Hitlers Geburtshaus - Abriss oder pädagogische Nutzung?
Die Fachwelt diskutiert seit geraumer Zeit mit gegensätzlichen Ideen darüber, was mit einem alten Haus in Braunau passieren soll: Hitlers Geburtshaus. Die Diskussion wurde durch einen kürzlich getroffenen Ministerratsbeschluss neu angefacht und beschäftigt nun eine breitere Öffentlichkeit.
Das Haus mit der Adresse Salzburger Vorstadt 15 in Braunau am Inn war Adolf Hitlers Geburtshaus. Hitler lebte hier etwa drei Jahre. Das Biedermeierhaus steht noch immer, doch manche HistorikerInnen vermuten, dass Hitler möglicherweise im schon längst abgerissenen Hinterhaus des bestehenden Gebäudes geboren wurde.
Die seit 1972 vom Innenministerium gemietete Immobilie steht seit 2011 leer, zuvor unterhielt die Lebenshilfe darin eine Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung. Das Innenministerium konnte mit der Besitzerin keine Übereinkunft über die weitere Nutzung des Gebäudes finden, Kaufverhandlungen scheiterten ebenso. Gleichzeitig wurde Hitlers Geburtsort immer mehr zu einem Anziehungspunkt für Neonazis, Rechtsextreme und Hitlernostalgiker aus ganz Europa. In den letzten Jahren häuften sich die Besuche der Rechtsaußentouristen, Tendenz steigend. Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des DÖW, berichtet im Ö1-Interview sogar von einer Busreise von Rechtsextremen aus Ungarn zu Hitlers Geburtshaus in diesem Jahr.
Welchen Stellenwert das Haus unter RechtsextremistInnen einnimmt, wird auf ihren Websites deutlich: Dort finden sich Postkarten aus der NS-Zeit des mit Hakenkreuzen beflaggten Hauses und krude antisemitische Verschwörungstheorien zur geplanten Enteignung, User mit einschlägigem Profilbild fragen nach der genauen Adresse; einen möglichen Abriss sehen die HitlernostalgikerInnen als „großen Verlust“.
In der Vergangenheit wurde der Mahnstein „Für Frieden, Freiheit und Demokratie“ vor Hitlers Geburtshaus wiederholt beschmiert.
Um diesem Rechtsaußentourismus etwas entgegen zu halten und um Klarheit über den weiteren Umgang mit diesem von Neonazis mystifizierten Ort zu schaffen, hat der Ministerrat am 12. Juli 2016 die Enteignung des maroden Hauses beschlossen. Das Parlament muss diesem Beschluss noch im Herbst zustimmen.
Was nach der Enteignung mit dem Haus passieren soll, ist noch offen und umstritten. Bundeskanzler Kern schwebt eine pädagogische Nutzung vor, der zuständige Innenminister erwägt einen Abriss des Hitlerhauses.
Der zukünftige Umgang mit Hitlers Geburtshaus wird auch unter ExpertInnen kontroversiell diskutiert. Es herrscht auch hier Uneinigkeit, ob das Haus abgerissen werden soll oder ob darin ein Bildungszentrum entstehen soll, wie etwa die Initiative „Haus der Verantwortung/ House of Responsibility“ fordert.
Wir haben die Mitglieder unseres wissenschaftlichen Beirates nach ihrer Meinung gefragt:
Was soll mit Hitlers Geburtshaus in Braunau geschehen?
Dr. Anton Pelinka
(Politikwissenschaftler, Central European University, Budapest - Wien)
"Für das Haus in Braunau gibt es keine Patentlösung. Da die Möglichkeit des Missbrauchs des Ortes auch nach einem Abbruch nicht ausgeschlossen werden kann, sehe ich einen solchen Abbruch als eine zweitbeste Lösung - besser als den gegenwärtigen Zustand. Noch besser wäre es wohl, das Haus als ein Bildungszentrum zu nutzen - natürlich nicht als Museum, sehr wohl aber als eine Einrichtung, die differenziert den Nationalsozialismus (und nicht die Person Hitlers - die kann als marginale Fußnote behandelt werden) als die große Katastrophe des 20.Jahrhundert erklärt. Das Haus sollte Betroffenheit mit Information verbinden."
