Antisemitismus in der sozialen Interaktion und in der Alltagskommunikation

Antisemitismus kann sich in versteckten Andeutungen, diskriminierenden Aussagen oder Handlungen, verbalen Beleidigungen oder körperlichen Übergriffen äußern. Das reicht von Schimpfworten über Witze, die Verwendung von Bildern und Symbolen bis zu ideologischer Hetzrede und Hassparolen mit Vernichtungsphantasien.

Antisemitismus kann sich in versteckten Andeutungen, diskriminierenden Aussagen oder Handlungen, verbalen Beleidigungen oder körperlichen Übergriffen äußern. Das reicht von Schimpfworten über Witze, die Verwendung von Bildern und Symbolen bis zu ideologischer Hetzrede und Hassparolen mit Vernichtungsphantasien. Selbst mit jugendkultureller Rhetorik kann von SchülerInnen mit einer gezielten Provokation Antisemitismus reproduziert werden.

Im Kern geht es immer um das „Othering“, die Konstruktion des Dritten, mit ihren körperlichen, sozialen und ökonomischen Zuschreibungen, mit Verallgemeinerungen, mit teils (un)bewusst tradierten stereotypen Klischees und Rollenzuweisungen. So muss danach gefragt werden, wer mit welchen Interessen und auf welche Art und Weise die diskriminierte Gruppe als Gruppe bestimmt hat. Wenn aktuelle Ausdrucksformen des Antisemitismus Thema werden, sind nicht nur ihre Geschichte und Entstehungsbedingungen zu besprechen, sondern vor allem auch ihre konkreten gegenwärtigen Funktionen, Projektionen und Wirkungen[1].

Ausgangspunkt für einen Lernprozess gegen Antisemitismus können eigene (Diskriminierungs-) Erfahrungen oder Diskriminierungsbeispiele in Verbindung mit einem Perspektivenwechsel sein „Antisemitismus also im Zusammenhang von Diskriminierung, Inklusion oder Exklusion, auf Basis individueller und sozialer Erfahrungen zu diskutieren.“[2] Bei der Bearbeitung unterschiedlicher Opfergeschichten und Ausgrenzungserfahrungen muss keine Entweder-Oder-Entscheidung oder Hierarchisierung getroffen werden.

PädagogInnen müssen von Beginn an aus antisemitischen eine Differenz erzeugende Fremdzuschreibungen aussteigen. Wenn nach der Funktion antisemitischer Aussagen gefragt wird, so sind die SchülerInnen, ihre Erfahrungshintergründe und Haltungen Thema, nicht „die Juden“ oder „die Israelis“. Damit der Fokus auf „die Anderen“ verlassen werden kann, hilft es universalistisch im Sinne verallgemeinerbarer Werte und Haltungen zu argumentieren, sowie Jugendliche in der Debatte auf ihre konkreten Alltagserfahrungen zurück zu führen.[3]

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[1] Monique Eckmann: Gegenmittel. Bildungsstrategien gegen Antisemitismen. In: Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Einsicht 08. Frankfurt am Main 2012, S. 44-49

[2] Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus: Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, Berlin 2017, S. 212

[3] vgl. Heike Radvan: Aussteigen aus antisemitischen Differenzkonstruktionen. In: amira - Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus: Pädagogische Ansätze zur Bearbeitung von Antisemitismus in der offenen Jugendarbeit. Berlin 2010

Lernmaterialien

»Und raus bist du!« – Rassismus und Antisemitismus
Anne Frank Zentrum Berlin: „Flucht im Lebenslauf. Biografisches Lernen mit Jugendlichen“. Berlin 2017

ab 14 Jahren, 90 Min.

Verfolgung und Diskriminierung gehören zu den häufigsten Ursachen für Flucht in der Vergangenheit und Gegenwart. Doch oft wird geflüchteten Menschen auch im Aufnahmeland Ablehnung entgegengebracht. Dieser Baustein betrachtet Flucht in Zusammenhang mit Rassismus und Antisemitismus. Ziele sind ein vertiefendes Kennenlernen der Biografie Anne Franks, das Erkennen der alltäglichen Auswirkungen antisemitischer Gesetzgebung und eine Verknüpfung und Kontrastierung mit Fluchtbiografien heute.



