häftlinge bedeutet hat und wann der Punkt erreicht ist, an dem sie keinen Kompromiss eingeht: „Toleranz ja, aber nicht gegenüber Faschisten. Wenn einer akzeptiert, dass ein anderer Mensch nur seiner Geburt wegen ermordet wird, fehlt mir jegliches Verständnis, absolut“.
Video-Interview mit Jäger auf der Website weitererzählen.at: - Link
Kommunistischer Widerstand
Jäger hatte sich als Jugendliche im nationalsozialistischen Österreich dem kommunistischen Widerstand angeschlossen, wurde denunziert und verurteilt. Sie war in verschiedenen Gefängnissen und im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Nach dem Krieg entschied sie, in der DDR zu leben. Sie übte ihren Beruf aus, sie wurde Mutter. Es war ihr ein Anliegen, über die nationalsozialistischen Verbrechen aufzuklären. Als Kommunistin und „glühende, heute weniger, früher mehr, Antifaschistin“ lehnte sie Gott, der die Menschen im Stich gelassen hatte, ab. Dennoch ist ihre christlich-katholische Sozialisation in Wien und das sich daran Reiben auch in diesem Gespräch von 1998 spürbar.
_erinnern.at_ hat dieses Interview für Schule und Forschung aufbereitet. Ausschnitte aus dem Gespräch sind auf der Schul-DVD „Das Vermächtnis“ und im Interview-Archiv weiter_erzählen zu sehen. SchülerInnen äußern immer wieder, wie beeindruckt sie von der Widerstandskämpferin sind.
Widerstand und Haft
Lisl Jäger wurde 1924 in Wien in eine arme Familie geboren. Sie hatte drei Geschwister und wuchs im sozialdemokratischen Milieu im Gemeindebau auf. Ihre Familie wandte sich vom Katholizismus ab, lehnte Austrofaschismus ebenso wie Nationalsozialismus ab. Als Mitglied der Gruppe Neubauer und des Kommunistischen Jugendverbandes leistete sie wie ihre Familienmitglieder und ihre FreundInnen nach dem „Anschluss“ Österreichs Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Jäger versuchte, Soldaten zu überzeugen, zu desertieren, verteilte Flugblätter und klebte Plakate. Beruflich war sie in einer Papierwarenhandlung tätig.
Ihr Vorgesetzter, ein Nationalsozialist, denunzierte sie, und so wurde sie als 16jährige verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung verurteilt. Ihr Bruder Benno, ebenfalls im Widerstand, wurde hingerichtet. Jäger war in verschiedenen Gefängnissen, unter anderem in München/Stadelheim, inhaftiert, bis sie im Herbst 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück überstellt wurde. Im Interview aus dem Jahr 1998 erzählt sie, wie BewohnerInnen der Stadt Fürstenberg/Havel in der Nähe des Konzentrationslagers die Ankunft Jägers und der anderen Häftlinge beobachteten und die Inhaftierung Unschuldiger geschehen ließen. Sie ist empört darüber, wie sehr sie und ihre Mitinsassinnen bei der Aufnahme im Lager entwürdigt wurden. Andere Häftlinge halfen ihr und trugen so zu ihrem Überleben bei. Zum Kriegsende bereiteten Jäger und Mitinsassinnen ihre Flucht vor, die ihnen bei einem Todesmarsch glückte.
Entscheidung für die DDR
Wie sollte es nach dem Krieg weitergehen? Jäger kehrte nach Wien zurück, arbeitete für die KPÖ und heiratete den aus Tirol stammenden Spanienkämpfer Max Bair. Gemeinsam siedelten sie 1950 in die DDR über und nahmen den Familiennamen Jäger an. Lisl Jäger holte das Abitur nach, studierte und arbeitete als Journalistin. Sie hatte zwei Töchter, mehrere EnkelInnen und UrenkelInnen. Zudem war Jäger aktives Mitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück, so in den 1990er Jahren stellvertretende Vorsitzende der vereinigten Lagergemeinschaften Ost und West. Als öffentliche Zeitzeugin wies sie auch darauf hin, wie ihre Erfahrungen in die Gegenwart reichen:
„Die Prügel sind weggesteckt, aber die Erfahrung nicht. Man darf nicht vergessen, Hitlers fallen nicht vom Himmel. Die werden gemacht, die werden finanziert, die werden gestützt, von Leuten, die sich selber die Finger nicht dreckig machen.“
Lisl Jäger wird in Erinnerung bleiben.
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