Dr. Brigitte Bailer-Galanda
(Historikerin, eh. wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, Wien)
"Es gilt wohl, einen gangbaren Weg zwischen Verleugnen der Vergangenheit und Überbewertung des Hauses zu finden. Ein Abriss käme dem Versuch gleich, eine unangenehme historische Stätte und die damit verbundenen Implikationen verschwinden zu lassen. Gleichzeitig ist alles daran zu setzen, die schon jetzt vorhandene Funktion des Hauses als Pilgerstätte für in- und ausländische Neonazis zu unterbinden. Was wäre also mit einer völlig neutralen Funktion, beispielsweise als Bürohaus für eine Verwaltungseinheit von Stadt oder Bezirk, Feuerwehrhaus oder Polizeidienststelle? Eine Tafel könnte unter einem möglichst knappen Verweis auf den Geburtsort Hitlers über die Opfer des NS-Regimes und die Partizipation von Österreichern an diesen Verbrechen informieren."
Dr. Eleonore Lappin-Eppel
(Historikerin, Akademie der Wissenschaften, Wien)
"Das Hitler-Geburtshaus hat für ein demokratisches Österreich keinerlei historischen Wert. Es ladet nur zu einem Personenkult ein. Daher wird es, solange es steht, eine Attraktion für (Neo-)Nazis sein. Gerade solchen Entwicklungen wollen wir von _erinnern.at_ entgegenwirken. Ich halte daher einen Abriss für die beste Lösung, auch um zu zeigen, dass es für den Nationalsozialismus in unserem Land keinen Platz gibt."
Dr. Falk Pingel
(Historiker, Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung)
"Ein normales Bürgerhaus aus schon entfernter Zeit – hier wurde geboren und wohnte ein Mensch, der Millionen Menschen töten ließ. Begann hier seine „Karriere“ oder war hier in seinem Leben noch alles „normal“, d.h. mit den Normen des Ortes verträglich, in dem er aufwuchs? Spielen nicht Familie und örtliche Umgebung eine prägende Rolle in unserem Leben? Wie und wie lange hat diese Umgebung auf Adolf Hitler gewirkt, wann hat er sich von ihr entfernt, hat er sich von ihr lossagen müssen? Dies ist ein Ort zum Nachdenken über Familiengeschichten, Prägungen und Erfahrungen – kein Ort für eine systematische Geschichtsdarstellung, die uns den Nationalsozialismus erklären würde, sondern für biographische Notizen: Was wurde aus einem, dessen Leben hier begann?
Ob (Neo-)Nazis hierher kommen, um diese Biographie zu feiern, wenn wir den Ort bewahren? Man könnte die anziehende bürgerliche Biederkeit des Ortes entfremden, die Fassade im konkreten und übertragenen Sinne des Wortes mit künstlerisch-architektonischen Mitteln durchbrechen, die Identifikationsgefühlen im Wege stehen."
Dr. Werner Dreier
(Geschäftsführer von _erinnern.at_)
"Geburtshäuser großer Männer (selten: Frauen) werden in unserer Kultur mit Gedenktafeln markiert, manchmal auch durch Informationen oder gar Ausstellungen ergänzt. Damit wird Wertschätzung ausgedrückt und ein Angebot zu Identifikation und Gemeinschaftsbildung gemacht.
Jede Markierung von Hitlers Geburtshaus wird so gelesen werden – und es ist ausgesprochen fraglich, ob es gelingen kann, diese eingeübte Lesart durch Informationen, Texte und Bilder über die von Hitler verantworteten Menschheitsverbrechen zu durchbrechen. Wie wenig das gelingt, lässt sich am Gelände des Obersalzberg besichtigen.
Gegen die Attraktivität des Ortes für Neonazis oder Nazi-Nostalgiker braucht es einen ganz radikalen Eingriff – etwa die Demolierung des Gebäudes und vollständige Überbauung des Geländes mit einem Lidl-Markt. Oder eine radikale, provokante künstlerische Intervention, die das Gebäude zum Verschwinden bringt."
Weiterführende Links zum Thema:
Interview mit Christian Angerer zu Hitlers Geburtshaus und zu nationalsozialistischer Täterschaft
Weiterführende externe Links zum Thema
Gesetzesentwurf Enteignung Hitlergeburtshaus
Initiative „Haus der Verantwortung/ House of Responsibility
Foto: Thomas Ledl, CC-BY-SA 4.0
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- Region/Bundesland
- Österreich