Antisemitismus – Was tun?
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus: Anders Denken. Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit. Berlin

ab 14 Jahren, 80 Min.

Die Teilnehmenden setzen sich in dieser Methode anhand sechs konkreter Fallbeispiele mit (un-)möglichen Reaktionen auf antisemitische Vorfälle im Alltag auseinander. Das Sammeln, Diskutieren und begründete Bewerten von Handlungsmöglichkeiten regt dazu an, eigene Haltungen zu reflektieren und kritische Handlungskompetenz zu entwickeln. Die Teilnehmenden werden sich verschiedener Möglichkeiten bewusst, solchen Vorfällen zu begegnen und reflektieren die Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf sich und andere.



Diskriminierung bedeutet…
ConAct - Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch: Gemeinsam planen – Begegnung leben! Praxishandbuch für den deutsch-israelischen Jugendaustausch. Mit Methoden der diversitätsbewussten Bildungsarbeit für die pädagogische Praxis. Wittenberg 2018, S. 74-75

ab 15 Jahren, 60 Minuten

Diese Aktivität führt in die Begriffe und Denkbilder ein, die sich mit Diskriminierung und Ausgrenzung befassen. Damit können sich die ModeratorInnen ein Bild vom aktuellen Wissensstand machen, bevor die Gruppe zu anspruchsvolleren Aktivitäten übergeht. Die Teilnehmenden werden an die Themen „Diskriminierung“ und „Ausgrenzung“ herangeführt, Bewusstsein für die Unterschiede zwischen den Begriffen wird geschaffen und Definitionen zum Beschreiben von Strukturen und Ungleichheit festgelegt.



Antisemitismus als Fluchtgrund
_erinnern.at_: Fluchtpunkte. Bewegte Lebensgeschichten zwischen Europa und Nahost. Bregenz 2019

ab 14 Jahren, 45 Min.

In diesem Modul lernen die SchülerInnen über Antisemitismus, der zu unterschiedlichen Zeiten Jüdinnen und Juden zur Flucht bewogen oder gezwungen hat. Im Zentrum stehen dabei die Geschichten von drei Menschen, die aufgrund antisemitischer Erfahrung ihre alte Heimat verlassen haben, um woanders Schutz zu suchen. Durch dieses Modul zieht sich der Versuch einer Annäherung an den Begriff des Antisemitismus.



Bilder im Kopf. Vorurteile und Antisemitismus
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus: Anders Denken. Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit. Berlin

ab 14 Jahren, 80 Min.

Diese einführende Methode setzt mit einer Rätselgeschichte einen ersten Impuls und bietet im Verlauf weitere Ansatzpunkte, um sich tiefergehend mit Gruppenkonstruktionen und der Struktur von Vorurteilen auseinanderzusetzen. Auf den gewonnenen Erkenntnissen aufbauend beschäftigen sich die Teilnehmenden mit verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemitismus und reflektieren dessen Auswirkungen auf den Lebensalltag der Betroffenen.

 

Diskriminierung begegnen
_erinnern.at_ et al: Stories that Move. Toolbox gegen Diskriminierung. Bregenz 2016

ab 14 Jahren, 150 Min.

SchülerInnen lernen in diesem Online-Tool die Funktionsweise und die Wirkmechanismen von Diskriminierung kennen, diskutieren - ausgehend von den Erfahrungen von fünf Jugendlichen konkrete Fälle von Diskriminierung gegen Sinti und Roma, Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung von LGBT+ und Diskriminierung von MuslimInnen. Sie reflektieren, wer in Diskriminierungsfällen welche Rolle spielt, wer auf die Situation Einfluss nehmen kann und was sie selbst in einem konkreten Fall tun würden.



Vielfalt. Jüdisches Leben vor der Shoah
_erinnern.at_, Vielfalt. Jüdisches Leben vor der Shoah.

ab 14 Jahren, 50 Min

Ziel ist es, das österreichische Judentum in der Zwischenkriegszeit als heterogenen, durchaus eigenständigen, aber dennoch integralen Teil einer insgesamt hoch diversen Gesamtgesellschaft wahrzunehmen. SchülerInnen erhalten einen Einblick in die kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Heterogenität der jüdischen Gemeinschaft. Davon ausgehend bietet die Einheit die Möglichkeit, antisemitische Stereotype und Differenz erzeugende Fremdzuschreibungen zu hinterfragen und alternative Sichtweisen dazu anzubieten.

Handreichungen & Webtools

Amadeu Antonio Stiftung:
Aufstehen! Nicht aussitzen! Einfache Werkzeuge zum Umgang mit Judenhass unter Jugendlichen. Berlin 2020

Wann ist eine Äußerung antisemitisch? Wann ist bei Diskussionen zum Nahostkonflikt die Grenze zum Antisemitismus überschritten? Muss man Verständnis haben für ein Desinteresse? Diese praxisnahe Handreichung möchte auf diese und weitere Themenfelder bei der Bearbeitung von Judenhass eingehen und Hilfestellung leisten. Der thematische Bogen umfasst: Antisemitismus in der Schule, Verschwörungsmythen als beliebte Welterklärer, Antisemitismus im Internet, den Umgang mit Israel, den Antisemitismus unter muslimisch sozialisierten Jugendlichen sowie Islam und Nahostkonflikt. Es folgen immer knappe Antworten auf die Fragen: „Warum muss ich etwas tun und was kann ich tun?“ Zu jedem Thema finden sich auch Tipps und Beispiele von brauchbaren Methoden, Fragestellungen oder Lernmaterialien.

Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus:
Stop Antisemitismus. Erkennen Sie Antisemitismus im Alltag? Berlin 2019

Dieses Angebot soll Hilfe gegen Antisemitismus rasch zugänglich machen. Diese Hilfestellung mit Handlungsempfehlungen und Argumentationshilfen für Betroffene, SchülerInnen und LehrerInnen wurde durch eine Vielzahl an Organisationen, Instituten, Initiativen und ExpertInnen aus Wissenschaft, Politik und Bildung verwirklicht. Beleuchtet werden 35 konkrete Szenen und authentische Aussagen aus dem Alltag – einige offen antisemitisch, andere versteckt. Die Themen reichen von gesellschaftlich weit verbreiteten Vorurteilen über die Holocaustleugnung bis zu aktuellem (israelbezogenen) Antisemitismus. Auf jedes Zitat folgt eine überschaubare und klar formulierte Erklärung, was daran problematisch ist und wie man darauf reagieren kann. Auf der Webseite finden sich zudem (für Deutschland relevante) Informationen zu Beratungs- und Bildungseinrichtung sowie eine Auswahl an Lernmaterialien und Handreichungen.

Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus:
Widerspruchstoleranz 2. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2017

Das Handbuch enthält neben theoretischen Einführungen vielfältige Methoden und Materialien. Die einleitenden Reflexionen zur antisemitismuskritischen Bildungsarbeit thematisieren Widerspruchstoleranz, die Aspekte Lernmotivation und Vermeidung von Zuschreibungen sowie die zentrale Forderung nach Selbstreflexion. Die drei vorgestellten Themen- bzw. Handlungsfelder sind die Auseinandersetzung mit sekundärem Antisemitismus, mit antisemitischen Verschwörungsideologien sowie mit israelbezogenem Antisemitismus. Jedes Handlungsfeld wird einleitend kurz definiert und inhaltlich-konzeptionelle Grundüberlegungen werden angestellt. Danach folgen konkrete Methoden für die erste und zweite Sekundarstufe, die sehr detailliert und praxisnah beschrieben werden. Wir empfehlen hier gleich auf die Onlineplattform https://www.anders-denken.info zu wechseln. So gut wie alle Methoden finden sich dort neu überarbeitet und mit allen notwendigen Downloads.

 

Amadeu Antonio Stiftung:
Läuft noch nicht? Gönn dir: 7 Punkte für eine Jugendarbeit gegen Antisemitismus. Berlin 2017

Die Handreichung der Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit richtet sich an PädagogInnen und MultiplikatorInnen in der Offenen Jugendarbeit. Die sehr kompakt gestaltete Broschüre bietet keine Methoden für den Unterricht, kann jedoch für LehrerInnen eine erste Unterstützung sein, sich mit der eigenen Rolle in der Bildungsarbeit auseinander zu setzen. Angemessene Interventionen gehören zur professionellen Arbeit und müssen nicht schwierig und unangenehm sein. Die Annäherung verläuft über das Erkennen und Benennen, das Stellungbeziehen bei gleichzeitiger Anerkennung des Gegenübers, die Stärkung der Betroffenen, die Konzeption angemessener Präventionsangebote, die Entwicklung einer antisemitismuskritischen und rassismuskritischen Haltung bis zur kritischen Bearbeitung von Antisemitismus. Die einzelnen Punkte werden durch zentrale Aussagen aufgelockert und durch konkrete Fragen zur Selbstreflexion ergänzt.

Amadeu Antonio Stiftung:
»Läuft bei Dir!« Konzepte, Instrumente und Ansätze der antisemitismus- und rassismuskritischen Jugendarbeit. Berlin 2014

Ausgehend von der dreijährigen Projekterfahrung bietet diese Handreichung wichtige theoretische Grundlagen, eine Vielzahl ausgesuchter kurz umrissener Best Practice-Beispiele, konkrete Handlungsempfehlungen und erprobte Instrumente und Ansätze. Und nicht zuletzt die Stimmen der zentralen AkteurInnen: der Fachkräfte und der Jugendlichen. Wenn diese Handreichung auch AkteurInnen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit zum Thema und Ziel hat, sind manche der Texte und Erfahrungen dennoch für den schulischen Kontext nutzbar. Bei den theoretischen Grundlagen beispielsweise die Beiträge zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Praxis und israelbezogenem Antisemitismus oder unter den Best Practice-Beispielen der Umgang mit antisemitischen Witzen oder zur Sensibilisierung anhand von historischen Biografien. Die Beispiele bieten Ideen und Ansätze, wenn auch keine ausgearbeiteten Unterrichtsvorschläge.

Bildungsstätte Anne Frank:
Weltbild Antisemitismus. Didaktische und methodische Empfehlungen für die pädagogische Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Frankfurt am Main 2013

Sammlung von Beiträgen in überschaubarer Länge, die durch Graphiken unterstützt sind, zu handlungsleitenden Grundlagen im Umgang mit Antisemitismus und methodische Hinweise (Lernraum, Konflikt, Subjektorientierung, Intervention), zu Argumentationshilfen für akute Interventionen bei antisemitischen Äußerungen (Stereotypen, Holocaust, Opferkonkurrenz) sowie vertiefende Hintergrundinformationen zu verschiedenen Formen des Antisemitismus. Der Methodenteil bietet keine detaillierten Lernarrangements und richtet sich eher an ein erwachsenes Publikum. Der Einsatz einzelner Methoden ist aber auch für Jugendliche denkbar. Der Schwerpunkt der Broschüre liegt in der Vermittlung des theoretischen Rüstzeugs, das für die eigene pädagogische Arbeit nötig ist und in einem breiten und praxisorientierten Einblick in den aktuellen Stand der Diskussionen im Bereich der antisemitismuskritischen Bildungsarbeit.

Texte


Marina Chernivsky:
Antisemitismus an der Schule entgegenwirken – Lernen am sicheren Ort. In: Die Hoffnung. Bildungs- und Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und Kultur Sachsen (Hrsg.): Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 13. Dresden 2019

Dieser Beitrag behandelt antisemitische Vorfälle von der unbeabsichtigten Reproduktion antisemitischer Stereotype bis zu gezielten verbalen oder tätlichen Angriffen. Dabei wird eine Topografie des Antisemitismus in der Schule vorgestellt: Antisemitismus als Ausdruck der Befremdung und (historischen) Distanz, als Ausdruck tradierter Stereotype, als Ausdruck der Vergangenheitsabwehr, als Ausdruck antisemitischer Verschwörungsmythen sowie als Antisemitismus im Kontext des Nahostkonfliktes. Eine weitere Klassifikation beschreibt den Kontext: Vorfälle mit klassischer antisemitischer Semantik, mit Bezügen zu Nationalsozialismus und Shoah oder mit einem antiisraelischen Bezug. Chernivsky sieht die Möglichkeiten für eine Prävention durch Geschichtsaneignung als beschränkt an und formuliert folgende Herausforderungen: Historisierung, Tabuisierung, Distanzierung (bzw. Externalisierung), Vermeidung der Thematisierung und das brüchige Wissen.

Lamya Kaddor:
Gegen Opferkonkurrenz. Was muslimische Jugendliche über die deutsche Geschichte wissen sollten. In: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Die Politische Meinung, Nr. 551. Berlin 2018, S. 63-67

Kaddor fordert, statt auf „muslimisch“ auf familiäre Herkunft zu fokussieren, da Einstellungen zu Jüdinnen und Juden, Israel und dem Holocaust unter MuslimInnen weniger in der Religion begründet sind, sondern mehr mit der politischen Situation in den Herkunftsstaaten der Familien zu tun haben. Kaddor fordert eine Abkehr von verfehlter Holocaust-Erziehung: „Solche Ansätze schrecken Schüler mit Migrationshintergrund mitunter ab, weil sie sich angesichts eigener Diskriminierungserfahrungen in der deutschen Gesellschaft eher selbst als Opfer sehen.“ Es bedarf einer Suche nach Relevanz für die eigene Biografie: „Es geht um ein emotionales Begreifen, losgelöst von Schuldfragen.“ Ziel ist das Ausschalten der „Opferkonkurrenzen“ und des Eurozentrismus in Geschichtsschreibung und -vermittlung.

Heike Radvan:
Aussteigen aus antisemitischen Differenzkonstruktionen. In: amira - Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus: Pädagogische Ansätze zur Bearbeitung von Antisemitismus in der offenen Jugendarbeit. Berlin 2010, S. 20-21

Anfänglich macht sich Heike Radvan dafür stark, immer nach der Funktion antisemitischer Aussagen zu fragen: „Fragen PädagogInnen nach der Funktion, so geraten Jugendliche mit ihren verschiedenen Erfahrungshintergründen und Haltungen in den Blick – nicht aber »die Juden«.“ Schwierig wird es auch für Fachpersonal so zu intervenieren, dass die Struktur antisemitischer Semantik verlassen wird, dass Jüdinnen und Juden nicht weiterhin als „die Anderen“ konstruiert und reproduziert werden. Radvan empfiehlt eine fragende Haltung der PädagogInnen „mit der nach einer möglichen Funktion derartiger Aussagen für die Jugendlichen gesucht wird“, ein anerkennungspädagogischer Umgang sowie ein dialogisches Vorgehen. Zentral dabei ist es immer universalistisch zu argumentieren, um so den Fokus auf „die Anderen“ zu verlassen sowie Jugendliche in der Debatte auf ihre konkrete Alltagspraxis zurück zu führen.

Ruth Fischer, Malte Holler:
Begegnungsansätze. Anerkennung durch Kennenlernen? In: Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus: Anders Denken. Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit. Berlin

Das Material beschäftigt sich mit Chancen und Problematiken von begegnungspädagogischen Ansätzen, die auf Konzepte der „interkulturellen Pädagogik“ zurückgehen und zum Abbau von Vorurteilen und Stereotypen durch reale Erfahrung beitragen wollen. Mit gewünschtem und geförderten Perspektivenwechsel und dem Dialog als dem wohl wichtigsten Faktor einer Begegnung sind ein ehrlicher Austausch, Anerkennungsmomente und sogar Solidarisierungseffekte möglich. Ein Problem liegt in der impliziten Beibehaltung einer Differenzkonstruktion und der mehr auf „die Anderen“ fokussierten Auseinandersetzung, denn auf selbstkritische Reflexion des Eigenen. Selbst durch unreflektierte Rollenerwartung kann es eher zu einer Verfestigung von Klischees kommen. So sind Begegnungen weder immer geeignete Interventionsmaßnahme, sie sind kein Garant für den Abbau von Vorurteilen und müssen im pädagogischen Setting gut vorbereitet und begleitet werden.